Dass ich dennoch eingeschlafen sein musste, bewies allein, dass ich irgendwann, eiskalt erschrocken, kerzengerade in die Höhe fuhr. Schlaftrunken orientierungslos bäuchlings in den Sand stürzend wegen der heftigen Bewegung, mich eilig aufraffend und neuerlich im Schafsack verfangend, wieder emporfahrend gab ich zornig meine windversiegelte Haltung auf. Was geschah? Von verworrenen Gedanken beschwert stolperte ich in die Wüstennacht hinaus und prallte gegen eine andere windzerzauste Gestalt, ich glaube, es war Karli. »Uhurus« Motor röhrte in nächster Nähe!
Zusammen mit aufgeschreckten, erstarrt verharrenden Kameraden wurde ich Zeuge, wie Bert aus dem Dunkel auftauchend mit einem Satz auf »Uhurus« Trittbrett hechtete – zugleich flammten die Scheinwerfer auf, und Geschrei erhob sich im Wettstreit mit dem Sturmheulen – mit dem Oberkörper halb durch das Fenster ins Innere der Kabine schnellte, und gleichzeitig schrie er laut. Eine lallende Stimme antwortete ihm. Inga saß wie angefroren steil aufrecht auf ihrem Klappbett in nächster Nähe zu »Uhurus« Front und starrte dem Laster, der auf sie zurollte, in die aufgeblendeten Scheinwerfer. Grell erleuchtet mit weit aufgerissenen Augen wirkte sie wie eine Puppe. Dann ruckte der Wagen, es rasselte und pfiff, und der Lärm erstarb. Nur Berts und Brommels Stimmen lieferten sich ein unverständliches Schreiduell. Bert lief um die Motorhaube herum, und Brommel taumelte halb über das Trittbrett aus der Fahrerkabine, halb wurde er von seinem Chef herausgezerrt, und Bert rang einen Moment lang mit ihm, entwendete ihm den Wagenschlüssel.
Er habe den Wagen besser parken wollen, weg vom Rand der Schlucht, erklärte Brommel am Morgen mit roten Augen. Seine Alkoholfahne machte ein Verweilen in seiner Nähe unerträglich. Nun begriff auch der letzte unserer Gruppe, dass Brommel ein Problem hatte und mit ihm wir alle: Unser Fahrer war ein Trinker. Dass Leute unter, direkt vor und hinter dem Fahrzeug geschlafen hatten, hätte er vergessen, erklärte er und entschuldigte sich, ehrlich zerknirscht, bei Inga, die nur noch nicken und davongehen konnte. Aber es sei ja nichts passiert, winkte Bert ab und mahnte zur Eile. Nicht einmal Anita konnte diesmal die Heiterkeit unserer Rabauken teilen, die sich zusammen mit dem zerzausten Kobold Brommel herrlich über den Zwischenfall amüsierten.
Nach der steilen Abfahrt in die Tiefe des Plateauabbruches mit Blick auf ausgeschlachtet am Rücken oder seitlich an der Böschung liegende Lastwagen ging die verwehte Piste in glatte Asphaltstraße über, und für eine Weile verstummten Ilses Schmerzensschreie, die sie bei jeder Erschütterung beim Fahren auf der Wellblechpiste ausgestoßen hatte. Jene Abermillionen kleiner, steinharter Erhöhungen im Sand, die von Ferne sanfter, gekräuselter Dünung in einer Meeresbucht gleichen und harmlos »Wellblech« genannt werden, können arglos Reisende zur Verzweiflung treiben. Regelmäßig wie auf einem Waschbrett aufeinander folgend und dichten Pistenbelag bildend, vermögen sie jede Schraube zu lockern, da die Erschütterungen in hoher Frequenz Wagen und Insassen keine Atempause gönnen. Ausrüstung und mechanische Details können binnen kurzem aus fester Haftung gelöst werden. Dem Wellblech auszuweichen ist nicht gut möglich, weil seitlich dieser Pfade zumeist tiefe Sandverwehungen lagern und Kuhlen wahre Fallgruben für Fahrzeuge und wahrscheinlich sogar Kamele bilden.
Gerade zur Mittagszeit trafen wir am heißesten Ort des nördlichen Afrika ein – die Wüstenstadt In Salah, eine Oasensiedlung, ist überwiegend von Arabern und einigen Tuaregs bewohnt und berüchtigt für ihre Backofenhitze. Seit der Zunahme des Transitverkehrs über die Route du Hoggar, änderte In Salahs Ortsbild sich von der kleinen, altertümlichen Oasenstadt zu einem Konglomerat aus alten, zinnenverzierten Häusern und Mauern aus rotem Sandstein oder Lehmziegeln und Gebäuden moderner Prägung mit glatt verputzten Wänden und Werbeplakaten, Restaurants, Post- und Bankgebäude.
Unverändert jedoch wie seit Jahrhunderten dringt die Wüste jedes Jahr ein wenig tiefer in die Stadt ein. Eine riesige Düne überragt am Nordwestrand der Stadt die höchsten Häuser und Bäume, ihre sandigen Ausläufer bedecken bereits Straßenverläufe, umspülen Laternen und Stoppschilder. Wie eine hohe Meereswoge scheint die Düne jeden Augenblick über das Stadtviertel hereinbrechen zu wollen. Doch es wird noch Jahrzehnte dauern, bis durch den ständig wehenden Wüstenwind der Sand die Spuren menschlicher Kultur in der Einöde verschlungen haben wird.
Während Silvia Ilse ins örtliche Krankenhaus begleitete, ergaben wir anderen uns nach dem Versuch, die nahezu ausgestorben wirkende Stadt zu durchstreifen, schweißgebadet und mit pochenden Schläfen der Mittagshitze, die an diesem Tag wohl an die 45 Grad Celsius betragen hat. Der heiße Wind trocknete selbst die Flüssigkeit in den Augen aus, denn beim ständigen Blinzeln blieben die Lider zuweilen am Augapfel kleben. Im zugigen Patio einer Kneipe, gab es gar Obstsaft zu trinken, ruhten wir, bis unsere ausgetrockneten Körper für den Rückmarsch zum Treffpunkt erstarkt waren. Die täglichen Krisenmarathons begannen mich zu verärgern. Ihnen beizuwohnen hieß, mir die sorgfältig gezüchtete gute Laune verderben zu lassen, während der Hauptteil der Gruppe sich anscheinend begeistert zu Gesprächsrunden formierte. Würden wir nun die angebliche lebensgefährliche Route nach Djanet wagen oder nicht? Karli, Anita und ich entfernten uns achselzuckend auf Silvias Frage, ob wir wohl zu jenen gehörten, die sich dumm der Lebensgefahr aussetzen wollten? Einheimische hätten ihr berichtet, erst vor etwa einem halben Jahr seien vierzehn Italiener im Gebiet zwischen Amguid und Djanet verdurstet.
Später berichtete Bert, der Emigrationschef der Stadt hätte ihm gesagt, nach neuesten Informationen sei die Strecke ins Tassiligebirge völlig problemlos innerhalb von längstens vier Tagen zu schaffen. Die Piste sei durch vorhergegangene Verwehungen in gutem Zustand. Kaum jemand glaubte ihm.
Ein sauberer Campingplatz mit warmen Duschen wurde zur Kulisse abendlicher Verzweiflungsausbrüche und aggressiver Streitigkeiten, wie die umherstreifenden Tuareg sie wohl selten gesehen hatten, ausgelöst durch heitere Provokation einiger Burschen. Angesichts der wachsenden Furcht Dzidzdas, Ingas, Ilses und einiger anderer hatten die Rabauken sich einen Spaß daraus gemacht, schwarzzumalen. Bert, Elsie und Gerda waren sich zur Abwechslung einmal einig, zeigten unbeugsame Absicht, die Strecke nach Djanet zu befahren. Ich würde mitfahren, gab ich zu verstehen, Anita ebenfalls. Warum den schlechtesten Fall in Erwägung ziehen? Warum die negativsten Prognosen glauben? Warum leichtsinnig sein, hielt Inga mit hysterisch gefärbter Stimme entgegen. Anstatt sich über das köstliche Mahl zu freuen und darüber, dass wir endlich einmal an einem richtigen Tisch gemütlich zusammensaßen, waren wir dabei uns in die Haare zu geraten. Viele stimmten Ingas Bedenken zu, verständlicherweise auch Ilse, die ihren frisch eingegipsten Arm vor sich hertrug. Im Krankenhaus von In Salah hatte die Diagnose »Bruch des Mittelhandknochens« gelautet ...
Silvia: »Wir sollten demokratisch abstimmen.«
Bert: »Wieso abstimmen? Es gibt nichts abzustimmen. Im Vertrag steht schwarz auf weiß, dass die Route über Amguid nach Djanet genommen wird. Lasst mich jetzt in Ruhe. Ich fahre nach Djanet.«
Elsie: »Seid ihr denn alle Schwarzmaler?«
Silvia: »Ist ja klar, dass du dich gegen uns stellst!«
Ich: »Was heißt hier ,gegen‘? Demokratisch heißt doch, jeder hat eine Stimme, egal welche ...«
Armin: »Hysterische Weiber.«
Roman alias Buffalo Bill: »Wenn wir sterben sollen, ist das Schicksal. Pioniergeist und Tod liegen nahe beieinander.« Die Rabauken kicherten.
Ilse: »Na – schau’ dir das an! So ein dummer Bub!«
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