Wir fuhren noch fast drei Stunden, ehe wir El Golea erreichten. Der Sturm hatte nach einer Stunde Toben nachgelassen. Halbtot lösten die vier Galeriepassagiere sich im Zuge der langersehnten Pinkelpause am Stadtrand unter den dunklen Scherenschnitten der Palmen vor dem Abendhimmel, der am Horizont noch die Spuren des Sturmes vor der untergehenden Sonne trug, von ihren Sitzen. Sandverklebt, mit rotgepeitschten Gesichtern und eisstarren Gliedmaßen taumelten sie durch den Sand.
»Das ...« heulte Gerda atemlos und hielt sich an Elsie fest, »... zahle ich ihm heim, ... das zahle ich ihm heim ...« Die anderen schwiegen und schüttelten sich den Sand aus Ohren, Haaren und Kleidern. Wilfried und Tommy boten dem vorüber stapfenden Bert stolz ihre grinsenden Gesichter und taten, als sei nicht gewesen.
»Hast du eine Zigarette?« fragte Wilfried, umringt von ein paar gleichermaßen besorgten wie empörten Kameraden, Erich, den älteren, der seine Schulter tätschelte.
»Geiles Feeling,« grinste Peter und legte sich in »Tarzans« Laderaum schlafen, nachdem er über den Einstieg gestolpert und zwischen Fässer und Küchenutensilien Alfi und Luis entgegen gestürzt war.
»Irre, ...« flüsterte Alfi und betrachtete Peters schweißnassen Rücken.
Obgleich es bereits nach Mitternacht war, begegnete uns zwischen flachen, roten und weißen Häusern und Mauern von El Oued ein junger Mann auf einem Motorrad. Er erklärte sich bereit, auf seinem knatternden Gefährt in »Uhurus« Lichtkegel voran zum Campingplatz zu fahren. Wir folgten ihm demütig, dicke, brummende Insekten, die ihre massiven Häupter stets gehorsam dem kleinen Wicht zuwandten, der ihnen wie die Maus einer fetten, alten Katze wendig voraus huschte.
Todmüde verzichteten wir auf Zahnpasta und Zelte, rollten uns in unsere Schlafsäcke, ohne überhaupt zu wissen, wie unsere nächste Umgebung aussah.
Als im Osten der Sonnenball über die Horizontlinie kroch und uns mit zitternden Strahlenfingern neckte, blinzelte ich im lichten Palmenwald in die sanft verwehte, angrenzende Wüste hinaus und zu einem sehr dunkelhäutigen, in einen braunen, zerrissenen Kaftan gehüllten Mann, vielleicht ein Araber, hoch, der unmittelbar vor meinem Schlafplatz stand.
Ich winkte dem nackten, lachenden Knäbchen an seiner Hand, das mich anstarrte, als sei ich ein zweiköpfiges Kamel. Der Mann beugte sich zu jedem nieder, der sich ein wenig regte, strahlend lächelnd und hielt den noch keineswegs vollständig Erwachten die ausgestreckte Rechte hin. Kaum zwanzig Meter neben den von goldenem Morgenlicht übergossenen Schläfern, die sich zu äußerst gelagert hatte, begrenzten zusammengebundene Büschel trockener Palmblätter ein kleines Grundstück mit gestampftem Sandboden, wo einigen Ziegen Abfälle und Datteln fraßen, um einen flachen Lehmbau aus Mauerstücken, Blech und Lumpen mit Palmdach – sein Heim, wie er mit einladender Geste stolz erklärte.
Heimat, eine Art von Heimat ... ich war an diesem Morgen nicht sicher, ob ich dieses karge Heim nicht gegen meinen Platz im »Uhuru« einzutauschen bereit war ...
Der Wunsch, im flachen Gebiet einen ungestörten, halbwegs gedeckten Platz zu dringender morgendlicher Darmentleerung zu finden, trieb uns zu ausgedehnten Wanderungen in die Dünen und Sandhügel. Die Begegnung mit wiederkäuenden, schön hellbraunen, sanftäugigen Kamelen in wahrhaft friedlich stiller Idylle des dornigen Steppenwüstenstreifens um El Oued, versöhnte mich ein wenig mit dem mühseligen, Reisendenschicksal.
Wir verbrachten den Vormittag damit, die Kanister mit dem herrlichem, angeblich keimfreiem Quellwasser zu füllen, das El Oued über die Grenzen Algeriens hinaus berühmt gemacht hat. Um diesen Brunnen aufzusuchen, kamen angeblich auch Tuaregs aus dem Hoggar hierher, des »goldenen« Wassers wegen. Köstlicher Luxus, ein wenig Morgentoilette mit dem kühlen Nass zu betreiben! Der Schrecken des Sturmerlebnisses war mittlerweile sogar aus Gerdas Gesicht gewichen. Sie kam zu mir und zeigte mir froh, dass trotz des Bombardements mit Sand ihre Allergie nicht schlimmer geworden war.
»Die Wüste mag mich auch ein bisschen ...« lachte sie und machte sich daran, ihre geliebten Wasserkanister zu füllen. Die Möglichkeit, uns zu waschen, war bei Nächtigungen im Gelände auf die abendliche knappe Ration Nutzwassers aus den Kanistern beschränkt. Ins Essgeschirr geleert reichten sie allenfalls zum Zähneputzen und Reinigen der nach Gutdünken wichtigsten Körperteile. Noch erreichten wir alle zwei bis drei Tage einen Campingplatz. Die Zeit dazwischen, fern penibler Kosmetik ohne allzu viel Unbehagen durchzuhalten, war allerdings nichts als Gewöhnungssache, stellte ich fest. Längst störte uns der Schweißgeruch im Wagen kaum noch. Das Bedürfnis, sich die schweißigen, ständig schmutzverklebten Hände zu waschen, wurde kaum beachtet. Noch an der Grenze in Hazoua hatten wir einander ständig am offenen Wasserhahn abgelöst, jede Spur Granatapfelsaft sofort unter achtloser Verschwendung des kostbaren Nass beseitigend. Nun ging ich dazu über, meine Fingernägel möglichst kurz zu halten, um das Gefühl der Verschmutzung einzudämmen. Es funktionierte.
El Goleas Wasser verursachte auch ungefiltert keinem von uns die geringsten gesundheitlichen Probleme. Es schmeckte wie kristallklares Gebirgsquellwasser, sah auch so aus und machte uns für einen Morgen lang glücklich, auch wenn wir schwer an den Kanistern zu schleppen hatten.
Vor der Weiterfahrt wollte Ilse beim Einsteigen in den »Uhuru« mutig darauf verzichten, die Leiter hervorzuziehen. Sie streckte Tommy, der soeben im Einstieg erschien, um herauszuspringen, hilfesuchend die Arme entgegen. Er ergriff eine ihrer Hände, zog an, um ihr empor zu helfen, sie hängte ihr Gewicht an ihn – und entglitt seinem Zugriff.
Mit einem lauten Aufschrei stürzte sie rücklings in den Sand.
Erschrockene Gesichter erschienen an den Fenstern, Bert kam um den Wagen herum gelaufen, versuchte, half der mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden sitzenden Frau auf die Beine. Mit Tränen in den Augen hielt sie ihren rechten Arm an sich gepresst.
»So ein blöder –«
Tommy beteuerte, er hätte keinesfalls absichtlich losgelassen und kletterte beleidigt ins Wageninnere zurück. Ilse erklomm mit Hilfe der anderen »Tarzans« Galerie, ließ sich zwischen Silvia und mir nieder. Gut eine Stunde lang hielt ich auf ihren Wunsch ihr Handgelenk fest umfasst, das könnte den Schmerz lindern, sagte sie. Zutiefst erschreckt gestand die eigentlich recht nette Lady im Safarianzug ihre Angst, Tommy habe sie wirklich absichtlich fallen lassen.
»Wisst ihr, was dass bedeuten würde?«
»Aber es war keine Absicht! Sicher nicht ...«
»... Hass wäre unter uns ... schau dir das an, ach Gott, ich habe ja gewusst, dass so etwas passieren wird! Zu blöd. Meine Güte, mir scheint, das wird kein gutes Ende nehmen ...« Ihrem traurigen, treuherzigen Blick war kaum zu widerstehen, und am liebsten hätte ich sie auf die Wange geküsst, um sie zu trösten.
Ihr Handgelenk schwoll bald heftig an. Und obwohl ich mich sehr auf die erste Fahrt auf »Tarzans« Galerie gefreut hatte, konnte ich die herrliche Aussicht über die Wüste an diesem Tag kaum genießen.
Unterwegs nach In Salah hielten wir am glühenden Nachmittag mitten in einem Dünenmassiv im Süden des Tademait-Plateaus, einer riesigen Tafel zwischen Erg Oriental und Erg Occidental, um das Surfen auf den Sandhängen zu erproben. Extra zu diesem Zweck führte Luis ein auf der Galerie verzurrtes Snowboard mit. Röhrend wühlten »Tarzan« und »Uhuru« sich wie im Wettkampf nebeneinander durch den Sand, Bert und Brommel grinsten einander zu, hielten das widerstrebende Lenkrad jeweils mit starken, zähen Armen.
Wie staunten wir, als sich – wie für uns bereitgestellt – am unteren Abhang einer riesigen Düne ein Paar Skier und zugehörige Stöcke halb im Sand eingegraben fanden, samt einem Zettel mit den besten Grüßen von »Sunshine Travel«! Der heiße Wind machte unsere Augen tränen. Wir stapften düneauf, düneab, erprobten die Festigkeit der Lee- und Luvseiten der Grate, sprangen mitten in weiche Kuhlen, kollerten über die Hänge, knipsten und filmten, während das rötliche Nachmittagslicht die Wüste scheinbar schmelzen, die Luft flimmern ließ. Diese erste echte Berührung mit der Sahara machte uns ausgelassen glücklich, aber auch besonnen. Wer für ein Foto den Verdurstenden spielte, fühlte, auf dem Bauch liegend von der Glut niedergedrückt, wie nahe die reale Gefahr sein mochte. In wogenden Wellen schwappte die Hitze in unsere Gesichter, ließ unsere nackten Füße sogleich nach Berühren des heißen Sandes nach den schützenden Sandalen tasten. Das Haar an Scheitel und Hinterkopf schien Feuer fangen zu wollen. Kopf- und Nackentücher taten wohl.
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