„Ich wollte mir auch schon längst einen neuen anschaffen“, schwindelte sie, ohne mit der Wimper zu zucken. „Diese modernen Aufsätze sind angeblich sehr vielseitig verwendbar.“
„Man kann die Wassergabe nach Bedarf durch einfaches Drehen regulieren. Von sanftem Sprühen bis hin zu einem gebündelten Strahl.“
„Darf ich mal sehen?“, fragte sie und streckte die Hand aus. Bereitwillig reichte Jakob ihr das Schlauchende hinüber. Hanna genügte eine kurze Begutachtung, um zu erkennen, wie der Aufsatz funktionierte. Wie unabsichtlich richtete sie die Spitze auf den Nachbarn.
„Hier muss man drehen, nicht wahr!?“, vermutete sie, wobei sie es auch schon tat.
„Vor...“ Ein kalter Wasserstrahl klatschte vor Jakobs Brust. „... sicht!“, vollendete er mit abwehrend erhobenen Händen. „So drehen Sie das Ding doch endlich ab!“
„Ich hab’s gleich ...“ Scheinbar ungeschickt hantierte sie am Ventil und hüllte den Nachbarn in einen feinen Sprühnebel. Nun wurde es Jakob zu bunt. Ungehalten griff er über den Zaun, riss Hanna den Schlauch aus der Hand und unterbrach die Wasserzufuhr. Nass und verärgert funkelte er seine Nachbarin an.
„Da haben Sie wirklich ganze Arbeit geleistet!“
„Sorry, aber ich konnte doch nicht ahnen, dass das Ding geladen ist.“
Es sollte bedauernd klingen, aber ihre Augen spielten nicht mit: In ihnen leuchtete es triumphierend auf.
„Das haben Sie absichtlich getan!“ behauptete Jakob, wobei er sie abschätzend musterte. Insgeheim gefiel sie ihm in ihrem sommerlichen Outfit. Die Shorts betonten die langen schlanken Beine, und das feuchte Top verriet, dass sie nichts darunter trug.
„Wieso sind Sie eigentlich nass?“, fragte Jakob verwundert. „Sie haben doch auf mich gezielt.“
„Meine unfreiwillige Dusche verdanke ich irgendeinem Trottel der harmlose Nachbarn durch die Hecke mit seinem Schlauch belästigt.“ Jovial nickte sie ihm zu. „Sie hatten übrigens recht: Heute ist wirklich ein schöner Tag.“
Seine Verblüffung ausnutzend, verschwand sie um die Hausecke. Durch den Eingang zum Souterrain betrat sie die Küche. Ihre Cousine war gerade mit dem Ausräumen des Geschirrspülers beschäftigt, als sie eintrat.
„Wie siehst du denn aus?“, fragte Marie erstaunt über Hannas nasses Top. „Bist du bei diesem herrlichen Sonnenschein etwa in eine Schlechtwetterfront geraten?“
Ein mehrdeutiges Lächeln huschte über Hannas Gesicht.
„Das waren eher Wasserspiele – mit unserem ach, so netten Nachbarn.“
Seufzend verdrehte Marie die Augen.
„Was war denn nun wieder los?“
„Nichts“, behauptete ihre Cousine und durchquerte barfuß die Küche. „Das machte richtig Spaß. – Mir jedenfalls.“
Unterdessen warf Jakob den Schlauch ärgerlich auf den Rasen. Über die Terrasse betrat er das Haus.
„Was ist dir denn passiert?“, sprach Jonas seinen triefenden Bruder schmunzelnd in der Diele an. „Wolltest du nicht den Garten sprengen? Mir scheint, den Umgang mit deinem neuen Wasserschlauch musst du noch ein wenig üben.“
„Ha, ha...“, grummelte Jakob und wischte sich die Tropfen aus dem Gesicht. „Wieso sind wir eigentlich ausgerechnet in hierher gezogen?“
„Das Haus hat die ideale Größe, befindet sich in guter Lage und ist finanziell erschwinglich“, zählte Jonas auf. „Sind das genug Gründe?“
„Du hättest dir die Nachbarn vorher ansehen sollen.“
„Stimmt was nicht mit ihnen? Das sind doch zwei sehr attraktive, reizvolle, zuvorkommende, hilfsbereite Ladies.“
„Das trifft nur auf Frau Mertens zu.“
„Ach, ja!? Demnach findest du ihre Cousine weder attraktiv noch reizvoll?“
„Diese Frau ist eine Mogelpackung“, erwiderte sein Bruder überzeugt. „Hinter ihrer Aufsehen erregenden Erscheinung verbirgt sich ein hinterhältiges Biest!“
„Ist daraus zu schließen, dass du deine Dusche im Freien Frau Flemming verdankst?“
„Du kombinierst heute erstaunlich schnell“, spottete Jakob. „Diese Verrückte hat mich absichtlich nass gespritzt. – Mit meinem eigenen Schlauch!“
„Wie ist ihr das denn gelungen?“, fragte Jonas amüsiert. „Wie ich dich kenne, hast du ihr vorher sogar ausführlich erklärt, wie das Teil funktioniert.“ Jakobs Gesichtsausdruck verriet seinem Bruder, dass er ins Schwarze getroffen hatte. „So dusselig kannst auch nur du sein“, lachte Jonas. „Allerdings halte ich es für unwahrscheinlich, dass Frau Flemming dich grundlos attackiert hat. Du hast sie nicht zufällig provoziert?“
„Auf welcher Seite stehst du eigentlich?“. beschwerte sich Jakob und wandte sich zur Treppe. „Um das Abendessen kannst du dich kümmern. Ich habe für heute genug!“
Wie ein begossener Pudel stapfte er die Stufen hinauf.
Kopfschüttelnd blickte Jonas seinem Bruder nach.
Bevor Hanna zum Sender fuhr, ging sie mit Geisha die Abendrunde. Wie immer lief die Hündin ein Stück vor, blieb dann aber stehen, um sich zu vergewissern, dass ihr Frauchen in Sichtweite blieb. Plötzlich schoss ein kleiner Hund um die Ecke. Temperamentvoll sprang er um Geisha herum und beschnüffelte sie ausgiebig. Natürlich erkannte Hanna in ihm sofort den Mini - Pavarotti. Demnach konnte der Nachbar nicht weit sein. Da sie auf ein erneutes Zusammentreffen keinen gesteigerten Wert legte, stieß sie einen kurzen Pfiff aus.
Nach kurzem Zögern beschloss ihr Hund, dass es ratsam sei, dieser Aufforderung zu folgen. Gehorsam trabte Geisha zu ihrer Herrin zurück. Während Hanna die Hündin anleinte, blieb auch der gefleckte Artgenosse bei ihr stehen.
„Na, du kleiner Kerl“, sprach Hanna ihn mit sanfter Stimme an und kraulte ihn zwischen den Ohren. „Bist du deinem Herrchen ausgerissen? Das war eine kluge Entscheidung.“
In diesem Moment bog auch ihr neuer Nachbar um die Ecke.
„Pavarotti!“, rief er und kam mit langen Schritten näher. „Eigentlich sollte ich mit dir schimpfen, weil du so weit vorgelaufen bist. – Andererseits verstehe ich, dass du dich zu diesen beiden reizenden Damen hingezogen fühlst.“
„Es ist nur Geisha, die diese Anziehung auf ihn ausübt“, meinte Hanna lächelnd. „Ohne sie hätte ich keine Chance, von ihm beachtet zu werden.“
„Vielleicht nicht von Pavarotti“, räumte er ein. „Mir wären Sie allerdings sofort aufgefallen, Frau Flemming.“
„Sie sind ein Schwindler, Herr Jensen“, tadelte sie ihn belustigt. „Aber ein charmanter.“
„Damit kann ich leben. Gehen wir noch ein Stück zusammen? Oder befinden Sie sich bereits auf dem Rückweg?“
„Eine halbe Stunde habe ich noch Zeit für den Abendspaziergang. – Dann muss ich zum Dienst.“
„Dürfen wir Ihnen unsere Begleitung anbieten?“
„Gern“, stimmte Hanna zu und ließ Geisha von der Leine. So-fort tollten sich die Hunde in die Richtung der Kleingärten.
„Die beiden scheinen sich gut zu verstehen“, sagte Hanna, während sie den Tieren langsam folgten. „Normalerweise schließt Geisha nicht so leicht Freundschaft mit einem Rüden.“
„Vierbeiner sind oft unkomplizierter als Menschen. Sie folgen nur ihrem Instinkt. Wir Zweibeiner dagegen neigen dazu, uns das Leben gegenseitig schwer zu machen.“
Hanna warf ihm einen kurzen, fragenden Seitenblick zu.
„Wollen Sie damit etwas Bestimmtes sagen?“
„Nun ja, Sie und mein Bruder scheinen nicht gerade große Sympathien füreinander zu empfinden“, erwiderte Jonas offen. „Was mir völlig unverständlich ist.“
„Sie kennen Ihren Bruder ein paar Tage länger als ich. Deshalb müssten Sie eigentlich wissen, dass er – um es vorsichtig auszudrücken – ein schwieriger Zeitgenosse ist.“
„Jakob ist ein ehrlicher, verlässlicher, sehr feinfühliger Mensch.“
„Feinfühlig?“, wiederholte Hanna spöttisch. „Ich fürchte, wir sprechen nicht von derselben Person.“
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