Bei ihrem Einkaufsbummel hatten Hanna und Anna viel Spaß.
Das Mädchen entdeckte in einer kleinen Boutique sogar eine modische, im Preis reduzierte Jeans für neunundvierzig Euro. In der Umkleidekabine probierte Anna die Hose an, ehe sie Hanna das begehrte Stück vorführte.
„Wie findest du sie?“
„Steht dir gut“, urteilte Hanna mit sicherem Blick. „Auch die Länge stimmt.“
Auf der Stelle drehte sich das Mädchen herum.
„Und von hinten?
„Perfekt.“
„Echt?“, zweifelte Anna. „Sieht mein Hintern darin nicht zu dick aus?“
„Im Gegenteil: Du wirkst richtig sexy.“ Hinter ihrem Rücken zauberte sie einen Bügel mit einem gehäkelten weißen Shirt hervor. „Das würde super dazu passen.“
Auch Anna gefiel es sofort.
„Geiles Teil.“ Sie nahm es ihr aus der Hand und hielt es sich vor dem großen Spiegel an den Oberkörper. „Sieht stark aus.“
„Probier es an“, forderte Hanna sie auf. „Es müsste deine Größe sein.“
Verstohlen warf Anna einen Blick auf das Preisetikett.
„Besser nicht. Ich habe doch nur fünfzig Euro.“
„Na, und!? Dafür besitze ich eine Kreditkarte.“
„Mam hat mir aber verboten, dich anzupumpen.“
Verschwörerisch blinzelte Hanna ihr zu.
„Mir hat sie aber nicht verboten, dir was zu schenken.“
Ein Leuchten lief über das Gesicht des Mädchens.
„Du bist einsame Spitze, Hanna! Mam hätte bestimmt nicht...“
Stirnrunzelnd brach sie ab. „Weißt du überhaupt, wie viel das Teil kostet?“
„Wahrscheinlich habe ich heute meinen leichtsinnigen Tag“, scherzte Hanna. „Zieh es an, ob es passt. Inzwischen schaue ich mich nach was Hübschem für deine Schwestern um.“
Nach einem Streifzug durch einige Geschäfte standen Hanna und Anna mit mehreren bunten Einkaufstüten beladen in der Fußgängerzone.
„Wohin jetzt?“, fragte das Mädchen. „Oder hast du schon alles, was du einkaufen wolltest?“
„Normalerweise gehe ich dienstags immer zur Massage“, überlegte Hanna, bevor sie einen Blick zur Uhr warf. „Allerdings wird es heute zu spät, wenn ich dich vorher zu Hause absetze.“ In ihrer Handtasche kramte sie nach ihrem Handy. „Ich werde den Termin verschieben.“
„Aber nicht meinetwegen“, verlangte Anna. „Ich kann mit den Öffies nach Hause fahren.“
„Das dauert doch ewig. Aber falls du nichts anderes vorhast, könntest du mich begleiten. Ich spendiere dir eine Verwöhn-Stunde. Danach fühlst du dich wie neugeboren.“
„Okay, ich bin dabei.“
Für Anna wurde das eine ganz neue Erfahrung. Wie Hanna lag sie bäuchlings auf einer Liege und genoss es, als die erfahrenen Hände der Masseurin ein duftendes Öl auf ihrer Haut verteilten.
Nach einer Weile schaute das Mädchen zu Hanna hinüber, die völlig entspannt auf der Liege neben ihr massiert wurde.
„Hanna!?“
„Mmm...“
„Darf ich dich was fragen?“
„Mmm...“
„Wie alt warst du, als du dich das erste Mal verliebt hast?“
Träge hob Hanna die Lider und schaute direkt in die erwartungsvoll auf sie gerichteten blauen Augen.
„Ich war ungefähr in deinem Alter. Damals habe ich die Internationale Schule in Madrid besucht. Der Junge hieß Sergio, war zwei Jahre älter als ich und hatte die schönsten braunen Augen, die ich je gesehen hatte.“
„Und?“, fragte Anna gespannt. „War er auch in dich verliebt?“
„Si, Señorita“, erwiderte sie versonnen lächelnd. „Muy fuerte.“
„Habt ihr euch auch geküsst?“
„Aber hallo“, lautete Hannas schelmische Antwort. Sie kannte das Mädchen gut genug, um mehr hinter dem plötzlichen Interesse an ihrer Jugendliebe zu vermuten. „Warum möchtest du das eigentlich wissen?“ fragte sie geradeheraus. „Bist du etwa verliebt?“
„Ich?“, tat Anna entrüstet. „Wie kommst du denn darauf?“
„Sorry“, bat Hanna, während sie einen wissenden Blick mit der Masseurin tauschte. „Irrtümlich dachte ich, wir führen hier ein offenes Gespräch.“ Als sei die Sache damit für sie erledigt, schloss sie wieder die Augen.
Schweigend genossen sie die Massagen. Da Hanna hinterher gern noch ein wenig ruhte, zogen sich die Masseurinnen nach der Behandlung zurück.
„Hanna!?“, sagte Anna zaghaft. „Bist du jetzt sauer auf mich?“
„Überhaupt nicht“, entgegnete sie, ohne die Augen zu öffnen. „Ich kann gut verstehen, dass du über so persönliche Dinge lieber mit deiner Mutter sprichst. Immerhin bin ich nur...“
„Das stimmt doch nicht“, fiel Anna ihr ins Wort. „Mit Mam würde ich gar nicht darüber reden wollen. Sie reagiert immer gleich besorgt, verteilt kluge Ratschläge... Na ja, eben wie Mütter so sind. Mit dir kann ich wie mit einer guten Freundin sprechen, weil du nicht nur das Kind in mir siehst. Eltern wollen einen ständig vor allem beschützen. Tu dies nicht, tu das nicht...“ Tief seufzte sie auf. „Dabei muss ich meine Erfahrungen doch selbst machen.“
Nun schlug Hanna doch die Augen auf. Sie stützte den Kopf auf die linke Hand und schaute das Mädchen verständnisvoll an.
„Mir ist es damals ähnlich ergangen. Ich war vierzehn, als wir in die Heimat meines Vaters gezogen sind. Madrid ist eine wunderschöne Stadt, aber für mich war das eine völlig neue Welt. Meine Eltern ließen mich keinen Schritt allein aus dem Haus gehen – aus Furcht, mir könne etwas zustoßen.“
„Das stelle ich mir schrecklich vor“, überlegte Anna. „Man muss doch auch mal allein was unternehmen.“
„Nach ein paar Wochen habe ich rebelliert“, erzählte Hanna. „Mittlerweile habe ich mich in der Stadt einigermaßen ausgekannt und meinen Eltern klargemacht, dass ich kein kleines Mädchen mehr bin, das einen Aufpasser braucht. Es hat mich viele Tränen gekostet, mir ein Stück Freiheit zu erkämpfen. Heute ist mir natürlich bewusst, dass meine Eltern einfach nur in Sorge um mich waren – weil sie mich liebten und mich vor der bösen Welt dort draußen beschützen wollten.“
„Auch Mam meint es mit ihrer Fürsorge nur gut“, sagte Anna ernst. „Trotzdem ist es manchmal echt peinlich, mit ihr über Dinge zu sprechen, für die ich angeblich sowieso zu jung bin.“
„Beispielsweise Sexualität“, vermutete Hanna. „Nicht nur dein Körper hat sich in den letzten Monaten verändert – sondern auch, was du fühlst, nicht wahr!? Wahrscheinlich gibt es sogar schon einen Jungen, der dir besonders gut gefällt.“
„Kannst du hellsehen?“
„Das eine zieht das andere meistens nach sich“, erwiderte sie lächelnd. Unbefangen erhob sie sich von der Liege und schlang ein Handtuch um ihren schlanken Körper. „Weiß er, dass du ihn magst?“
„Nein“, gestand Anna leise und folgte ihr in den Umkleide- raum. „Wir kennen uns noch nicht lange ...“
„Was gefällt dir denn an ihm?“, fragte Hanna beim Anziehen. „Ist er hübscher als die anderen?“
„Darauf kommt es doch gar nicht an“, erklärte Anna mit wegwerfender Geste. „Obwohl auch er echt süß aussieht, bildet er sich nichts darauf ein. Überhaupt ist er viel ernsthafter als die anderen Jungen, die nur das eine im Kopf haben und dumme Sprüche ablassen. Diese oberflächlichen Typen gehen mir schon lange auf den Geist.“
„Wahrscheinlich ist dein heimlicher Schwarm reifer als seine Altersgenossen“, schloss Hanna aus ihren Worten. „Ist er bei Mädchen und Jungen gleichermaßen beliebt?“
„Alle mögen ihn“, bestätigte Anna. „Die Jungens, weil er ein toller Kumpel ist - und die Mädchen...“ Ein tiefer Seufzer löste sich von ihren Lippen. „Die sind fast alle hinter ihm her. Da habe ich sowieso keine Chance.“
„Wenn du so negativ denkst, hast du die tatsächlich nicht. Vielleicht solltest du ihn spüren lassen, dass er dir nicht gleichgültig ist.“
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