„Dafür füttert mich der beste Partyservice der Stadt kostenlos mit durch“, bemerkte Hanna, wobei sie Marie warnend anschaute. „Damit sind wir quitt.“
„Auch der Ausbau des Souterrains muss doch ein Vermögen gekostet haben“, überlegte Jakob. „Soweit ich das beurteilen kann, ist Ihre Küche auf dem modernsten technischen Stand.“
„Den gesamten Umbau hat Hanna mit einigen Freunden durchgezogen“, erklärte Marie. „Ich musste nur das Material und die Küchenausstattung bezahlen. Dafür ist das kleine Erbe meines Vaters draufgegangen. Bei der Eröffnung war ich praktisch pleite, aber unsagbar stolz.“
„Schon bald galt Marie als Geheimtipp“, fügte Hanna hinzu. „Ihr kulinarisches Repertoire ist wirklich enorm.“
„Macht es Ihnen tatsächlich nichts aus, tagtäglich für andere Leute am Herd zu stehen?“, fragte Jakob mit deutlichem Zweifel in der Stimme. „Wird das auf die Dauer nicht eintönig?“
„Überhaupt nicht“, verneinte Marie. „Neben meinem Standartangebot kreiere ich oft andere Gerichte und probiere ständig neue Rezepte aus. Bei besonderen Anlässen betreue ich das Buffet auch den ganzen Abend. Es ist schön, zu hören, wenn die Gäste von meiner Arbeit begeistert sind.“
„Ein erstklassiges Buffet rundet jede Feier erst ab“, befand Hanna. „Wenn man von einer Party erzählt, spricht man auch vom Essen. War es gut, wird es gelobt. Andernfalls heißt es, die Party war recht nett, aber das Buffet war langweilig oder es ließ zu wünschen übrig. Ist es Ihnen noch nie passiert, dass Sie irgendwo eingeladen waren und sich später vor allem an die leckeren Speisen erinnerten, Herr Jensen?“
„Erst kürzlich“, überlegte Jakob. „Vor etwa zwei Monaten habe ich eine Freundin zu einer Feier anlässlich der Verabschiedung von Professor Rademacher begleitet. In seiner Villa war ein mediterranes Buffet aufgebaut. Es war nicht nur optisch ein Kunstwerk; es schmeckte auch vorzüglich. Ich habe lange nicht so ausgezeichnet gegessen.“
„Das war von mir“, bemerkte Marie lächelnd. „Die Rademachers zählten damals zu meinen ersten Kunden. Seitdem richte ich all ihre Feste aus.“
„Alle Achtung“, sagte er anerkennend. „Offenbar habe ich Sie unterschätzt.“ Mit fragend erhobenen Brauen blickte er seinen Neffen an, der mit seinem Teller in der Hand neben ihm stehenblieb.
„Kann ich noch ein Stück Streuselkuchen haben, Onkel Jakob? Da ist so leckerer Vanillepudding drin.“
„Hast du noch nicht genug, Timo?“ antwortete sein Onkel mit leisem Vorwurf. „Unsere Gäste werden glauben, dass ihr den ganzen Tag noch nichts zu essen bekommen habt.“
„Sonst sagst du immer, ich soll ordentlich essen, damit ich wachse.“
„Recht hat er“, meinte Marie amüsiert und nahm die Kuchenplatte vom Tisch. „Hier, mein Junge. Vielleicht möchten die anderen auch noch ein Stück.“
„Danke“, strahlte Timo und trollte sich zum Nebentisch.
„Ihr Sohn weiß offenbar einen Leckerbissen zu schätzen“, wandte sich Hanna an Jonas. „Auch ich kann nicht widerstehen, wenn Gebäck mit Vanillecreme gefüllt ist. Leider wirken sich diese Kalorienbomben nicht gerade vorteilhaft auf die schlanke Linie aus.“
„Bei Ihrer fabelhaften Figur können Sie sich solche kleinen Sünden bestimmt spielend leisten“, entgegnete Jonas charmant, so dass Hanna hell auflachte.
„Glauben Sie etwa, ich jogge aus reinem Vergnügen? Ohne mein tägliches Lauftraining sähe man mir schon von weitem an, dass ich mit einer Meisterköchin unter einem Dach lebe.“
„Ginge es danach, wäre ich schmaler als ein Handtuch“, scherzte Jonas. „Die Kochkünste meines Mitbewohners könnte man eher als Schrecken der Familie bezeichnen.“
„Ach, tatsächlich?“, wunderte sich Hanna und richtete ihren Blick auf Jakob. „Gibt es wirklich was, das Sie nicht so perfekt beherrschen, wie unüberhörbare morgendliche Gartenarbeit?“
„An den Herd stelle ich mich nur, damit meine Neffen mittags eine warme Mahlzeit bekommen“, brummte er. „Ich habe nie behauptet, dass ich ein 3-Sterne-Koch bin. Bis wir eine Haushaltshilfe gefunden haben, kannst du gern jeden Mittag nach Hause kommen, Jonas, und deine Kinder versorgen.“
„Nun sei nicht gleich beleidigt, Jakob“, bat sein Bruder. „Das war doch nur ein Scherz. Schließlich ist es kein Geheimnis, wie froh ich darüber bin, dass du mich so tatkräftig unterstützt. Ohne dich wären wir alle aufgeschmissen.“
„Du übertreibst“, entgegnete Jakob versöhnt. „Eine Familie muss zusammenhalten. Deshalb werde ich weiterhin kochen. Obwohl eigentlich Frauen in die Küche gehören.“
„Allmählich glaube ich, zeitweise sind Ihre Ansichten noch antiquierter als Ihr Auto“, konnte Hanna nicht umhin, zu bemerken. „Haben Sie noch nie von Gleichberechtigung gehört?“
„Die meisten Frauen sind doch froh, wenn sie einen starken Mann an ihrer Seite haben“, sagte Jakob im Brustton der Über-zeugung. „Weicheier werden selten als Ehemänner erwählt.“
Leise lachend griff Hanna nach ihrer Kaffeetasse.
„Wenn das eben kein Eigentor war... Hat ein so unwiderstehlicher Mann etwa keine Frau abgekriegt?“
„Bei meinen hohen Ansprüchen ziehe ich es vor, als Single durchs Leben zu gehen“, parierte er „Wie sieht es denn in dieser Hinsicht bei Ihnen aus, Frau Flemming? Hat noch keiner angebissen? Oder hat einfach niemand den Mut aufgebracht, Sie vor den Traualtar zu führen?“
Diese Worte trafen Hanna an einer empfindsamen Stelle. Ihr kühler Blick streifte den Nachbarn.
„Mein Mann hat mich vor vier Jahren verlassen ...“
„Konnte er Ihre spitze Zunge nicht länger ertragen? Wahrscheinlich haben auch all meine Geschlechtsgenossen daraufhin die Flucht ergriffen, weil keiner den frei gewordenen Platz an Ihrer Seite einnehmen wollte.“
„...konnte“, korrigierte sie ihn mit eisiger Stimme und erhob sich. Sie stieß einen kurzen Pfiff aus, worauf Geisha sofort angelaufen kam. Gemeinsam mit ihrem Hund verließ Hanna in stolzer Haltung das Grundstück.
„Das war eben wirklich genial daneben“, tadelte Jonas seinen Bruder. „Täusche ich mich, oder sollte dieser Nachmittag ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis einläuten?“
„Mir ist durchaus bewusst, dass ich zu weit gegangen bin“, brauste Jakob auf. „Diese Frau fordert mich ständig dazu raus, unüberlegte Dinge zu sagen.“
„Eigentlich ist Hanna hart im Nehmen“, wusste Marie. „Nur wenn es sich um Achim handelt, fällt es ihr immer noch schwer, gelassen zu reagieren. Er war ihre große Liebe; sie haben bis zu seinem plötzlichen Tod eine Bilderbuchehe geführt.“
„Woran starb er?“, fragte Jonas mitfühlend. „Hatte auch er eine unheilbare Krankheit?“
„Es war ein Unfall“, verneinte Marie. „Achim kam aus einem Blumengeschäft und wollte die Straße überqueren. Für Anfang März lag noch ungewöhnlich viel Schnee. Mitten auf dem Zebrastreifen wurde er von einem Auto erfasst, das mit überhöhter Geschwindigkeit herangebraust kam und nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte.“
„War er sofort tot?“
„Ja. Er starb mit den roten Rosen im Arm, während Hanna zu Hause ein romantisches Dinner vorbereitet hat. – Es war ihr Hochzeitstag.“
„Ausgerechnet...“, murmelte Jakob betroffen. „Vermutlich hat sie ungeduldig auf ihren Liebsten gewartet. Statt ihm stand irgendwann die Polizei mit dieser Hiobsbotschaft vor der Tür.“
„Genau so war es“, bestätigte Marie. „In der Folgezeit hat Hanna wie eine Marionette funktioniert. Sie hat lange gebraucht, bis sie akzeptieren konnte, dass sie ihr Leben ohne Achim einrichten musste.“
Nach einem Besuch am Grab ihres verstorbenen Mannes beantwortete Hanna bis zum Abend die zahlreiche Fanpost, die im Funkhaus für den Engel der Nacht eingegangen war. Auch diesmal waren wieder einige Briefe aus der Justizvollzugsanstalt dabei. Anscheinend wurden Angels Sendungen von den Insassen regelmäßig gehört.
Читать дальше