„Wenn es unbedingt sein muss“, grummelte Sara und folgte den anderen durch das Gartentor des Nachbargrundstücks.
Jakob erwartete sie bereits vor der Haustür. Er ließ sich seine Verwunderung darüber nicht anmerken, dass auch Hanna dabei war. Insgeheim hatte er damit gerechnet, dass sie sich durch ihre Cousine entschuldigen lassen würde.
„Herzlich willkommen“, begrüßte er die Gäste freundlich. „Darf ich Sie gleich um das Haus herum führen? Wir haben auf der Terrasse gedeckt.“
Dort waren zwei große runde Tische mit allem hergerichtet, was eine gemütliche Kaffeetafel ausmachte. Nur der Kuchen fehlte.
Der Nachwuchs beider Familien begrüßte sich zurückhaltend.
Offenbar hielt sich auch die Begeisterung der Jungen über den Mädchenbesuch in Grenzen. Jakob stellte seine Neffen vor und bot den Damen Platz an.
„Schön, dass Sie mitgekommen sind, Frau Flemming“, wandte er sich an Hanna. „Habe ich auch das der Anziehungskraft meiner Glücksstiefel zu verdanken?“
„Mit Sicherheit nicht“, verneinte sie kopfschüttelnd. „Thomas hat gestern erwähnt, dass Sie einen unglaublich sympathischen Bruder haben. Das wiederum erscheint mir unvorstellbar. Deshalb betrachte ich Ihre Einladung als Gelegenheit, zu überprüfen, ob Sie beide tatsächlich so verschieden sind.“
„Herzlichen Dank“, brummte Jakob. „Anscheinend habe ich mich heute vergeblich bemüht, Ihrem Schlafbedürfnis gerecht zu werden.“
„In dieser Hinsicht erscheinen Sie mir merkwürdigerweise lernfähig“, lenkte sie ein. „Obgleich Ihre musikalische Darbietung ein bisschen zu gut gemeint war. – Besonders, die Auswahl der Stücke.“
„Ich gelobe feierlich, mich zu bessern“, erwiderte er versöhnt und deutete auf seinen Bruder, der eben die Terrasse betrat. „Das ist der Sympathieträger der Familie. Hoffentlich entspricht er Ihren Erwartungen, Frau Flemming.“
„Er übertrifft sie sogar“, konnte sie sich nicht verkneifen, zu bemerken. Jonas Jensen wirkte tatsächlich auf Anhieb sehr anziehend. Er strahlte etwas Jungenhaftes aus.
Jakob übernahm es, seinen Bruder mit den Nachbarinnen bekanntzumachen.
Während er sich zu ihnen setzte, bewunderte Jonas das kunstvoll verzierte Gebäck.
„Haben Sie das alles selbst gebacken, Frau Mertens?“, wandte er sich an Marie. „Sie müssen den ganzen Vormittag damit zugebracht haben.“
„Wenn man ständig in Übung ist, geht einem das leicht von der Hand.“
„Mein Bruder hat erzählt, dass Sie nebenan einen Partyservice betreiben.“ Damit schien sein Interesse an Marie schon erloschen. Lächelnd schaute er Hanna an. „Beschäftigen Sie sich ebenfalls mit der Zubereitung kulinarischer Köstlichkeiten, Frau Flemming?“
„Überwiegend mit der Konsumierung“, erwiderte sie. „Bei einem Kochgenie in der Familie bleibt einem keine andere Wahl, als auf der anderen Seite zu kämpfen.“
„Wie ich gehört habe, arbeiten Sie nachts“, fuhr Jonas fort. „Darf ich fragen, in welchem Gewerbe Sie tätig sind?“
„Ich bin Redakteurin“, nannte sie die offizielle Bezeichnung ihrer Tätigkeit. „Und Sie?“
„Mein Schreibtisch steht bei der Norddeutschen Landesbank“, gab er ihr bereitwillig Auskunft. „Für welches Ressort schreiben Sie? Politik? Wirtschaft? Sport? Und für welche Zeitung?“
„Für keine mehr. – Früher war ich bei der HAZ, aber seit zwei Jahren bin ich beim Rundfunk“, kam sie seiner nächsten Frage zuvor. „Als Nachrichtenredakteurin bei Radio 2000.“ Auf diesem Posten hatte sie damals tatsächlich beim Sender angefangen. „Ein sehr interessantes Aufgabengebiet.“
„Demnach arbeiten Sie mit Thomas’ Bruder zusammen“, folgerte Jakob ziemlich überrascht aus ihren Worten. „Da ist es nur logisch, dass Sie die Identität des Engels der Nacht sehr wohl kennen.“
„Die Nachrichtenredaktion ist in einem anderen Gebäudeteil untergebracht“, erklärte sie geduldig. „Von den vielen Mitarbeitern des Senders weiß nicht mal eine Handvoll, wer Angel wirklich ist.“ Ihre grünen Augen fixierten ihn eindringlich. „Warum interessieren Sie sich eigentlich so sehr für sie? Haben Sie einen Hang zum Überirdischen? Oder sind Sie ein Amateur-Sherlock-Holmes, der immer alles genau wissen muss?“
„Das verstehen Sie nicht“, lautete seine absichtlich arrogante Antwort. „Immerhin sind Sie eine Frau.“
„Je mehr ich von manchen Männern wahrnehme, umso mehr liebe ich meinen Hund“, bemerkte Hanna, worauf Jonas amüsiert lachte.
„Touché! – Endlich mal jemand, der dir so richtig Kontra gibt, Jakob.“
„Das freut den kleinen Bruder“, sagte dieser lakonisch und schenkte den Kaffee ein.
Am anderen Tisch kam kein Gespräch auf. Das war auch schlecht möglich, da die Jungens damit beschäftigt waren, den Kuchen zu vertilgen.
„Schmeckt echt geil“, meinte der 12jährige Leon mit vollem Mund. „Viel besser, als der Kuchen, den Onkel Jakob immer besorgt.“
„Backt eure Mutter keinen Kuchen?“, fragte die kleine Lisa ahnungslos. „Wo ist sie eigentlich?“
„Im Himmel“, erwiderte der um ein Jahr ältere Timo. „Unsere Mama ist gestorben, als ich vier war.“
„Einfach so?“, wollte Lisa wissen, worauf Anna sie leicht am Arm anstieß.
„Sei nicht so neugierig. Das geht dich nichts an.“
„Lass nur“, sagte Max, der Älteste der Brüder. „Unsere Mutter war sehr krank: Leukämie. – Blutkrebs“, fügte er erklärend hinzu. „Sie hatte keine Chance.“
„Das muss hart für euch gewesen sein“, mutmaßte Anna mitfühlend. „Wenn ich mir vorstelle, Mamarie wäre plötzlich nicht mehr da...“
„Mamarie!?“, wiederholte Leon kopfschüttelnd. „Was ist denn das für ein ätzender Name?“
„Den habe ich erfunden“, verkündete Sara. „Anna sagte als kleines Mädchen Mama zu ihr – und alle anderen nannten sie Marie. Als ich sprechen lernte, wurde daraus Mamarie.“
„Mam klingt viel cooler“, befand Leon. „Mam und Paps.“ Aufmerksam schaute er Sara an. „Was ist mit eurem Vater? Auch gestorben? Oder hat er nicht mal am Wochenende Zeit für euch?“
„Papa hat immer Zeit für uns!“, empörte sich Lisa. „Aber er wohnt nicht hier! Unsere Eltern haben sich geschieden!“
„Besucht er euch manchmal?“
„Wir sehen uns jedes zweite Wochenende“, beantwortete Anna die Frage von Max. „Wir können Paps auch jederzeit anrufen oder zu ihm kommen, wenn wir ihn brauchen.“
„Hat eure Mutter nichts dagegen?“
„Warum sollte sie? Seit sie nicht mehr miteinander verheiratet sind, verstehen sich unsere Eltern besser als zuvor.“
Am anderen Tisch fragte Jakob gerade Marie über ihren Beruf aus.
„Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, ausgerechnet einen Catering-Service zu eröffnen, Frau Mertens?“
„Nach meiner Scheidung brauchte ich einen Job. Mein Ex hat mir neben dem Unterhalt für die Kinder zwar auch eine monatliche Summe für mich angeboten, aber ich wollte nicht auf seine Kosten leben. Da ich mein Studium abgebrochen hatte, als Anna unterwegs war, habe ich mich auf das besonnen, was ich mittlerweile am besten konnte: Kochen und Backen. Außerdem hatte ich mich vorher schon bei verschiedenen Festlichkeiten über so manches lieblos zusammengestellte Buffet geärgert. Ich war der festen Überzeugung, dass man so etwas besser machen könnte.“ Sie warf Hanna einen dankbaren Blick zu. „Hätte meine Cousine uns nicht aufgenommen und mir das Souterrain für meine Pläne zur Verfügung gestellt, hätte ich meinen Traum vom eigenen Partyservice dennoch begraben müssen. Doppelte Miete für eine Wohnung und Räumlichkeiten für meinen Betrieb hätte meine finanziellen Möglichkeiten bei weitem überstiegen. Da Hanna sich weigert, Geld von mir zu kassieren, muss ich nun nur meine Energiekosten tragen.“
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