Als alles geklärt ist, will ich nicht mein Gesicht verlieren und greife nach meinen Krücken, um damit weg zu humpeln.
Immi: »Warum schmeißt du die Dinger nicht einfach weg?«
»Na, weil ich nicht noch mehr Blicke auf mich ziehen will. Wie sieht das denn aus, wenn ich eben noch ein behindertes Sicherheitsrisiko bin und plötzlich wie ein junger Gott durch die Gegend hopse?«
Ich nehme meinen Travelmaster ab, lasse Immi mit meinem Riesenrucksack stehen und humple auf die Toilette. Eine Reinigungskraft hält mir sogar noch die Tür auf »Kann ich ihnen helfen?«
»Nein danke, ich muss lernen, mit meiner Behinderung umzugehen.«
Ich verschwinde in einer Kabine, warte ein paar Sekunden und spaziere dann gut gelaunt ohne Krücken zum Waschbecken und weiter in Richtung Ausgang. Dabei bemerke ich im Spiegel, wie die Reinigungskraft völlig ungläubig hinter mir her starrt und sich etwas in ihrer Landessprache in den deutlich sichtbaren Bart brummelt.
Ich rufe ihr zu »Kabine 8 wirkt Wunder!« und lasse sie im Glauben zurück, dass eine ordentliche Magen-Darm-Entleerung so manche Verspannung lösen und sogar dafür sorgen kann, dass das Gehvermögen wieder hergestellt wird.
Immi und ich beschließen, direkt durch die Sicherheitskontrolle zu unserem Gate zu gehen. Die Spannung steigt. In knapp einer Stunde ist Abflug.
Lustlos fragt mich ein Sicherheitsbeamter »Flüssigkeiten? Getränke?«
Ich, damals diese hirnverbrannte Möchtegern-Kontrolle noch nicht so gewohnt »Warum? Haben sie Durst?«
Mein Witz kommt offensichtlich nicht gut an und mit monotoner Stimme werde ich darüber aufgeklärt, dass Flüssigkeiten an Bord von Flugzeugen nicht unbegrenzt erlaubt seien, weil es sich um Flüssigsprengstoff handeln könne, den die normalen Piepsgeräte hier nicht von harmlosen Kaltgetränken unterscheiden können. Daher dürfe ich pro Verpackung maximal 100ml mitnehmen und davon dann auch höchstens zehn Stück.
Moment mal? Flüssigsprengstoff ist von Wasser nicht zu unterscheiden und deshalb darf ich nur zehn mal 100ml, also insgesamt einen Liter mitnehmen?
Wie bescheuert ist das denn?
Ich würde mal behaupten, dass ich mit einem ganzen Liter Flüssigsprengstoff genug Schaden anrichten kann, um den Vogel vom Himmel zu holen. Dann ist es doch eigentlich egal, wie viel Flüssigkeit ich dabei habe. Nein, ist es seit dem 11. September eben nicht mehr! Ich ergebe mich widerwillig der Pseudo-Kontrolle, die mir nicht die Bohne an Sicherheitsgefühl vermittelt, sondern lediglich aufzeigt, wie man seinen Sprengstoff stückeln muss, damit man fröhlich durch den Sicherheitscheck kommt. Hinweistafeln erklären einem zusätzlich ganz genau, dass es sinnvoll ist, neben kleinen Fläschchen, auch Cremedosen und Tuben für die Aufbewahrung des Sprengstoffs zu verwenden. Außerdem muss dann alles noch in einen Zip-Beutel gepackt werden. Ein normaler Plastikbeutel reicht nicht aus. Es muss unbedingt ein Beutel mit Verschluss sein. Vermutlich soll das dann meinen Zugriff auf meinen Liter Flüssigsprengstoff verzögern. Sind die Leute, die solche Sicherheitsrichtlinien erlassen, eigentlich selbst schon mal mit einem Flugzeug geflogen?
Nach der Sicherheitskontrolle sieht der Münchner Flughafen ähnlich aus wie vorher. Kaffee- und Snackbars, Modeboutiquen und zusätzlich kleinere Getränkestände. Alles ist nur doppelt so teuer. Besonders Getränke, weil man sich ab hier ja mit Flüssigkeiten neu eindecken muss. Ist an so einer Stelle die Frage erlaubt, ob die Getränkeindustrie oder die Flughafenkioskbetreiber etwas mit den Anschlägen auf das World Trade Center und den daraus resultierenden, verschärften Sicherheitskontrollen zu tun haben?
Als wir endlich am Gate ankommen, sind wir total erleichtert. Erst verpennt, dann der Autobahnschneesturm und zuletzt das Flughafen-Hin-und-Her. Jetzt liegt es nicht mehr in unserer Hand. Ab sofort begeben wir uns in die Verantwortung der Bodencrew, dem Piloten mit seinen hoffentlich hübschen Stewardessen und natürlich... genau:
DEN MECHANIKERN, DIE DEN SCHEIß FEHLER NICHT FINDEN, DER VERHINDERT, DASS UNSER FLUGZEUG ÜBERHAUPT ERSTMAL BIS NACH MÜNCHEN KOMMT!
Der Vogel hängt laut Durchsage des Bodenpersonals noch in Hamburg fest. Grund hierfür seien technische Probleme. Kleiner Scherz der netten Bediensteten: »Aber wenn er es nachher von Hamburg nach München geschafft hat, kommen wir auch nach Bangkok.«
Die weiß ja nicht, dass wir bestens darüber informiert sind, was auf dem Weg von Hamburg nach München alles passieren kann.
Immi wundert sich »Warum sind wir mit deinem Corsa nach München gegurkt, wenn der Düsenjet doch sowieso aus Hamburg kommt?«
Ich dazu »Bete mal lieber still und leise, dass unser Pilot, der uns von München nach Bangkok fliegt, nicht einer dieser wild gewordenen Geländewagenfahrer ist. Und wenn du schon dabei bist, dann schick noch mit auf den Gebetsweg, dass der Frischelasterfahrer nicht die Ersatzteile transportiert!«
Wir lachen und nehmen es, wie es kommt.
Der Flug ist zunächst um zwei Stunden verschoben. Macht nix, wir werden ja nicht erwartet. Die Zeit nutzen wir, um uns einen Überblick über die anderen Passagiere zu verschaffen, mit denen wir diese aufregende Reise antreten. Alles dabei. Zur leichteren Identifizierung für sofortige und spätere Lästerattacken geben wir den Highlights dieser Menschenmischung ausgefallene Namen. Da ist zum Beispiel ein älterer Herr im Hawaiihemd mit seiner thailändischen Frau. Er bekommt den Namen 'Thai-Hawaii' und seine Frau aufgrund ihres außergewöhnlich länglichen Gesichts den schönen Titel 'Pony'. Beide fallen, neben ihrer äußeren Erscheinung und durch die Bedienung des Klischees »Alter Mann mit junger Thai-Frau«, vor allen Dingen durch ihre lautstarke Kommunikation auf. Als sich Thai-Hawaii noch einmal persönlich davon überzeugt hat, dass er, genau wie alle anderen dreihundert Passagiere, auch nicht früher los fliegen kann, brumpft er die Bodendame an »Wären wir bloß wieder mit Thai-Air zu den Reisfressern geflogen und nicht mit - Pieps -!« (Den Pieps musste ich einblenden, weil ich nicht weiß, ob Negativwerbung in Unterhaltungsbüchern zu Freiheitsstrafen führen kann.) Während er diesen unüberhörbaren Satz mit den Reisfressern rausbrüllt, tätschelt er seiner Frau am Hintern rum und freut sich darüber, dass er die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Umherstehenden genießt. Pony, beeindruckt von der Autorität ihres Kerls, nickt derweil zustimmend. Sich mal lautstark beschweren, hat noch jeden kleinschwänzigen Opa mit Midlife-Krise zum stolzen Pavian werden lassen. Die Deutschkenntnisse seiner ihn liebenden Ehefrau reichen scheinbar noch nicht aus, um ihm diesen kleinen Seitenhieb gegen sich und ihre Landsleute krumm zu nehmen. Sie macht weiterhin einfach nur ein langes Gesicht.
Dann eine neue Durchsage. Der Flieger sei jetzt in München, könne aber leider noch nicht starten, weil noch ein Ersatzteil fehle. Aha! Und der Pilot ist heldenhaft ohne dieses lebenswichtige Ersatzteil quer über die Bundesrepublik geflogen und sicher in München gelandet?
Der Abflug soll sich noch bis circa 19:00 Uhr verschieben, weil die Witterungsbedingungen die Lieferung des Ersatzteils verzögern. Lass doch einfach einen Hamburger Geländewagenfahrer los düsen, um das Ding zu holen, denke ich und freue mich im gleichen Atemzug über den Rest der Ansage:
»Um ihnen unser Bedauern auszudrücken und die Wartezeit etwas zu verkürzen, erhalten sie von uns einen Gutschein zur Einlösung in allen Shops und Restaurants des Abflugbereichs.«
Eine Mischung aus Müdigkeit, Undank und geistiger Unterbelichtung führt zu einer sofortigen Beschwerdewelle am Schalter der jungen, verzweifelten Dame. Eben noch in typisch deutscher Warteschlangen-Position auf den Abflug wartend, entwickelt sich die Meute schlagartig zu einer meckernden galgenhumorigen Masse von Urlaubern, die bis dato bereits mehrere Stunden ihres verdienten Jahresurlaubs vergeudet haben.
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