Nun gut, dann buche ich mir eben selbst ein Bahnticket. Das ginge komischerweise problemlos online mit sofortigem Ticketausdruck. Leider ist der Preis viel zu hoch. Günstige Bahntickets sind ausgebucht. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Bahn diese angeblichen Schnäppchentickets nur für einen Sekundenbruchteil ins Netz stellt, um dann allen Interessierten zu sagen »Tut uns furchtbar leid, aber das Angebot ist ausgebucht. Nutzen Sie doch unseren Normaltarif, der ja nur so teuer ist wie eine Taxifahrt von Hamburg nach Stuttgart.«
Das Gleiche gilt auch für die Billigflüge dieser 'Do-it-yourself-Airlines', bei denen du dein Essen mitbringen musst, dein Gepäck selbst verlädst und gegebenenfalls mit einem Stehplatz rechnen darfst. Auch hier nur noch Premiumpreise für Frachtmaschinen-Tickets.
Es bleibt nur eine Alternative. Immi und ich müssen mit meinem Auto nach München fahren. Das ist für uns beide zusammen viel günstiger als Zugtickets oder ein Inlandsflug.
Die Einreiseformalitäten für Thailand sind über das Internet auch schnell geklärt. Man benötigt einen gültigen Reisepass und sollte sich impfen lassen. Wie durch ein Wunder finde ich sogar meinen Reisepass - gültig.
Bei der Impfung will ich kein Risiko eingehen und beschließe, mich vertrauensvoll an das Tropeninstitut hier in Hamburg zu wenden. Die bieten Sprechstunden für Reisende an, die es in ferne Länder zieht.
Heute muss ich aber in erster Linie den Schock verdauen. Mir ist immer noch ziemlich flau im Magen und mein Kopf sagt mir mit hämmernden Schmerzen, dass sämtliche Aktivitäten auf den nächsten Tag verlegt werden müssen. Ich entspanne mich, schalte den Fernseher ein und gucke mit zufriedenem Grinsen eine Doku-Soap über eine Familie, deren Leben genau so nett ist, wie meins.
Moment mal! Wie meins WAR!
Ich habe schließlich gerade einen spontanen Trip nach Thailand gebucht.
Tschüss NETT ! Endlich passiert mir das Leben!
Wie doll mir das Leben passiert, ahne ich hier noch nicht im Entferntesten.
Donnerstagmorgen: Ich habe mir vorgenommen, mich zunächst im Tropeninstitut beraten und impfen zu lassen. Danach will ich Immi anrufen, um ihr alle Ergebnisse meiner Vorbereitungen zu präsentieren.
Von meiner Wohnung kann ich zu Fuß zum Tropeninstitut gehen. Ich brauche nur etwa zehn Minuten. Das Institut ist eine Mischung aus Krankenhaus und Seuchenberatungsstelle. So habe ich es zumindest verstanden. Am Empfang werde ich freundlich begrüßt und gebeten, der roten Linie auf dem Fußboden zu folgen und am Ende im Wartezimmer Platz zu nehmen. Auf meinem Weg der roten Linie entlang, frage ich mich, wo ich wohl lande, wenn ich ganz rebellisch einfach der gelben Linie folge. Bei meinem Glück wird das dann vermutlich die Quarantänestation für Ebola-Patienten. Im Hinblick auf meine kurze Vorbereitungszeit für die Reise verzichte ich auf das Experiment und gehe brav, der roten Linie folgend, um die Ecke und noch ein Stück weiter zum Wartezimmer. Dort ziehe ich eine Nummer und starre wie alle anderen auf die kleine Anzeigetafel über der Tür, die anzeigt, welche Nummer zum Behandlungszimmer vortreten darf.
Mein Blick streift durch den Raum. Ich sehe mir das Publikum an und stelle mir vor, dass einige der Männer Seeleute sind. Welche Krankheiten sie auf ihrem Dampfer wohl in unsere Stadt geschleppt haben? Ob das 'schifffahrtsnahe Amüsiergewerbe' Hamburgs (vornehmer Ausdruck für Nutten) jetzt mit allem infiziert ist, was mir hier so gegenüber sitzt?
Ein asiatisch aussehender Mann, vielleicht ein Philippino, trägt einen Mundschutz und hustet andauernd heftig in den kleinen Stofflappen, der nur mit zwei losen Gummibändern an seinen Ohren bammselt. Bei jeder Hustenattacke bläht sich der Mundschutz auf wie ein Segel und entfernt sich so weit von seinem Kopf, dass genug Platz ist, sämtliche Viren, Keime und Bazillen lachend und tanzend an dem sogenannten 'Schutz' vorbei ziehen zu lassen. Da sich seine Sitznachbarn nicht weiter daran stören, gehe ich davon aus, dass sie alle gemeinsam damit rechnen, ihre Heimat nie wieder zu sehen.
Ich aber möchte leben. Ich will nicht an Ebola sterben oder mehr Krankheiten in mein exotisches Reiseziel einschleppen als ich heraustragen kann. Deshalb warte ich lieber auf dem Flur, wo es noch eine weitere Anzeigetafel gibt. Zum Glück komme ich bald dran.
Im Behandlungsraum sitzen ein gelangweilter Arzt und eine biestig aussehende Krankenschwester. Beide deuten gleichzeitig wortlos auf einen Holzstuhl, auf dem ich Platz nehme.
Der Arzt fragt mich »Wo soll es denn hingehen?«
Ich versuche die Stimmung etwas aufzuheitern »Nach meinem Aufenthalt in ihrem Wartezimmer ist wohl das Beste, was mir noch passieren kann, der Himmel.«
Mein peinliches Lachen macht die Situation nicht lustiger. Deshalb erkläre ich dann mit ernstem Ton, dass ich nach Thailand reisen möchte und mich darüber informieren will, welche Impfungen ich brauche.
Der Arzt: »Wo genau wollen sie denn hin und werden sie dort Geschlechtsverkehr mit einheimischen Damen haben?«
Mir kommt diese Frage vor, als sei es das Normalste der Welt, dass sich ein vierundzwanzigjähriger Mann medizinisch für seinen Sextrip nach Thailand rüstet. Peinlich schaue ich zur Schwester rüber, die es ebenfalls für völlig normal zu halten scheint, dass ich dorthin fliege, um alles zu vögeln, was die Hände faltet und sich mit thailändischer Freundlichkeit vor mir verneigt.
»Ich fliege nach Thailand. Verkehr mit einheimischen Damen kann ich nicht ausschließen. Aber es können ja zum Beispiel auch Australierinnen Geschlechtskrankheiten haben und Sex ist natürlich immer ein beliebtes Thema.«
»Und wann wollen sie das Thema angehen?«
Er betont 'Thema' dermaßen angewidert, dass man meinen könnte, ich hätte ihm gestanden, dass ich einen Pauschalurlaub für Satanisten gebucht habe, der Menschenhäutungen als Gruppenevent beinhaltet.
»Samstag geht’s los«, sage ich selbstbewusst.
»Dann hätten sie sich aber etwas früher kümmern sollen!«
»Der Urlaub ist mehr ein Unfall und spontan zustande gekommen.«
»Unfall? Dann passen sie mal schön auf, dass sie nicht noch einen geschlechtlichen Unfall erleiden. Dagegen müssen sie nämlich eigene Vorkehrungen treffen! Ich kann ihnen nur einen schönen Cocktail zusammenstellen, der sie gegen alles impft, was man in einem NORMALEN Urlaub bekommen kann.«
NORMALER Urlaub? Gehört Sex nicht zu einem normalen Urlaub? Wenn ich mir den Arzt und seine Eule von Krankenschwester so angucke, gehört Sex, aus deren Sicht, wohl eher ausschließlich in den Bereich der Fortpflanzung und nicht in die Freizeitschublade.
»Das Thema Malaria bekommen wir im Übrigen jetzt nicht mehr in den Griff. Für eine Prophylaxe ist es zu spät. Die braucht mehrere Monate. Ich verschreibe ihnen Malarone. Das ist eine Art Gegengift und sorgt zumindest dafür, dass man es bis zum nächsten Krankenhaus schaffen kann. Sie müssen lediglich beim ersten Anzeichen von erhöhter Temperatur eine von den Tabletten einnehmen und sich dann innerhalb von zwölf Stunden in das nächste Krankenhaus begeben.«
Ich nicke, denke aber gleichzeitig »Erste Anzeichen von erhöhter Temperatur? Spinnt der? In Thailand werde ich vierzig Grad im Schatten und über neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit ausgesetzt sein. Wie zum Teufel soll ich da KEINE Anzeichen von erhöhter Temperatur haben? Ich bin Nordeuropäer und schwitze schon, wenn sich die Sonne im Winter im Schnee spiegelt.«
»Nehmen sie ein Thermometer mit und kontrollieren sie regelmäßig ihre Körpertemperatur!«
Auch die regelmäßige Temperaturkontrolle per Fieberthermometer stelle ich mir schwierig vor, gehe aber auch darauf nicht ein.
Drei Nadelstiche später ist es geschafft! Ich trete vor die Tür des Tropeninstituts und gehe in Gedanken meinen Plan durch:
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