Das Leben ist ´ne Session
DAS LEBEN IST `NE SESSION
Schöne Stimmung, denk’ ich mir gerade.Dem Morgen graute schon vor etwa einer Stunde und nur die Luft schmeckt noch immer nach dem gestrigen Abend, während am Himmel eine violette Flüssigkeit auf uns zu wabert, in der sich ein immer größer werdender Spritzer Orange breit macht. Mickrige Sonnenstrahlen, die sich schüchtern durch das müde Fenster in unser Leben schummeln, tauchen das chaotische Durcheinander auf dem Küchentisch in ein goldiges, unschuldiges Licht. Wie aus weiter Ferne höre ich das Orchester dieses neuen Tages schon mal zaghaft seine Instrumente stimmen.
Bereits vor Stunden hat sich Renee lachend, indem sie kokett den Kopf in den Nacken geworfen hat, in Richtung Wendeltreppe verabschiedet. Basti und ich sind schon seit Dunkelzeiten die Letzten, und selbst die herumliegenden Gitarren laufen nicht mehr erhöhte Gefahr, von Trunkenbolden zertrampelt zu werden. Mit stoischer Gelassenheit bemerke ich, wie mir vom singen und saufen der Hals weh tut, und trotzdem nippen wir noch müde an dem dritten, aber nun wirklich allerletzten Scheidebecher, ohne den Geschmacksrezeptoren eine wirkliche Herausforderung zu bieten. Selig wie zwei Kinder, denen man die geklauten Backförmchen zurückgegeben hat, grinsen wir in die sich breit machende Stille hinein und denken auch nicht im Entferntesten an die längst überfällige Mütze Schlaf.
Sebastian Baur – mannomann, wie lange kenn’ ich diesen niemals erwachsen werdenden Bengel eigentlich schon? Als wir uns begegneten waren wir gerade mal siebzehn Jahre jung und konnten uns auf Anhieb nicht ausstehen. Wir trafen uns bei irgendwelchen Parties oder in dunklen, verrauchten Clubs und glaubten beide in dem jeweils anderen ein arrogantes Großmaul sehen zu müssen. Wie Recht wir hatten!! Allerdings hat sich diese gegenseitige Abneigung dann aber sehr schnell gelegt! Jedenfalls ist heute nicht nur sein 49. Geburtstag, sondern auch der Tag, an dem wir nun aber WIRKLICH beschlossen haben so was wie’n Buch über all den Mist, den wir in den letzten 30 Jahren erlebt haben, zu schreiben.
Wie oft sitze ich nämlich bei Parties oder anderen Gelegenheiten mit Freunden oder guten Bekannten zusammen und gebe die eine oder andere Anekdote aus meinem Leben zum Besten, und wie oft muss ich dann hören, dass diese Geschichten ja doch eigentlich aufgeschrieben gehören. Ich fang’ damit schon mal an…
Genau genommen fängt ja meine Beziehung zu der aufregenden Welt der Livemusik `n bisschen vor der Begegnung mit Basti an. Klar, ich hab’ immer schon rumgefummelt auf der Klampfe und gesungen hab’ ich schon als Knirps im Schulchor. Aber so richtig nervös wurde ich, als ich mit der Mundharmonika ein Verhältnis anfing.
Mein Freund Peter, oder Olaf, oder Micha – na, irgendeiner meiner damaligen Kumpels - brachte nämlich `ne richtige Hohner Bluesharp aus Budapest mit, und es klang einfach nur noch schauderhaft was der mit dem Teil anstellte. Meine schon damals sehr stürmische Natur ließ es einfach nicht zu, dass der ansonsten eigentlich nette aber in diesem Fall doch offensichtlich sehr untalentierte Peterolafmicha, dem kleinen, unschuldigen Instrument solche Pein zufügen durfte. Ergo entwand ich ihm den Hobel und machte mich tapfer daran, Selbigem akzeptable Töne zu entlocken.
Au Backe! Ich habe meine Umwelt wohl einige Wochen und Monate schwer genervt, bis ich einigermaßen anhörbares aus dem erstaunlichen kleinen Ding rausgeblasen habe. Selbst bei Spaziergängen in Wald und Flur trötete ich wie ein Geisteskranker auf dem Gerät rum, was uns zumindest garantierte, von schlecht gelaunten Wildschweinrotten weiträumig umgangen zu werden. Aber siehe da, eines Tages fing es an zu klingen und mein Interesse bezog sich fortan auf alles was mit diesem Instrument und der dazugehörigen Musik zu tun hatte.
Als wäre der buchstäbliche Knoten geplatzt hörte ich wie besessen Leute wie Muddy Waters, Sonny Terry & Brownie Mcghee, Big Bill Broonzy, Robert Johnson, Champion Jack Dupree, Willie Dixon und last but auf alle Fälle not least - Sonnyboy Williamson. Ich glaube ohne viel zu übertreiben sagen zu können, dass ich gerade von Sonnyboy Williamson am meisten Harp spielen gelernt habe. Mein Gott, wie oft stand der alte Mann neben meinem Bett und hat’s mir mit der Kelle gegeben! Jedenfalls öffneten sich für mich damals Türen und Tore, von deren Existenz ich vorher nicht mal was geahnt hatte.
Gala
Wie schon erwähnt, ich hab’ mich immer schon mit Musik beschäftigt – war mit Begeisterung im Schulchor, mit acht Jahren wurde ich zum Geigenunterricht geschickt (gähn!) und mit 13 begann ich von einem guten Freund – Norbert Goretzki – (wo der jetzt wohl steckt?) Gitarre zu lernen. Ich interessierte mich für irische Folklore, war verrückt nach Crosby, Stills, Nash & Young, Led Zeppelin waren meine Familienmitglieder und Hendrix, Cream und Black Sabbath lieferten den Soundtrack für die vielen Stummfilme, die bei leicht verwirrten, aufmüpfigen Jugendlichen so ablaufen. – Alles Super - aber dieser Blues… Plötzlich begriff ich woher all diese geile, kraftvolle Musik, die mich kirre machte herkam und mir war klar: DISS MUSSTE MACHEN, GALA!!
Zur damaligen Zeit gab’s immer donnerstags im Jugendclub Langhansstrasse in Weißensee so was wie’n Musikantentreff mit garantierter Jamsession. Letzteres war für mich ganz besonders wichtig – drängte es mich doch mit aller Gewalt auf die Bühne. Das ganze fand unter der Regie von Conny Bauer – dem großen Posaunisten seiner Zeit - statt, und war selbstverständlich fester Bestandteil meines Terminkalenders. Ich wollte mich zwar dringend produzieren, hatte aber – ich geb’s ja zu – lampenfiebrigen Dauerschiss. Glücklicherweise waren immer gute Freunde mit von der Partie, die mehr als ich glaubten, dass ich „was drauf“ hätte und mich immer wieder geradezu zwangen zur Klampfe, Munti oder Mikrofon zu greifen, um dem Geschehen etwas Würze zu verleihen.
Na klar, ich spielte mal dies, mal das, sang mal das eine, mal das andere und jammte mal mit diesem oder jenem - und mit zunehmender Akzeptanz sowohl des Publikums als auch anderer mitmachender Musiker wuchs auch mein Selbstbewusstsein.
Vor allem aber faszinierte mich das Zusammenspiel verschiedener Kollegen und Instrumente. Immer wieder kamen Jazzer und tuteten in ihre Tenor- Alt- oder Sopransaxophone, Trompeten und sonstiges Blech. Pianisten liebkosten oder malträtierten die schwarz – weißen Tasten des nicht ganz zufällig auf der Bühne stehenden Flügels, Rockgitarristen zeigten akrobatische Kunststückchen auf ihren Instrumenten und mein späterer Freund Greiner – Pol kratzte auf seiner Geige die eine oder andere Weise.
Egal was gespielt wurde, egal auf welchem Niveau sich jeder einzelne im Augenblick befand – hier bei diesen Sessions begriff ich – spürte ich - die ungeheure Kraft, die von einer Band – ja von einem Kollektiv ausgehen kann. DISS MUSSTE MACHEN, GALA! – Da war es wieder! Ich war wie elektrisiert.
In Treptow, in der Puschkinallee gab’s den damals schon legendären „Jazzkeller“.
Hier spielten – obwohl es sich um keinen riesen Schuppen handelte – DIE Geheimtipps der Szene. In diesem Laden hörte ich 1974 zum ersten Mal die Hansi-Biebl-Bluesband: Olaf Wegner an den Drums, Paule Kaszubowski zupfte äußerst lässig den Bass, an der einen Gitarre Eberhard Klunker und an der anderen der Boss himself - Hansi Biebl! Nie zuvor hat mich Livemusik so umgehauen, und wer weiß, vielleicht hat mich Biebl, der alte Drecksack, sogar beeinflusst bei vielem, was ich ab dann so tat.
Читать дальше