Zum Glück wird dieses Missverständnis sofort durch eine Stewardess aufgeklärt. Die Dame mit der hübschen Paradeuniform erklärt Strassspeck, dass dies die erste Klasse sei und sie doch bitte auf ihrem Sitz in der zweiten Klasse Platz nehmen möge.
Strassspeck schält sich aus dem Sitz, dreht sich um und brüllt in Richtung ihres Freundes, der die Zweiklassengesellschaft begriffen hatte »Kevin, ick darf hier nisch sitzen, obwohl frei is, Alta!«
Wie soll die Arme auch verstehen, dass wir hier nicht im Bus von Pinneberg nach Altona sitzen, in dem man sich überall hinsetzen darf? Völlig genervt und an ihrer gefälschten Gucci-Sonnenbrille kauend, trottet sie zu uns in die Holzklasse und pflanzt sich neben Kevin.
Nachdem endlich alle Passagiere ihre Plätze eingenommen haben, schlage ich Immi ein Spiel vor, an dem alle anderen auch teilnehmen könnten - 'Findet Nemo'. Auf dieses Spiel komme ich nur, weil sich der billige Fusel mit dem Backfisch von Gosch in meinem Magen in die Haare bekommt und droht, über Bord zu gehen. Aufgrund des hohen Auftriebs meiner letzten Mahlzeit stelle ich mir vor, wie meine Kotztüte explodiert und sich mein gesamter Mageninhalt in der Kabine verteilt. So erkläre ich es auch Immi und sage ihr, dass die Aufgabe der Spieler wäre, die Puzzleteile zusammen zu setzen, bis der Fisch wieder ganz ist.
»Das wäre aber nicht fair!«
»Häh, warum?«, frage ich.
»Weil ich den Fisch vorhin im Ganzen gesehen habe und damit allen anderen Spielern gegenüber einen Wissensvorsprung habe.«
Das Gerede über eine mögliche Springflut aus meinem Magen macht es nicht wirklich besser.
Warum zum Teufel machen die nicht endlich die Bildschirme für ein bisschen Entertainment klar? Das würde mich ablenken und meinen Magen beruhigen. Dann würde auch niemand durch umherfliegende Gräten verletzt werden.
Immi deutet auf den kleinen Bildschirm unter der Kabinendecke, der uns und die Reihen hinter uns in den nächsten Stunden unterhalten soll und fragt mich
»Kann man sich später auch Filme wünschen, die dann auf unserem kleinen Fernseher gezeigt werden?«
»Keine schlechte Idee«, sage ich. »Man müsste eine Auswahl haben und dann abstimmen, Wunschfilm quasi.«
»Vielleicht kann man den einen oder anderen Sextouristen dann schon auf seine Reise einstimmen.«
Und dann philosophiert sie weiter über mögliche Filmtitel wie »Tief drin bei Tracy« oder »Ladyboys von zart bis hart«. Die würden hier sicher so manchem gut gefallen. Man gucke sich nur die vielen weit aufgeknöpften Hawaiihemden an, die einen Wald aus Brusthaaren freigeben, in dem sich zahlreiche goldene Kettchen verknüselt haben.
Aber wir fliegen ja nicht mit einer Marken-Airline, sondern haben den 'Aldi' der Lüfte erwischt. Hier darf man weder wünschen noch geht irgendetwas in Erfüllung!
Kurz vor dem Start melden sich unsere beiden Piloten zu Wort. Sie scheinen ganz schöne Witzbolde zu sein und stellen sich nur mit Vornamen vor. Ralf und Sebastian versprechen, uns zwar nicht mehr pünktlich, aber immerhin sicher ans Ziel zu bringen. Na, das ist doch schon mal was! Sie erklären noch einmal in allen technischen Einzelheiten, was zu der Verspätung geführt hat und warum wir jetzt trotzdem sicher starten können. Ich bete dafür, dass wir nicht erst abheben, wenn auch der letzte Passagier diese technische Ausbildung bestanden hat und blicke mich um zu Strassspeck.
Dann geht es endlich los! Die Turbinen heulen auf, der Flieger nimmt Fahrt auf und wir rollen in Richtung Startbahn. In der Zwischenzeit erklären uns die Flugbegleiterinnen, welche Maßnahmen im Notfall dafür sorgen sollen, dass wir alle überleben. So sollen sich zum Beispiel nach einer Notlandung alle ganz ruhig und gesittet in Richtung Ausgang begeben, und dort einer nach dem anderen die Rutsche hinunter gleiten, um dann anderen Reisenden zu helfen.
Genau! Ruhig und gesittet? Das versuch mal den Idioten zu erklären, die vor wenigen Minuten noch einen Scheißdreck darauf gegeben haben, in welcher Sitzreihe sie sitzen und sich an allen vorbei ins Flugzeug gedrängelt haben – ohne Notfall! Und das mit der gegenseitigen Hilfe gilt dann wohl auch für diejenigen, die mit ihrem tonnenschweren Handgepäck auf den Platzbedarf der anderen pfeifen und froh sind, dass es ihnen, aber auch nur ihnen, gut geht?
Wenn man sich in einem Flugzeug mal seine Mitreisenden genau ansieht und sich überlegt, dass man im Notfall auf deren Hilfe angewiesen sein könnte, verzichtet man freiwillig auf seinen Gurt, klappt beim Start sein Tischchen demonstrativ runter und schaltet alle elektronischen Geräte ein, die man auf die Schnelle finden kann. Außerdem zückt man natürlich für einen schnelleren Tod die zehn mal 100ml mitgebrachten Flüssigsprengstoff aus dem Zipbeutel. Ja, lieber Sterben als von deren Hilfe umgebracht zu werden!
Auch nachdem der Synchron-Sicherheitstanz der Flugbegleiterinnen beendet ist, rollen wir weiter. Und wir rollen und rollen und rollen. Da bekommt man ein Gefühl dafür, warum der Flieger von Hamburg nach München so lange gebraucht hat. Ralf und Sebastian haben offensichtlich gar keinen Flugschein, sondern nur einen Personenbeförderungsschein für die Straße. Na, dann geht's jetzt wohl auf dem Highway nach Bangkok.
Dann geben die beiden plötzlich doch noch ordentlich Gas und wir heben ab.
Kurz nach dem Start fallen die meisten in einen tiefen Schlaf und erholen sich von einem anstrengenden Tag mit sieben Stunden Aufenthalt auf dem Münchner Flughafen.
Der Flug verläuft sehr ruhig. Die Saftschubsen servieren den üblichen Tomatensaft und das Essen aus dem Plastiknapf. Die Toilettenspülung hört nach dem Essen gar nicht mehr auf zu laufen und langsam, aber sicher nähern wir uns unserem nächsten Etappenziel – Bangkok.
Als Immi und ich nach einem ausgiebigen Schlaf der Gerechten wieder bei Bewusstsein sind, erkennen wir schnell, dass sich an unserer Situation nicht viel geändert hat. Immer noch ein prall gefüllter Flieger mit Touristen und ehemaligen Thailänderinnen, die mit ihrer bierbäuchigen, deutschen Aufenthaltsgenehmigung einen Ausflug in die arme Heimat machen. Alle gucken ziemlich müde aus der Wäsche und warten nur darauf, endlich zu landen.
Der Flug wird noch knapp zwei Stunden dauern. Immi und ich beschließen, die bislang so straff durchgeplante Organisation unserer Reise fortzusetzen und einen Blick in unseren Reiseführer, den Loose, zu werfen. Immerhin fehlen uns noch ein paar Detailinformationen, die für den weiteren Verlauf hilfreich sein könnten.
Da wären zum Beispiel Antworten auf die Fragen »Wo wollen wir eigentlich hin?«, »Wie kommen wir da hin?«, »Wo wollen wir da pennen?« und »Was machen wir, wenn wir dort sind?«
Glücklicherweise entpuppt sich der Loose als eine wahre Fundgrube an Informationen über alles Erdenkliche, was ahnungslose Erstreisende in Thailand so brauchen. Zahlreiche Unterkünfte sind detailliert beschrieben und auch die Anreisemöglichkeiten werden sehr gut erläutert. Besonders gefällt mir, dass hier kein Blatt vor den Mund genommen wird und man schnell herauslesen kann, welche Ziele besonders empfehlenswert sind und welche man lieber meiden sollte.
Auf das übliche Reisekatalog-Blabla wird vollständig verzichtet. Es wird uns erspart bleiben, ein Hotel mit 'verkehrsgünstiger Lage' an einer Autobahn zu finden oder auf eine 'familienfreundliche Anlage' hereinzufallen.
Letztere zeichnet sich ja meist dadurch aus, dass sämtliche Jungfamilien der Meinung sind, hier Gleichgesinnte zu finden, und damit jegliches Verantwortungsbewusstsein gegenüber 'normalen' Reisenden ablegen zu dürfen. Da wird mal eben beim Frühstück das Kind gestillt, als sei es völlig normal, vor fremden Menschen seine Brust auszupacken und ein schreiendes Ding dranzustöpseln. Natürlich kommt dann dieses zufriedene selbstgefällige Nicken in die Runde, auf der Suche nach jemandem, der das einfach nur rührselig und nicht eklig findet. Selbstverständlich ist es in solchen Eltern-Kind-Heimen auch völlig normal, dass jeder, der jünger als sechzehn ist, absolut ungeniert sämtliche Spuck- und Grabbelschutzmaßnahmen am Buffet umgeht und alles anfasst, was bunt und süß aussieht. Es wird probiert und dann bei Nichtgefallen wieder zurückgeworfen, damit der nächste ahnungslose Urlauber zu dieser Kinderkrankheitsbombe greift. Anschließend sind dann wieder die mangelnden hygienischen Verhältnisse des Urlaubslandes Schuld an der Magen-Darm-Grippe.
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