Fast ein bisschen zu viel Gelb, oder? Hm. Naja, wenn ich mit Weiß und einem Hauch Apricot darüber wischte, würde sich das Gelb sicher weniger penetrant ausnehmen... Ich musste die erste Schicht ohnehin erst einmal trocknen lassen.
Was wohl aus all dem Zeug in der Villa wurde? Vater hatte das Haus schon von seinem Vater geerbt und der wieder von seinem, dem alten Kommerzienrat Lamont. Im Geschmack von 1910 war das meiste auch eingerichtet – schwere, dunkle Möbel, Samtportieren, unsäglicher Nippes, eine bildungsbürgerliche Bibliothek in Kalbsleder (die immer muffig gerochen hatte) - und alles, was drei Generationen nicht hatten wegwerfen wollen. Hoffentlich blieb die Haushaltsauflösung nicht an uns hängen!
Nein, garantiert ging alles an eine wohltätige Organisation, sollte die doch alles in einen Container werfen oder verkaufen, das Haus abreißen lassen und mit den Millionen aus dem Grundstücksverkauf (dreitausend Quadratmeter in bester Lage, das musste doch ordentlich was wert sein?) etwas karitativ Sinnvolles anstellen. Und uns damit in Ruhe lassen, es reichte, wenn wir die Beerdigung bezahlten.
Ich steckte eine Ladung Wäsche in die Maschine, putzte die Küche (weiß und gelb, was sonst) durch, hängte frische hellgelbe Handtücher ins Bad, füllte mein Lieblingsshampoo, das leider in rotgrünen Flaschen verkauft wurde, in eine weißgelbe Flasche um, entsorgte mehrere leere Klopapierrollen, wischte den Badezimmerboden und prüfte die frisch gestrichene Wand. Immer noch leicht feucht.
Wo sollten wir ihn eigentlich begraben? Gab es ein Familiengrab? Irgendwo mussten doch auch die Großeltern und die Urgroßeltern liegen, aber ich hatte keine Ahnung, wo. Womöglich besaßen wir ein richtiges Mausoleum, mit Marmorengel und allen Schikanen! Wieso wusste ich das eigentlich nicht? War das meine – unsere – Gedankenlosigkeit oder hatte Vater uns mal wieder über nichts informiert? Ich sollte Nathalie anrufen und sie fragen, aber das wollte ich nicht. Sie würde garantiert wieder überlegen, ob unsere Mutter auch in diesem Grab lag, und wenn nein, warum nicht. Und dann ging diese Und was ist, wenn sie noch lebt? – Masche wieder los. Ich wollte nicht, dass Nathalie sich da unnötige Hoffnungen machte.
Was hatte dieser Mann bei Vater gewollt? Er war höchstens Mitte dreißig, so weit ich das nach einem einzigen erschrockenen Blick beurteilen konnte. Wenn hatte Vater denn so gekannt?
Ärgerlich zog ich das Bett ab und warf die Bezüge in der Küche vor die Waschmaschine. Beim Matratzenklopfen konnte ich meine Wut auf Vater abreagieren, der wahrscheinlich irgendetwas Krummes angestellt und uns damit in die Bredouille gebracht hatte. Typisch! Ich hatte ja immer schon gewusst, dass diese steif-korrekte Art bloß Fassade war. Ekelhafter Heuchler!
Und was hatte der Mann mit dem süßen Mund mit ihm zu tun gehabt? War das jemand von der Lamont AG, der ein Empfehlungsschreiben wollte oder sonstwie keinen Job mehr fand? Aber Vater hatte die Firma doch schon vor Jahren verkauft? Es war sogar durch die Presse gegangen, damals, als es den Fusionierungsboom gegeben hatte und der Börsenhöhenflug allmählich zusammengebrochen war. Wer hatte sie eigentlich gekauft? Eine Schande, dass ich das nicht wusste – aber aus gutem Grund hatte ich nie Aktien der Lamont AG gehalten. Vielleicht war der Süße von Vater übers Ohr gehauen worden?
Kastner fragen, notierte ich im Stillen – aber der konnte Nathalie und mich nicht leiden. Vielleicht konnten die von der Polizei rauskriegen, was beim Verkauf alles gelaufen war. Oder die Börsenaufsicht... Müde erhob ich mich von der frisch geklopften Matratze, riss die Fenster weit auf und legte einen neuen Bezug bereit – weißer Baumwollsatin mit großen gelb und orange schattierten Rosen darauf. Und ein Laken in kräftigem Orange.
Mittlerweile war die Wand trocken genug und ich konnte ans Abtönen gehen. Ich war gerade mit der Hälfte fertig – und verspürte heftige Unlustgefühle – als es klingelte. Nathalie?
Ich legte die Minirolle auf das Abtropfgitter, schob in der Küche schnell den Bettbezug mit dem Fuß etwas aus dem Weg, fuhr mir mit der farbverschmierten Hand durch die Haare und ging zur Tür. Hoffentlich unterhielt sie mich, während ich fertig malte, und entführte mich dann irgendwohin zum Essen, mir knurrte allmählich der Magen. Kunststück, Viertel nach sechs! Scheiße, die ganzen Mülltüten! Sah ja scheußlich aus. Andererseits sah Nathalie über so etwas hinweg.
Nein, vor der Tür standen Kerner und Grünbauer. „Kommen Sie rein“, seufzte ich, „aber passen Sie auf, hier ist alles voller Farbe.“
„Ziehen Sie um?“, erkundigte sich Grünbauer – etwas misstrauisch, wie mir schien.
„Nö, Heimwerkeranfall. Hab ich öfter. Kaffee?“
„Gerne“, sagte die Kerner und sah sich interessiert um. Ich ging Wasser aufsetzen und versuchte, die Wohnung mit den Augen eines Außenstehenden zu sehen: Was konnte man aus ihr wohl schließen?
Dass ich ein bisschen zwanghaft war? Nein, heute nicht, die Unordnung war unübersehbar, wenigstens im Wohnzimmer und im Flur.
Dass ich es gerne gelb hatte. Ja, eindeutig. Ob das gut war oder psychologisch bedenklich?
Dass ich halbleere Wohnungen liebte. Im Wohnzimmer wenigstens standen nur zwei große – gelbe – Ledersofas, ein großer Arbeits- und Esstisch in dunklem Holz mit gerade mal zwei Klappstühlen (die anderen wohnten im Keller) und in einer Nische ein Regal mit Büchern (den besseren), DVDs und dem ganzen Multimediakram. Naja, und ein ebenfalls dunkler kleiner Holztisch zwischen den Sofas, immerhin total leer. Wenigstens, bis ich das Kaffeetablett abstellte.
„Darf ich mich mal umsehen?“, fragte Grünbauer. Ich warf ihm einen Blick von schräg unten zu. „Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?“
„Ich gucke nicht in die Schränke“, versprach er, „ich will mir ja bloß ein Bild machen.“
„Von mir aus“, gab ich nach und fügte selbstgerecht hinzu: „Außerdem sind meine Schränke aufgeräumt.“ Die Kerner lachte und griff nach ihrer Tasse. „Mehr, als ich von meinen Schränken behaupten kann!“ Als sie die Tasse wieder abgestellt hatte, zog sie ein Notizbuch aus der Tasche: „Ein paar Fragen hätten wir schon noch...“
Ich lehnte mich zurück. „Nur zu, wir haben ja nichts zu verbergen.“
„Wir?“
„Nathalie und ich. Die ganze Familie sozusagen.“
„Ah ja. Sie mochten Ihren Vater ja nicht.“
„Es wäre albern, das zu leugnen. Er war ein starrköpfiger, selbstgerechter und liebloser alter Arsch, und ich hab ihm zwar nicht so ein Ende gewünscht, aber eigentlich ist es mir egal.“
Sie nickte. „Die meisten, die man bei einem solchen Fall befragt, heucheln auf Teufel komm raus tiefe Trauer. Da ist Ehrlichkeit mal ganz erfrischend. Warum hat er Sie beide eigentlich mit achtzehn so Knall auf Fall rausgesetzt?“
„Keine Ahnung“, musste ich zugeben, „er hat keine Begründung abgegeben, und wir haben nicht gefragt. Der monatliche Zuschuss war sehr ordentlich, und es war überall schöner als in der Gruft in Henting. Vielleicht fand er, in bloße Mädchen hätte er schon genug investiert, oder er wollte das Haus für sich haben, oder – ach, ich weiß nicht.“
Hatte ich das alles nicht schon erzählt? Sogar mehrmals? Ich fragte lieber nicht nach. Grünbauer kam zurück und zuckte mit einem bedeutungsvollen Blick zu Frau Kerner die Achseln. „Kein blutbeflecktes Messer?“, konnte ich mir nicht verkneifen. „Er ist erschossen worden“, belehrte er mich von oben herab. Danke, das hatte ich gestern (erst gestern??) selbst gesehen. Die Erinnerung an das kleine blutverkrustete Loch in Vaters Schläfe löste in meinem Magen ein unangenehmes Gefühl aus.
„Schusswaffe hab ich auch keine“, antwortete ich matt. „Möchten Sie vielleicht noch Einblick in meine Konten nehmen? Ich könnte ja ein Vermögen beiseite geschafft haben.“
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