1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Irgendwann in der Nacht tauchte Herr M. wieder auf. Ob es zu einem häuslichen Vulkanausbruch kam, ist nicht bekannt, denn Frau M. erwähnte uns gegenüber nie wieder den peinlichen Vorfall.
Unsere Beklommenheit und die unserer Gäste angesichts des Geschehenen löste sich nur langsam auf. Stephanie brachte Maria ins Bett, denn es war schon spät geworden. Die sonderbare Nachbarschaft war für den Rest des Abends Gesprächsthema Nummer eins. Nicht nur für uns, sondern auch unsere Gästen waren die Nachbarn M. ein außergewöhnliches Pärchen mit dem Hang zur sozialen Verwilderung.
Dieser Abend hatte aber insofern etwas Gutes, als ein weiterer Silberstreif am Erkenntnishimmel entstand. Nach den teils unangenehmen, teils schockierenden Erfahrungen der letzten Jahre mit den Nachbarn M. war nun überdeutlich, was wir uns bisher nur bedingt hatten eingestehen wollen, nämlich dass Herr und Frau M. unter einer enormen sozialen Fehlentwicklung litten.
Irgendwie fühlten wir uns bestätigt, dass jene, die sich in einer übertriebenen Art und Weise positiv in Szene setzen, mehr Probleme haben, als sie nach außen hin zugeben möchten. Die mühsam errichtete Fassade unserer Nachbarn war an diesem Abend massiv gebröckelt, diese Nachbarn waren nicht die, die sie zu sein vorgaben. Den Beweis hierfür lieferten sie selbst. Dies war die Erkenntnis und die Wahrheit, die wir schon seit Langem spürten. Instinktiv bemerkten wir, dass wir künftig noch massivere Probleme mit diesen Nachbarn bekommen würden. Bei einer nüchternen Betrachtung der letzten zwölf Monate hatten wir einiges mit diesen Nachbarn erlebt, eigentlich zu viel für ein Jahr. Drängender denn je stellte sich uns die Frage, wie es weitergehen sollte.
Für unsere Tochter Maria war die Lage indes klar, sie wollte ohne Unterlass zu den Nachbarn, denn dort war ja ihre Spielgefährtin.
Eine schwierige Situation ergab sich für uns, daher beschlossen wir, die Annäherungsversuche der Nachbarn M. uns gegenüber zwar etwas einzuschränken, andererseits aber unserer Tochter nicht den Kontakt zu Penny zu verbieten, denn wir wollten Maria nicht unglücklich machen.
Zwischenzeitlich ereignete sich ein anderer interessanter Fall. Familie M. bestellte sich einen Springbrunnen aus Granit, der ein beachtliches Gewicht haben musste. Mit viel Getöse, das nicht zu überhören war, begleitet von lauten Freudenrufen, wiesen Herr und Frau M. den Lkw-Fahrer auf einem Weg an der rechten Seite ihres Grundstücks entlang. Alle Nachbarn sollten hören, dass sich Familie M. etwas gekauft hatte. Der Lkw entlud seine Fracht und fuhr davon. Die Nachbarn M. liefen anschließend noch eine gute Stunde an der Stirnseite ihres Grundstücks lachend auf und ab. Sie schauspielerten derart laut ihre Freude, dass jeder Nachbar auf sie aufmerksam werden musste. Jeder konnte dabei den Eindruck erlangen, Familie M. sei glücklicher Gewinner einer Lotterie geworden.
Einige Tage später erklärte uns Frau M., dass sie einen nicht gerade billigen Steinmetz beauftragt hätten, den Springbrunnen als Unikat in Granit zu meißeln, worauf sie sehr stolz seien. Zu dieser Zeit glaubten wir ihren Worten, denn es schien uns nicht abwegig, da Herr M. beinahe pausenlos arbeitete. Seine offiziellen und inoffiziellen Arbeiten mussten sich auszahlen, womit die Bezahlung einer solchen handwerklichen Tätigkeit ohne Weiteres möglich war.
Erst viele Monate später bemerkten wir, dass wir angelogen worden waren, offensichtlich um sich wichtig zu machen. Denn zufällig fuhr ich auf einen Gewerbehof, der Skulpturen aus Stein und Steine jeglicher Art anbot. Beim Rundblick über das unübersichtliche Gelände des Anbieters blieben meine Augen plötzlich an einer bekannten Skulptur hängen. Ich sah den Granit-Springbrunnen der Familie M. Der Verkäufer erklärte mir darauf, dass auf seinem Hof noch weitere sieben Exemplare stünden, ein Massenprodukt aus China oder Indien. Mit großer Verwunderung und dem Wissen, dass die Nachbarn M. die Unwahrheit gesagt haben, fuhr ich nach Hause und berichtete Stephanie von meiner zufälligen Entdeckung.
Wir konnten uns diese Lügen der Nachbarn M. nur dadurch erklären, dass sie unter einer Art Minderwertigkeitskomplex leiden mussten. Sie waren bestrebt, mit einem Konstrukt aus Lügen Anerkennung zu erhalten, ganz gleichgültig, ob sie dadurch auch eine nachbarschaftliche Freundschaft aufs Spiel setzten.
Gegen Ende 1997 sprach mich ein älterer Nachbar, den ich zuvor schon schätzen gelernt hatte, beiläufig auf der Straße an, wie es mir ginge, und fragte nach meinen Kindern und meiner schwangeren Frau. Nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten, kam der Nachbar plötzlich auf die Familie M. zu sprechen und warnte mich vor dieser Familie. Er erzählte von den Nachbarn M., die er bereits seit vielen Jahren kenne, und mahnte mich zur Vorsicht. Mein Erstaunen über seine Worte blieb ihm nicht verborgen und er konkretisierte seine Warnung. Hierbei betonte er, dass beinahe jeder Nachbar mit der Unzurechnungsfähigkeit des Herrn und der Frau M. konfrontiert gewesen sei, der eine mehr, der andere weniger. Der ältere Herr erklärte weiter, dass es ein inneres Bedürfnis der Nachbarn M. sei, quasi als Zeitvertreib andere Nachbarn zu traktieren. So würden sie andere Nachbarn pausenlos beobachten, ihnen nachstellen und sich ungewöhnlich laut negativ über Nachbarn äußern, stets einhergehend mit gehässigem Lachen. Dabei werde so laut abfällig gesprochen, dass der betroffene Nachbar sich gedemütigt zurückziehe. Der Mann unterstrich, dass es sich bei den Nachbarn M. im Grunde genommen um eine Mischung aus intellektueller Unterentwicklung, sozialer Unbekümmertheit, Dreistigkeit und Kaltschnäuzigkeit handele. Er gab mir den Rat, unbedingt vorsichtig zu sein und nur nicht zu viel von uns zu erzählen, denn seiner Meinung nach werde die Familie M. zu einem späteren Zeitpunkt jedes gesagte Wort gegen uns verwenden.
Die Worte des netten Herrn wirkten einerseits alarmierend auf mich, andererseits konnte ich nicht ganz glauben, was ich da hörte. Ich hielt es für etwas übertrieben, lächelte dem Nachbar aber dennoch dankbar zu. Dabei reagierte ich stolz und sagte, dass mir schon nichts passieren werde. Ich ahnte seinerzeit nicht, wie Recht der ältere Herr hatte.
Das Jahr 1998 begann mit viel Arbeit im privaten wie beruflichen Alltag. Mein Studium und meine Tätigkeit als Selbstständiger verlangte mir einiges an Kraft ab.
Jede freie Minute steckten wir in unseren kleinen Garten. Stephanies Vorstellung von einem Bauerngarten war nur schwer und vor allem langwierig umzusetzen. Unzählige Pflanzen waren zu besorgen und schließlich auch zu pflegen. Uns dämmerte schon damals, dass es wohl Jahre dauern würde, bis der Garten zu einem ansehnlichen Pflanzenmeer heranwächst, denn zuvor war das Grundstück eine wahre Mondlandschaft gewesen, weil das Bauen beinahe jegliches Grün vernichtet hatte.
Stephanies Schwangerschaft zeichnete sich immer deutlicher ab, Mutter und Kind ging es gut.
Familie M. fokussierte sich noch immer auf uns und wurde nicht müde, uns und unsere Tochter zu sich locken zu wollen. Das abschreckende und zwanghafte Geltungsbedürfnis der Nachbarn M., sich ständig als Personen mit hohen moralischen und ethischen Grundwerten darzustellen, wobei sie jedoch genau das Gegenteil dessen lebten, machte sie nicht gerade sympathisch.
Aufgrund des chronischen Anerkennungswunsches und des gleichzeitigen theatralischen Auftretens, etwa mit den unnatürlich und psychotisch wirkenden Lachparaden, konnte sich unsererseits keine Zuneigung entwickeln. Eine weitere dieser Merkwürdigkeiten leistete sich immer wieder Herr M. Selbst bei winterlichen Minusgraden lief er mit freiem Oberkörper oder im Muskelhemd in seinem Garten oder auf der Straße herum. Mit diesem außergewöhnlichen Verhalten versuchte er sich in der gesamten Nachbarschaft in Szene zu setzen, trotz seines nahenden Rentenalters und des entsprechenden körperlichen Zustandes. Letztlich war dies aber nur eine von vielen Auffälligkeiten. Die Botschaft war indes klar: Er gehörte zu den starken Typen, deren Körpern auch Frost und Schnee nichts anhaben konnten. Ein theatralisches Spielchen, das alle Nachbarn nur den Kopf schütteln ließ.
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