Sergost ersparte ihnen die Mühe, das lädierte Schiff nach Überlebenden abzusuchen; er brüllte einen lauten, weithin hörbaren Befehl, und einen Augenblick später flutete die Besatzung das Hauptdeck. Je zwei Krieger stellten sich einer der unbekannten Kreaturen; der Rest versuchte, so schnell wie möglich von Bord zu gelangen. Strickleitern und Seile wurden hinabgeworfen, einige Männer sprangen auch direkt ans Ufer. Angesichts der vermutlich sehr geringen Wassertiefe hielt Tado dies für keine besonders gute Idee und beschloss, das Schiff seinerseits auf normalem Weg zu verlassen, wenngleich dies ein wenig länger dauern würde. Überraschend dumpf klangen die Kampfgeräusche zwischen den Kriegern Sergosts und den Wächtern Telkors. Eines schien sicher zu sein: Weder die Rüstungen noch die Schilde der Echsen bestanden aus Metall.
Wie jedes Besatzungsmitglied waren übrigens auch die Gefährten in die Pläne ihres neuen Anführers miteinbezogen worden. So sollten sie eigentlich die verbliebenen Kräfte Telkors am Ufer aufhalten, damit der Rest ihres Trupps eines der umliegenden Schiffe stehlen und ihre Flucht vorbereiten konnte. Doch es kam anders. Sergost hatte die Stärke der Echsenwesen unterschätzt. Eine der Kreaturen entledigte sich soeben seinem zweiten Widersacher und brachte sich mit einer schnellen Bewegung zwischen die Gefährten und den Rand des Schiffes, um sie am Entkommen zu hindern. Das Wesen überragte sie alle deutlich; in der aufrechten Position, in der es sich fortzubewegen pflegte, maß es ungefähr zwei Meter fünfzig.
Spiffi fackelte nicht lange: Er zielte auf die Brust des Wächters und ließ einen Pfeil fliegen. Das Geschoss prallte ab. Der Bogenschütze war derart verwirrt über die Ineffektivität seiner Waffe, dass er einen Moment lang vergaß, sich vor einem Gegenangriff in Sicherheit zu bringen. So musste Lukdan eingreifen, um ihn vor den tödlichen Klingen der Echse zu bewahren. Es schien ihn viel Kraft zu kosten, die einhändige Attacke seines deutlich größeren Gegenübers abzuwehren, denn er wich einen Schritt zurück und wankte ein wenig unter der brachialen Gewalt des Schlages. Dennoch schaffte er es nach ein paar Sekunden, die Klingen der Echse zurückzudrücken und seinerseits einen Angriff zu starten; auch dieser Versuch blieb erfolglos. Der mächtige Schild der Kreatur parierte die Säbel mühelos; die gesamte Macht der Attacke verpuffte wie ein Faustschlag im Federkissen. Tado griff ein, als Lukdan erneut die Klingen der Echse abwehren musste und einen schmerzhaften Tritt gegen das Schienbein kassierte.
Eigentlich war er sich sicher, seine Drachenklinge mit großer Kraft und Präzision geführt zu haben, doch irgendwie musste der Wächter Telkors ihm dennoch ausgewichen sein, denn das Schwert traf auf keinen Widerstand, sondern glitt mit einem zischenden Geräusch durch die Luft. Erst als Tado etwas Hartes auf den Fuß fiel und ihn vor Schmerz aufschreien ließ, wusste er, dass das so nicht stimmte. Der Gegenstand stellte sich als ein gut dreißig Zentimeter großes Stück des Echsenschilds heraus. Fassungslos starrte Lukdan auf den schwarzen Klumpen. Tado hingegen wusste nun, dass es sich bei der Rüstung und dem Schild um Drachenfels handeln musste; jenem unzerstörbaren Material, das nur durch Magie verformt werden konnte und das die Drachenklinge seit jeher so zuverlässig durchtrennte. Yala rief ihm und Lukdan zu, sie sollen in Deckung gehen. Die beiden Angesprochenen ließen sich zur Seite fallen, und im nächsten Moment krachte ein metallener Pfeil in die Rüstung des Echsenkriegers. Das Resultat war derart grotesk, dass viele der Besatzungsmitglieder für einen Moment verwundert zu ihnen herübersahen. Das Geschoss vermochte keineswegs, den Drachenfels zu zerstören, es fügte ihm nicht einmal einen Kratzer zu. Die Wucht des Pfeils allerdings holte die Echse von den Füßen, stieß mit solch gewaltiger Macht gegen ihre Brust, dass die Kreatur etliche Meter durch die Luft flog; über den Bug des Schiffes hinweg. Noch im Fallen verstaute das Wesen seinen Schild auf dem Rücken und zog seine Klingen zurück, dann drehte es sich mit der Geschicklichkeit einer Katze in Bauchlage und landete schließlich wenige Schritte entfernt von den beiden bisher tatenlos dem Geschehen zusehenden Magiern auf allen Vieren. Der Aufprall war abrupt, die Echse rutschte keinen Zentimeter über den glatten Steinboden der Promenade; sie verharrte kurz in dieser Position, wedelte mit ihrem Schwanz etwas Staub auf und ließ dann einen halb knurrenden, halb zischenden Laut vernehmen.
Yala hielt sich ihr Handgelenk. Aus irgendeinem Grund fiel es ihr seit Kurzem immer schwerer, ihren Bogen zu spannen. Lukdan wies sie überdies darauf hin, dass die Durchschlagskraft der Pfeile in gleichem Maße zuzunehmen schien. Was für eine Waffe hatte sie sich damals in Turg bloß angeschafft?
Die beiden Magier hingegen zeigten sich gar nicht erfreut darüber, dass eine ihrer Echsen so scheinbar mühelos hatte vom Schiff gefegt werden können. Offenbar sahen sie es nun als ihre Pflicht an, dieser Sache auf den Grund zu gehen, denn sie lösten sich langsam aus ihrer Starre und gingen auf den Schauplatz des Geschehens zu. Einer der beiden hielt wenige Sekunden später wieder inne, als er einen Blick auf die Echse warf und den lädierten Schild erspähte. Sein Begleiter drehte sich zu ihm um und erkundigte sich nach dem Grund für das plötzliche Zögern. Der erste Magier machte nur eine undeutliche Handbewegung in Richtung der Echse, dann rief er die Kreatur, die soeben wieder das Kampfgeschehen ansteuerte, zurück. Auch der zweite Magier bemerkte nun den durchtrennten Drachenfels.
„Schicke nach dem Lord“, sagte der erste zu dem Wesen. „Und hole einen Sammler her. Wir haben interessanten Besuch bekommen.“
Die Gefährten waren indes von Bord gegangen und erreichten soeben den schwarzen Strand. An Deck des Schiffes rang noch immer ein Teil der Besatzung mit den echsenartigen Kriegern, allerdings vermochten sie ihre Kontrahenten nicht zu überwältigen und wurden einer nach dem anderen auf brutale Weise niedergeschlagen und mit Handschellen aus Drachenfels vollkommen handlungsunfähig gemacht. Der Rest der Besatzung, zu dem auch Sergost gehörte, kämpfte unterdessen an Land gegen die dort postierten Echsen oder versuchte, auf eines der umliegenden Schiffe zu gelangen. Ehe die Gefährten den vor ihren Augen stattfindenden Kampf überhaupt richtig überblicken konnten, sahen sie sich schon einem neuen Feind gegenüber. Einer der beiden Magier – ein unscheinbar wirkender Mann von durchschnittlichem Wuchs und einem neugierigen Ausdruck im Gesicht – erwartete sie bereits. Tado hätte gerne gewusst, warum ihr Gegenüber sich ausgerechnet ihnen zuwandte. Vom Ufer aus hatte er unmöglich sehen können, wer für den Zwischenfall mit der Echse verantwortlich war.
Lukdan und Tado ergriffen die Initiative und stellten sich dem Magier entgegen, noch bevor dieser seinerseits zum Angriff ausholen konnte. Ihr Kontrahent schien unbewaffnet zu sein, doch trug diese Tatsache eher zu ihrer Beunruhigung bei, denn es bedeutete im Allgemeinen, dass seine natürlichen Fähigkeiten umso beängstigender waren. Unterstrichen wurde diese Vermutung schon im nächsten Moment, als der Magier der Drachenklinge beinahe spielerisch mit einer halben Drehung auswich, als hätte er den Angriff schon seit Langem kommen sehen, und Tado stolperte ungeschickt an ihm vorbei. Lukdans Waffen wehrte er mit seiner rechten Hand, die ein metallener Handschuh schützte, ohne große Mühe ab, spannte seine Finger eine Sekunde lang krampfartig an, sodass der Mann aus Akhoum trotz seiner gewaltigen körperlichen Kräfte die Säbel nicht mehr aus dem Griff zu lösen vermochte, und stieß ihm anschließend seine zur Faust geballte und ebenfalls gepanzerte linke Hand in den Bauch. Wie von der Druckwelle einer Explosion erfasst, wurde Lukdan durch diesen einen Schlag mehrere Meter durch die Luft geschleudert, ehe er im seichten Wasser niederging und sich mühsam wieder auf die Beine erhob. Yala hatte in seiner Flugbahn gestanden und war ebenfalls umgerissen worden.
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