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Ein wenig überrascht registrierte Tado – sich noch immer in seiner Deckung verborgen haltend – dass die Magier sich offenbar uneinig waren, ob es sich bei Yalas Waffe um einen magischen Gegenstand handelte. Da der Bogen aus Turg stammte, hatte er diese Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht gezogen.
Urplötzlich überkam ihn ein ungutes Gefühl. Es stand keineswegs im Zusammenhang mit den drei Magiern am Strand, es war vielmehr eine tief verwurzelte, fast schon vergessene Empfindung, die ihn jäh übermannte und eine unangenehme Hitze in ihm aufsteigen ließ.
„Wir müssen zurück zum Strand“, sagte Lukdan in diesem Moment. „Solange noch einige der Besatzungsmitglieder gegen die Echsen kämpfen, haben wir eine geringe Chance, unbemerkt auf das neue Schiff zu gelangen.“
Mit diesen Worten stand er auf; Yala tat es ihm gleich. Und Tado erinnerte sich schließlich, woher er das ungute Gefühl, dass seinen Körper belastete und ihm das Atmen schwermachte, bereits kannte. Geistesgegenwärtig sprang er auf und riss Yala zurück hinter den Felsen, im gleichen Augenblick warf Spiffi Lukdan zu Boden, noch ehe die Magier am Strand einen der Gefährten bemerken konnten.
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„War das der einzige Grund, aus dem ihr mich gerufen habt?“, fragte der Junge ein wenig verärgert.
Parschald schien das Verhalten seines viel jüngeren Gegenübers nicht gerade zu begeistern, aber er verzichtete auf eine entsprechende Bemerkung und beantwortete stattdessen die Frage des Kindes: „Natürlich nicht. Viel interessanter ist das dort.“
Er rief den Echsenkrieger zu sich, der vorhin gegen die Gefährten gekämpft hatte und ließ sich dessen Schild aushändigen. Mit einer überflüssigen Geste deutete er auf die abgetrennte Ecke und warf den Gegenstand anschließend vor die Füße des Jungen, der erschrocken einen Schritt zurückwich, um nicht unter dem fallenden Schild, der annähernd genauso groß war wie er selbst, begraben zu werden. Als er die beschädigte Stelle gewahrte, weiteten sich seine Augen und jede Müdigkeit verschwand aus seinem Gesicht.
„Ihr solltet eine höhere Autorität hinzuziehen“, sagte er zögernd. „Und alle Menschen dieses Schiffes, die ein Schwert bei sich tragen, unverzüglich töten.“
„Kein einziges Mitglied der erbärmlichen Besatzung führte eine solche Waffe“, erwiderte Gorson.
„Nur einer“, widersprach Parschald ein wenig geistesabwesend und blickte in Richtung des Steilufers.
„Sag mir nicht, du hast ihn entkommen lassen“, erwiderte der Junge mit fast verzweifeltem Blick.
„Was ist das Besondere an dem Schwert?“, überging er die mahnenden Worte seines Gegenübers. Noch bevor das Kind antworten konnte, drangen aufgeregte Rufe vom Schlachtfeld an ihre Ohren. Als sie sich zu den wenigen Kämpfenden umdrehten, hätten die Magier am liebsten angefangen zu weinen.
„Wie unfähig kann man eigentlich sein?!“, herrschte Gorson eine Gruppe von Echsenkriegern an, die nur tatenlos zusehen konnten, wie eines der Schiffe sich plötzlich aus Telkors Hafen entfernte. Er war nicht der einzige, der über den Vorfall in Rage geriet. Etwa sechs Mitglieder der Besatzung kämpften noch immer gegen die Echsen an Land und riefen fassungslos den zwei Dutzend Kriegern hinterher, die sie und die bereits gefangen genommenen Männer am Strand zurückließen.
„Zur Seite!“, schrie Gorson die machtlosen Kreaturen an, die zwischen ihm und dem sich entfernenden Schiff standen. Dann brachte er zwei der Schilde seiner Echsenkrieger an sich und schleuderte sie zusammen mit einigen Klumpen Drachenfels den Flüchtenden hinterher. Im Flug begann das Material sich zu verformen, wurde zu einem fast hundert Meter langen Stab, um dessen eines Ende sich die Hand des Magiers schloss, und an dessen anderem Ende sich ein großer Enterhaken bildete, der das Heck des Schiffes durchschlug und sich dort festklemmte. Die Kraft Gorsons reichte tatsächlich, um das Gefährt der Flüchtenden für einen Moment aufzuhalten, doch der Strandsand gab den Füßen des Magiers nur wenig Halt, und so begann er langsam auf das Meer zuzutreiben, ehe das Holz des Schiffes mit einem lauten Ächzen nachgab und der Enterhaken ein großes Stück des Hecks herausriss, die Weiterfahrt der Fliehenden allerdings nicht länger aufzuhalten vermochte.
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„Was macht ihr denn da?“, rief Lukdan ungehalten und befreite sich mit wenig Mühe aus Spiffis Griff.
„Spürt ihr es nicht?“, fragte der Bogenschütze mit fast panischer Stimme an ihn und Yala gewandt. „Dieses plötzliche, erdrückende Gefühl? Ich kenne es, ich habe es schon einmal gehabt!“
„Seit wir Telkor betreten haben, ist mir nicht mehr ganz wohl“, antwortete Yala. „Geht es dir erst jetzt so?“
„Das ist es nicht, was Spiffi meint“, erwiderte Tado. „Diese unsichtbare Schwere, das fast schon lähmende Gefühl, das seit unserer Ankunft auf unseren Körpern lastet, ist die Anwesenheit von Magie. Telkor muss so sehr davon erfüllt sein, dass sie nicht nur körperlich zu spüren ist, sondern uns regelrecht unsere Kräfte raubt.“
„Vor wenigen Augenblicken nahm das erdrückende Gefühl der Magie plötzlich zu“, führte Spiffi Tados Gedanken weiter. „Als hätte sich etwas Großes in Bewegung gesetzt. Es dauerte eine Weile, bis ich mich erinnerte, wo ich dieses Gefühl schon einmal durchlebt hatte.“
„Oh nein!“, unterbrach ihn Yala und deutete in Richtung Strand. Als die anderen ihrer Geste folgten, schwand auch der letzte Rest ihrer Hoffnung dahin, denn sie wurden in diesem Moment Zeuge, wie das Schiff, das ein Teil der Besatzung gekapert hatte, ins Meer hinaustrieb.
„Ich sage es nur ungern, denn es ändert nichts an unserer Situation, aber ihr hättet auf mich hören sollen“, meinte Lukdan verärgert.
„Nein“, erwiderte Tado. „Etwas sehr Mächtiges ist auf dem Weg hierher. Das Schiff wird Telkor nicht verlassen.“
Alle Besatzungsmitglieder, die am Ufer mit den Echsenkriegern gekämpft hatten, waren mittlerweile überwältigt und gefesselt worden. Dennoch zeigten sich die beiden Magier ganz und gar nicht zufrieden. In diesem Moment vernahmen sie Flügelschlagen. Der Himmel über ihnen verdunkelte sich unter den Schwingen eines Glutvogels. Das Tier landete auf dem festen Untergrund der Promenade, und eine vollständig verhüllte Gestalt von imposanter Statur sprang von seinem Rücken in den schwarzen Sand. Langsam ging sie auf die beiden Magier und den Sammler zu. Keiner der drei sagte etwas. Kleine Rinnsale strömten dem Neuankömmling vom Spülsaum her zu, als versuchte der Ozean selbst nach der mysteriösen Person zu greifen. Die gefangenen Besatzungsmitglieder blickten geradezu angsterfüllt in die Richtung der unheimlichen Gestalt, und einige von ihnen rangen ob der mächtigen Präsenz des Magiers nach Luft. Es war unschwer zu erraten, dass es sich hierbei um einen der Oberen Vier handelte.
„Ich hoffe, es gibt einen guten Grund für mein Kommen“, sagte er, ohne jedoch einen der Anwesenden auch nur eines Blickes zu würdigen.
„Menschen“, brachte Parschald schließlich hervor. „Sie kamen mit einem unserer Schiffe, wir haben sie überwältigt und gefangen genommen.“
Weiter wollte er offenbar nicht sprechen, denn alles, was er jetzt noch zu sagen hatte, war höchst unerfreulich.
„Einige konnten jedoch entkommen“, ergänzte Gorson zögerlich. „Sie eroberten eines der vor Anker liegenden Schiffe und sind–“
„Ihr seid nutzlos“, unterbrach ihn der Magier. Er steuerte auf das Ufer zu.
„Wenn die Entkommenen die Route weiterverfolgen, treiben sie auf eine Strömung zu, die sie direkt aus dem Meer Telkors herausbringt“, fügte Parschald noch hinzu, während er, Gorson und der Junge in einigen Schritten Abstand hinter dem Mitglied der Oberen Vier hinterhergingen.
„War das ein Versuch, mich über meine eigenen Gewässer zu belehren?“, empörte sich der mächtige Magier und ließ seinen Begleiter dessen Worte auf der Stelle bedauern. Dann blieb er abrupt stehen und streckte seinen Arm in Richtung des auf den Horizont zusteuernden Schiffes der Fliehenden aus. Langsam schloss er die Hand zur Faust. Das Wasser wurde unruhig. Wellen breiteten sich in alle Richtungen aus, ließen die vor Anker liegenden Boote bedenklich schaukeln. Fassungslos weiteten sich die Augen der Gefangenen am Strand, als sich der Ozean unter dem Schiff der Fliehenden emporzuwölben begann, zu einer gewaltigen Welle wurde und das riesige Gefährt einige Meter in die Höhe wuchtete. Schließlich setzte sie sich in Bewegung; zunächst nur langsam, dann immer schneller trieb die Welle das auf ihrer Krone thronende Schiff zurück zum Strand. Mit einem lauten Donnern krachte das Heck in den schwarzen Sand, und das Überbleibsel der Welle ging als feiner Sprühregen über die Krieger und die Magier nieder. Dünne Wassersäulen schossen aus dem seichten Küstengewässer empor, und wie einst die Donneraale stießen sie auf das Deck herab, schlangen sich um die Besatzungsmitglieder und rissen sie in die Höhe. In Anwesenheit des übermächtigen Unbekannten kannte das Wasser keine Gesetze. Wie ein Ungeheuer mit dutzenden Armen holte das Meer die vollkommen machtlose Besatzung von Bord und warf sie unter dem Kommando des Magiers an den Strand, wo sich sogleich die Echsenkrieger auf die zumeist unbewaffneten Menschen stürzten und sie gefangen nahmen. Einer der Männer schaffte es, sich einen Weg zu den Magiern zu bahnen. Mit einem lauten Kampfschrei wuchtete er seinen Speer in Richtung des Mitglieds der Oberen Vier. Gorson und Parschald verharrten regungslos. Ihr Anführer hielt die Waffe seines deutlich kleineren Gegenübers mit der linken Hand fest, während er mit einem einzigen Finger der rechten Hand die Stirn des Mannes berührte.
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