Faugol brachte Tado ungeduldig an eine noch unbesetzte Stelle an der hintersten Wand des weitläufigen Raumes, wo es besonders stickig und weniger hell war, und erklärte ihm, was er zu tun hatte. Das Gestein war überwiegend zweifarbig marmoriert; der größere Teil zeigte eine gräuliche Färbung, nur vereinzelt fanden sich kleine, schwarze Flecken, bei denen es sich Faugols Worten nach um Drachenfels handelte. Tados Aufgabe bestand nun darin, jene wenigen Anteile des unzerstörbaren Materials aus der Wand herauszuschlagen, wobei er jedoch vermeiden sollte, mit der Spitzhacke, die er ihm in diesem Moment aushändigte, direkt gegen den Drachenfels zu hämmern, denn das würde das Werkzeug wohl nicht allzu lange durchstehen. Der Grauzwerg fügte außerdem hinzu, dass das begehrte schwarze Gestein sehr fest vom übrigen Felsen umschlossen wurde und es daher zunächst ausreichte, größere Brocken aus der Wand zu lösen, die beiden Gesteine nicht weiter voneinander zu trennen, sondern als marmorierte Klumpen in der bereitgestellten Kiste zu sammeln. Es mochte zudem vorkommen, dass Tado während seiner Arbeit auf Kristalle stoßen würde, wie Faugol ihm erklärte und anschließend auf eine etwa faustgroße, blau schimmernde Stelle in der Felswand deutete. Der Steinzwerg bezeichnete sie als wertlose Substanz und sagte, sehr zu Tados Überraschung, dass er sämtliche Kristalle, die er fand, behalten konnte. Dieser wusste zwar weder, was er damit anfangen, noch, wo er die glänzenden Steine aufbewahren sollte, aber er beschloss, sie vorerst einmal zu sammeln.
Faugol ließ ihn allein. Einer der Wache schiebenden Steinzwerge beäugte ihn misstrauisch, als Tado die Spitzhacke hob und gegen die Wand schmetterte. Nichts geschah. Es bedurfte fast einer halben Stunde unermüdlichen Schlagens, ehe sich der erste Gesteinsbrocken (nackter, grauer Fels und damit wertlos) löste und ihm vor die Füße fiel. Auf dem Boden fanden sich braune Schlieren und einige Spritzer. Vermutlich handelte es sich um getrocknetes Blut. Wer auch immer vor ihm die Wand bearbeitet hatte, schien hier ein nicht allzu schönes Ende gefunden zu haben. Diese Erkenntnis trieb Tado – wenngleich schon jetzt erschöpft und kurz davor, sich einfach hinzusetzen und eine Weile auszuruhen – zum Weitermachen an. Er warf das herausgelöste Stück Fels in die Kiste für wertloses Gestein und hob die Spitzhacke. Irgendwo hinter sich hörte er eine Peitsche knallen, zuckte kurz zusammen und traf mit seinem Hieb versehentlich auf ein Stück Drachenfels. Ein gewaltiger Schmerz durchfuhr seine Arme und breitete sich bis in seinen Rücken aus, als das eiserne Werkzeug durch den Aufprall kurz zu vibrieren begann und der gesamte Impuls in Tados Körper übergeleitet wurde. Die Peitsche hatte jedoch keineswegs ihm gegolten. Dem Knall war der halblaute Schrei eines eher schmächtig gebauten Mannes gefolgt, der unter dem mächtigen Schlag auch prompt zu Boden ging. Er arbeitete den Steinzwergen wohl offensichtlich zu langsam.
Tado schaffte es nach einer weiteren halben Stunde dann endlich, den ersten Felsbrocken mit einer kleinen, darin eingeschlossenen Drachenfelsader herauszulösen. Umsichtig hatte er, wohl als einziger in der gesamten Höhle, wie er überrascht feststellte, die Kiste schon im Vorfeld so platziert, dass das Gestein direkt dort hineinfallen würde. Den gut halbmeterbreiten Felsblock hätte er mit seiner bescheidenen Kraft auch gar nicht anheben können. Das Holz der Kiste ächzte zwar bedrohlich unter der schweren Last, die aus beträchtlicher Höhe zu Boden flog, hielt dem Aufprall aber stand. Mit dieser Taktik, die ihm eine Menge Kraft sparte, schaffte er es bis zur Mittagszeit der Anstrengung standzuhalten und füllte eine ganze Kiste mit jenen marmorierten Felsbrocken. Zwei Steinzwerge, die bereits mehrmals bei ihm vorbeikamen, um das wertlose graue Gestein abzuholen, trugen nun, offenbar sichtlich zufrieden, die Ladung Drachenfels in den Nebenraum.
Der helle Klang einer Glocke ertönte. Die Menschen rings um ihn herum legten in einer fast synchronen Bewegung ihre Spitzhacken nieder und begaben sich in Richtung Ausgang. Tado zögerte einen Moment, doch als er sah, dass sich auch die Steinzwerge zum Gehen abwandten, folgte er den übrigen Gefangenen. Sie betraten nach kurzem Fußmarsch eine weitere Höhle: Sie entpuppte sich als ein gewaltiges Gewölbe, deren Decke sich erst in gut dreißig Metern Höhe zu einer ungleichmäßigen Kuppel wölbte. Der Zweck dieses Raumes erschloss sich Tado schnell. Steinerne Tische erstreckten sich über die gesamte Länge der gut zweihundertfünfzig Meter messenden Halle. Ziemlich genau in der Mitte des riesigen Raumes, aus dessen zahlreichen Zugängen nun aus allen Richtungen Gefangene herbeiströmten, befanden sich mehrere dutzend gigantische Kessel, die über lodernden Feuerstellen hingen. Man hatte sie ein gutes Stück weit in den Boden herabgelassen, damit die Steinzwerge, die darin offenbar etwas zu essen zubereiteten, überhaupt über den Rand hinaussehen konnten. Überraschend schnell, nach kaum zehn Minuten des Wartens, hielt Tado eine warme Suppe in den Händen. Das Gericht sah nicht sehr appetitlich aus, wirkte im Schein der Fackeln wie ein grauer, klumpiger Brei, doch es schmeckte einigermaßen und sättigte vor allem, denn es war eine sehr große Portion.
Er hatte sich bewusst in die Nähe zweier Männer gesetzt, die im gleichen Raum arbeiteten wie er, denn er wollte sichergehen, auch wieder rechtzeitig zurückzufinden, um nicht ebenfalls Bekanntschaft mit der Peitsche zu machen. So geschah es eher zufällig, dass er Teile ihres mit gedämpfter Stimme geführten Gesprächs aufschnappte. Sie redeten über die Arbeit in der Mine, doch waren ihre Worte gekennzeichnet von Nervosität, und von Zeit zu Zeit mischte sich auch eine Spur von Furcht in ihre Stimme. Diese galt jedoch keineswegs den Steinzwergen und ihren brutalen Methoden, wie sie sich von den Gefangenen Gehorsam verschafften, sondern einer gänzlich anderen Person, die sich anscheinend ebenso in diesem Gewölbe befand, jedoch keineswegs zu den Untergebenen der Magier gehörte.
Einer der Männer sagte plötzlich, er müsse aufpassen, weil er heute bereits zu gute Arbeit geleistet hätte, und wollte nach dem Mittagessen ein wenig langsamer weitermachen, auch auf die Gefahr hin, einige strafende Peitschenschläge zu kassieren. Schließlich fasste Tado sich ein Herz und fragte die beiden Gefangenen nach dem Grund für ihr merkwürdiges Verhalten.
„Du musst noch ziemlich neu hier sein“, sagte der eine; Tado bestätigte diese Vermutung und er fuhr fort. „Wer außergewöhnlich gute Arbeit in der Drachenfelshöhle leistet, erregt die Aufmerksamkeit der Steinzwerge und wird kurze Zeit später an einen anderen Minenabschnitt gebracht, wo die Arbeitsbedingungen besser sind und die Wachen keine Peitschen mehr bei sich tragen.“
„Inwiefern ist das nicht erstrebenswert?“, fragte Tado ein wenig verwundert.
„Darum geht es ja auch nicht“, antwortete der andere Mann. „Die Bedingungen mögen in unserer Höhle zwar schlechter sein, doch solange wir in der Drachenfelsmine bleiben, sind wir wenigstens vor ihm sicher.“
„Wen meinst du?“, hakte Tado nach. „Einen der Aufseher?“
„Nein“, erwiderte der Mann, der zuerst gesprochen hatte. „Es sind nicht die Zwerge, vor denen wir uns fürchten. Irgendwo in den tiefer liegenden Gewölben der Mine befindet sich ein Gefangener, ein Mann von brutaler Gestalt, so sagt man. Jeder hier lebt in der ständigen Angst, ihm eines Tages zu begegnen. Schlimmes soll jenen widerfahren sein, die sich zu lange in seiner Gegenwart aufhielten. Ein Gefangener beschimpfte ihn einst mit üblen Worten (der Grund dafür blieb ungeklärt), und ein paar Nächte später war er spurlos verschwunden. Man fand nur eine Blutlache, die keinem der übrigen Arbeiter zugeordnet werden konnte. Ein anderer Mann, der in der gleichen Zelle wie jene furchteinflößende Person lebte, wurde eines Morgens tot geborgen, erdrosselt mit seiner eigenen Fußfessel!“
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