Langsam ging er die Straße entlang. Er hatte viel Zeit, hatte nichts weiter vor und wollte einfach etwas runter kommen, sich entspannen, Spaß haben und bei Gelegenheit etwas Trinken. Laut Kiran war er meist viel zu steif. Der Park auf der anderen Straßenseite lag ruhig und dunkel da und aus einer Laune heraus bog er auf einen seiner Wege. Eine Weile lang folgte er dem Weg, gänzlich ohne Eile. Auf einmal drang ihm das Pochen eines Herzens ans Ohr. Ein wenig schneller als ein menschliches Herz und mit einem dumpfen Unterton. Diese Art von Herzschlag hatte er nur sehr selten gehört: Werwolf. Alleine, ohne Rudel, was ungewöhnlich war. Davon abgesehen, versteckten sie sich meist, wenn nicht gerade Vollmond war, da sie in ihrer menschlichen Gestalt bei weitem nicht so wehrhaft waren und den Vampiren zumeist unterlegen. Sein Bruder war nicht in der Nähe, das hätte er gemerkt und jeglicher andere, ihm bekannte Vampir war ebenfalls außer Reichweite. Da er die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte musste er den Werwolf also alleine stellen. Dem Herzschlag nach vermutete er ein Weibchen, aber sicher konnte er erst bei Sichtkontakt sein. Das Pochen war sein Kompass und als er langsam in die Nähe des Feindes kam, dessen Atem sich mit dem Pochen zu einer seltsamen Melodie vermischte, kletterte er auf einen Baum um erst einmal zu beobachten. Als die Werwolfdame jedoch in Sicht kam konnte Alister sich nicht mehr halten. Für einen Menschen wäre sie Atemberaubend gewesen, er jedoch musste gar nicht mehr atmen. Dennoch reagierte sein Körper auf ihren Anblick und so schlug er hart auf den Boden auf. Die Frau, die ihn nun bemerkt hatte kam auf ihn zu und stellte sich leicht breitbeinig neben ihn. „Was haben wir denn hier?“ Er konnte sich kaum von dem Anblick ihrer schlanken Beine losreißen, obwohl er wusste, dass die Situation nicht ungefährlich war, so wie er auf dem Boden herumlag. Dann schaffte er es aber doch sich aufzurappeln.
Verwunderlicherweise reichte sie ihm die Hand und half ihm auf. Ihre scharfen, gelbgrünen Augen musterten ihn „Ihr seid doch sonst nicht so ungeschickt.“
„Ähm, ja.“ Alister räusperte sich, es war ihm schrecklich unangenehm, sie so angestarrt zu haben.
Sie hingegen konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen „Verlegen, wie süß. Du bist der Erste, der nicht sofort versucht mich zu töten.“
Er schloss kurz die Augen und atmete tief durch „Nein, äh, tut mir leid, soll ich es nachholen?“
„Bitte nicht,“ lachte sie „ich habe gerade keine Lust mich anzustrengen.“
Der Wind fuhr durch ihre lila gefärbten Haare und Alister fühlte sich wie erschlagen. Sie roch wild und gleichzeitig nach frischen Gräsern, darunter lag ein Hauch von Tannennadeln, als würde sie viel Zeit im Wald verbringen. Alles in Allem ein Duft, der untypisch für eine Frau war, ihn aber auch leicht vergessen ließ, was sie war. Er grinste schief, wobei seine spitzen Eckzähne zum Vorschein kamen und kam sich völlig bescheuert vor.
Warum auch immer, sie hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht, brachte seine Zähne zum Kribbeln „Ich eigentlich auch nicht, wenn ich ehrlich bin.“ davon abgesehen, dass er sie eigentlich auch gar nicht mehr angreifen wollte.
Sie löste eine Gier in ihm aus, wie er sie bisher noch nie verspürt hatte, eine Gier, nicht nur nach ihrem Blut.
Wieder ertönte ihr Lachen „Da bin ich aber froh.“
So konnte es noch interessant werden. „Man bekommt nicht oft die Gelegenheit miteinander zu reden, ihr seid in der Regel immer so unkommunikativ.“ versuchte er das Thema zu wechseln, ein schlechter Versuch.
Natürlich verstand er keine Wölfe und dies war seine erste Begegnung mit einem Werwolf in seiner menschlichen Gestalt. Für diesen Satz hätte er sich ohrfeigen können.
Die Frau schaute ihn beleidigt an „Nur weil ihr uns nicht versteht, heißt das nicht, dass wir unkommunikativ sind. Davon abgesehen sehe ich keinen Grund darin, mich mit jemanden zu unterhalten, der versucht mich umzubringen.“
Womit sie durchaus recht hatte und auch er hätte so gehandelt, wäre es Vollmond gewesen, so aber hatte ihr Anblick ihn davon abgehalten „Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
„Entschuldigung angenommen.“ meinte sie grinsend und streckte ihm ihre Hand hin „Ich heiße übrigens Abigail“
„Alister.“ stellte er sich vor und nahm ihre angebotene Hand „Magst du vielleicht ein Stück gehen, oder willst du hier noch länger stehen bleiben?“
Sie schenkte ihm ein leichtes Lächeln „Nein, nicht unbedingt.“
Er machte eine einladende Geste und gemeinsam gingen sie durch den dunklen Park. Ihm fiel auf, dass ihre Augen leicht fluoreszierten, etwas was ihm bisher noch nie aufgefallen war, aber im Kampf achtete man nicht auf solche Details.
„Ich habe immer gedacht, ihr seid wesentlich aggressiver.“
„Das macht der Mond. Da sind wir allgemein etwas empfindlich und umso voller er ist, umso unruhiger werden wir.“
„Und bei Vollmond verliert ihr die Kontrolle?“
„Ach was.“ sie machte eine wegwerfende Bewegung „Eine Verwandlung bedeutet nicht, dass wir gar nicht mehr wissen, was wir tun, eher sind wir dann sehr emotional und leicht reizbar. Aber noch sind es ein paar Tage bis Vollmond, so stark ist sein Einfluss momentan noch nicht.“
„Also bist du derzeit völlig ruhig und entspannt.“ stellte er grinsend fest, was ihr wieder ein Lachen entlockte.
„So in etwa.“
Neugierig musterte sie ihn von der Seite. Er war ein Stück größer als sie, hatte dunkle, kurze Haare, dunkle Augen und eine gerade Nase. Wie alt er wohl war? Sie hatte gehört, Vampire seien unsterblich, aber bisher hatte sie noch keinen kennen gelernt, der es ihr hätte bestätigen können. Alister allerdings wirkte unsicher, beinahe ein wenig schüchtern, was sie doch etwas irritierte, denn allgemein benahm er sich weniger so, als wäre er noch ein junger Vampir.
„Demnach kann ich froh sein, dass ich dir heute vor die Füße gefallen bin und nicht kurz vor vor Vollmond.“
Abigail nickte „Vermutlich. Wer weiß wie es dann ausgegangen wäre.“
Ihre Blicke trafen sich kurz, doch er wandte den seinen gleich wieder ab, wie beiläufig. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihr Herz schneller schlug. Etwas, das er sofort bemerkte, doch sagte er nichts dazu. Ihr gesamtes Wesen kam ihm überhaupt nicht wie das eines Raubtieres vor, aber er selber benahm sich auch nicht unbedingt besser, wie er hier mit ihr durch den Park spazierte und immer mal wieder ihren Duft einatmete. Er konnte einfach nicht anders, allerdings hatte das auf seine Gier nicht unbedingt den Effekt, dass sie weniger wurde. Nur zu gerne hätte er ihr Blut gekostet, doch sie war kein Mensch, sie würde niemals zulassen, dass er es einfach nahm, Gedankenkontrolle funktionierte bei Werwölfen nicht. Aber auch sonst, merkte er, dass er langsam Blut brauchte, was er ihr gegenüber allerdings nicht erwähnen würde.
„Ich möchte es mir lieber nicht vorstellen.“ klar war nur, dass es blutig geworden wäre.
„Nein, ich auch nicht.“ gab sie kichernd zurück „So ist es doch viel angenehmer.“ wobei ihre Stimme wieder ruhiger wurde und ihr Blick zum Halbmond wanderte, der über ihnen am Himmel hing.
„Wollen wir uns vielleicht eine Weile setzen?“ fragte er woraufhin die Werwolfdame sofort eine Bank ansteuerte, neben der eine Laterne stand.
Nun konnte sie auch erkennen, dass seine Augen von einem dunklen grün-braun waren. Erneut verwunderte sie die starke Differenz zwischen seinen geschmeidigen, selbstsicheren Bewegungen und der Unsicherheit, die er ihr gegenüber an den Tag legte.
Als er sich neben ihr niedergelassen hatte, sah sie ihn an „Und ihr seht im Dunkeln ohne Einschränkungen?“
„Natürlich, wir sind auf die Nacht beschränkt, dafür reagieren unsere Augen umso empfindlicher auf Licht, was bei der technischen Entwicklung heutzutage durchaus manchmal stören kann.“ wobei er auf die Laterne deutete, die die Bank erleuchtete „Und bei euch?“
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