„Aber meine Dame, sie wollen doch nicht etwa schon gehen?“ Seine Nase strich an ihrem Hals die Schlagader entlang.
Ihre Stimme war ein leises Flüstern, der neu errichtete Bann ließ sie nicht lauter sprechen „Nein... nein...“
„Wie schade!“ und auch ihr Blut wurde von seinen Zähnen befreit.
Ein lauer Herbstabend und Äpfel... Als auch ihr Leben teil seiner Kraft geworden war und er von ihr abließ hatten seine Augen wieder ihre normale, dunkle grün-braune Farbe angenommen. Sein nun wieder klar gewordener Blick glitt über die Leichen. Im Haus herrschte Totenstille, bis auf die, für seine Ohren immer noch viel zu laute, Musik, die aus den Boxen erklang. Benommen sackte er auf die Knie. Einen solchen Kontrollverlust hatte er bisher nur sehr selten gehabt, das Erschreckendste jedoch war, dass er nicht mehr wusste, was er getan hatte, das Ergebnis allerdings sah er nun deutlich vor sich, ohne abstreiten zu können, dass er es gewesen war, denn noch immer hatte er den Geschmack von frischem Blut im Mund. Langsam erhob er sich wieder, stellte die Musik ab und ging nach oben, auch hier waren, wie erwartet, einige Leichen. Vor dem offenen Fenster lag ein Mann in einer Blutlache, das Herz daneben. Kiran sprang auf die Fensterbank, ohne in das Blut zu treten und schwang sich von dort auf das Satteldach. Er setzte sich neben den Schornstein und blickte zu den Lichtern der Innenstadt in der Nähe. Ungewollt hatte er ein Massaker angerichtet und auch, wenn es ihm Kraft gab, war er darauf nicht unbedingt stolz. Genau genommen, hatte es so begonnen. Gedankenverloren rieb er sich über den Arm, dort wo die Kugel ihn durchschlagen hatte. Von der Wunde war nichts mehr zu sehen oder zu spüren, aber es zeigte, wie gefährlich dieser Zustand sein konnte, der ihn seit ihrer Verwandlung immer mal wieder ereilte. Seufzend zog er sein Handy aus der Hosentasche. Es hatte einige Blutflecken abbekommen, die er kurzerhand ableckte, bevor er Alisters Nummer anwählte. Beinahe augenblicklich wurde abgenommen, als hätte er nur auf den Anruf gewartet.
„Es ist wieder passiert...“ meinte er leise.
„Ich weiß. Wir sind gleich da.“
„Wir? Aber... Saskia... sie sollte das nicht sehen!“ er war etwas lauter geworden.
„Du wolltest sie sogar mitnehmen!“ kam Alisters trockene Antwort, dann legte er auf.
Kiran saß auf dem Dach und bewegte sich nicht, nur das Handy hatte er runter genommen, hielt es aber weiterhin in der Hand, während er seinen Gedanken nach hing. Selbst als er unten den Wagen seines Bruder vorfahren sah, der mit den Kratzern noch leichter zu erkennen war als sonst, und kurz darauf die beiden ausstiegen und das Mädchen zu ihm hoch deutete, bewegte er sich nicht.
„Willst du hier warten, oder mitkommen? Ich kann dir nur gleich sagen, dass dir der Anblick mit Sicherheit nicht gefallen wird.“
Saskia blickte zu Kiran hoch und meinte dann entschlossen „Mitkommen!“
Alister zuckte mit den Schultern und stieß die Tür auf. Die ersten beiden Leichen, die in Sicht kamen versetzten dem Mädchen einen riesen Schreck, der dazu führte, dass von oben ein Knacken zu hören war, als Kiran sein Handy zerdrückte. Scharfe Splitter schnitten in seine Handfläche und bohrten sich tief ins Fleisch. Saskia spürte diesen scharfen Schmerz in der Hand und besah sich ihre eigene, unversehrte, anders als der Schmerz am Arm, der viel zu plötzlich kam und ebenso schnell wieder verschwand, als dass sie ihn wirklich hätte realisieren können, blieb er dieses Mal.
„Es ist wieder mein Bruder.“ meinte Alister „Komm mit, wir sind gleich da.“
Das Kind ballte seine schmerzende Hand zur Faust und folgte dem Vampir ins obere Stockwerk. Der Geruch von Blut kroch ihr in die Nase, als sie oben ankamen. Die beiden toten Kinder waren ein weiterer Schock und die blutige Hand, die noch immer den Telefonhörer hielt war auch nicht gerade ein schöner Anblick. Die kleine Lache um den zerfetzten Armstumpf ließ ihre Zähne kribbeln und auch von den Blutspritzern an der Wand ging eine unheimliche Faszination für sie aus, aber der schrecklichste und zugleich schönste Anblick war das Herz, dass neben dem toten Körper in der riesigen Blutlache lag.
„Komm, ich helfe dir.“
Saskia die von dem Anblick gefesselt war, wurde nun wieder des Vampirs gewahr, der schon längst auf der Fensterbank hockte und ihr eine Hand hinstreckte. Sie griff danach und stand kurz darauf neben ihm auf dem schmalen Brett. Dann nahm Alister sie auf die Schultern und kletterte geschwind zu seinem Bruder aufs Dach, dort setzte er das Mädchen wieder ab. Sie blickte Kiran an, der sehr stark nach Blut roch und dessen Gesicht komplett rot verschmiert war.
„Du brauchst eine Dusche.“ ihre Stimme war leise und eine große Traurigkeit schwang drin mit „Die ganzen Toten im Haus... warst... warst du das?“ Er nickte. „Warum?“ sie klang schockiert.
„Eine gute Erklärung habe ich zumindest nicht dafür.“ er sah zu Alister, der an seinem Handy darauf wartete, dass Sophie seinen Anruf entgegen nahm. „Nun...“ Saskia setzte sich neben ihn und nahm seine rechte Hand, die die auch bei ihr immer noch schmerzte, und begann die Reste seines Handys aus seiner Haut zuziehen. „...ich habe wohl ein kleines Problem... zwischendurch verliere ich die Kontrolle. In der Regel artet es nicht so aus. Aber wenn so viel zusammen kommt, wie die letzten Tage...“ er sah ihr dabei zu, wie sie einen Splitter nach dem anderen aus seiner Hand zog „Tut mir leid. Geht es deiner Hand schon besser?“ das Mädchen nickte. „Zum Glück ist die Verbindung nur in eine Richtung so stark...“ murmelte er.
„Hm?“ Saskia blickte zu ihm auf. „Was heißt hier z um Glück ?“ sie klang empört, was Kiran zum Lachen brachte.
„Die Hand ist gar nichts.“ Er zwinkerte ihr zu. „Was meinst du, warum ich das Handy zerdrückt habe?“
Sie zuckte mit den Schultern „Vielleicht Wut?“
Er schüttelte den Kopf „Es war, weil du dich erschrocken hast.“
„Das hast du gemerkt?“ fragte sie ungläubig.
„Sicher... ich habe dir doch gesagt, dass ich deine Gefühle spüre. Egal, wo du bist, dadurch weiß ich immer, ob es dir gut geht. Zumindest, solange die Bindung in dieser Form noch besteht. Sie wird im Laufe der Jahre allerdings schwächer werden, ganz verschwinden jedoch nie. Dann werde ich nur noch wissen, ob du am Leben oder in der Nähe bist.“
„Und Alister? Spürt er es auch?“
„Nein, er hat mit dir eigentlich gar nichts zu tun, ich habe dich erschaffen, zwar unfreiwillig, aber es ist nicht zu leugnen. Diese Bindung besteht also nur zwischen uns beiden. Dennoch, mein Bruder würde dir niemals etwas antun.“
„Warum bist du dir da so sicher?“
Kiran seufzte „Seit wir geboren wurden, waren wir kaum getrennt... glaubst du nicht, dass ich da so etwas wissen sollte?“
„Hmm... Ja... doch...“
„Na siehst du.“ er schenkte ihr ein schiefes Lächeln „Also... Auch, wenn wir alles dafür tun werden, dich zu schützen, bist du doch in Gefahr, das hat der Einbruch heute gezeigt.“
„Hmm... Und warum genau hast du dann die Kontrolle verloren?“ sie wirkte abwesend, beinahe desinteressiert, doch er wusste, dass dem nicht so war.
„Schwer zu sagen... Momentan ist mir wohl einfach alles zu viel... Die Bindung, deine Gefühle... und alles was daraus resultiert, begünstigt die Wahrscheinlichkeit, in einen Blutrausch zu verfallen...“
„Das heißt, sie mussten meinetwegen sterben... Ich werde ab jetzt versuchen, mich zusammen zu reißen!“ eine rote Träne rollte ihr über die Wange.
„Ach Kleines.“ Kiran wischte den blutigen Tropfen weg. „Du kannst noch so sehr versuchen, deine Gefühle unter Kontrolle zu behalten, ich merke es dennoch, wie du dich fühlst, und du bist auch sicher nicht Schuld an ihrem Tod. Derjenige, der dich zurückgebracht hat ist Schuld und ehrlich gesagt bin ich mir noch nicht wirklich sicher, ob ich froh oder verärgert darüber sein soll.“ seine Worte schmerzten sie, das merkte er deutlich, aber er wollte sie diesbezüglich auch nicht anlügen. „Tut mir leid, damit wirst du wohl leben müssen.“ meinte er seufzend „Ich hatte nun einmal nicht vor irgendjemanden zu verwandeln und schon gar kein Kind.“
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