rief: »Seht, so wird es allen Feinden meines jüngsten
Bruders ergehen!«
Doch von dieser Heldentat wurde weiter keine
Notiz genommen.
»Ihr müßt euch«, sagte der jüngste Bruder darauf,
»im geheimen vorbereiten, so daß eure Weiber nicht
merken, was ihr vorhabt.«
Das versprachen sie denn auch alle; Mudschikihwis
wie gewöhnlich zuerst. Dann wurde eine bestimmte
Nacht festgesetzt, in der sie sich zur Abreise
versammeln sollten.
Als diese Zeit erschien, sagte Mudschikihwis zu
seiner Frau: »Hol mir schnell meine neuen Mokassins
herbei, denn du mußt wissen, daß ich den Kriegspfad
betreten will.«
So verriet er also das Geheimnis.
Bei ihrer Abreise schneite es, so daß man ihre Spuren
deutlich sehen konnte. Da machte denn der Anführer
einen großen Schneeball, warf ihn in die Luft
und rief: »Seht, solche Schneeflocken sah ich in meinen
Träumen fallen!« Und bald fielen auch wirklich
Flocken von dieser Größe.
So schneite es nun einen ganzen Tag und eine
ganze Nacht; die Brüder hielten sich stets nahe beisammen,
damit sie sich bei diesem Unwetter nicht aus
den Augen verlören. Mudschikihwis war dabei stets
der letzte. Doch einst lief er hastig an die Spitze, ließ
den wilden Kriegsruf ertönen, spaltete mit seiner
Keule einen dicken Baumstamm und rief: »Brüder, so
will ich unsere Feinde zerschmettern!«
»Langsam, langsam, Mudschikihwis«, sagte der
Anführer; »mit dem Feind, den ich dir vorführen
werde, wirst du nicht so leicht fertig werden.«
Darauf blieb Mudschikihwis allmählich wieder zurück;
sein Gesicht zog sich bedenklich in Falten, und
er wünschte heimlich, daß er lieber zu Hause geblieben
wäre.
Nachdem sie noch einige Tage lang weitergewandert
waren, kamen sie auf eine große Ebene, an deren
Grenze die menschlichen Knochen haufenweise umherlagen.
»Das sind«, sagte der jüngste Bruder, »die
Gebeine derjenigen, die vor uns hierher gekommen
sind.«
Mudschikihwis wurde nun immer unruhiger, doch
um seine Furcht die anderen nicht merken zu lassen,
ließ er abermals den Kriegsruf ertönen, zerschmetterte
einen mächtigen Felsen am Weg und rief: »Brüder, so
werde ich unsere Feinde zermalmen!«
Aber der Anführer erwiderte: »Dieser Fels hält mit
unserem Feind keinen Vergleich aus!«
Nun wurde Mudschikihwis noch ängstlicher zumute;
was das für ein furchtbarer Feind sein müsse,
konnte er sich gar nicht erklären.
Inzwischen waren die Brüder auf einer kleinen Anhöhe
angelangt, von wo aus sie auf einem gegenüberliegenden
Berg den schlafenden Mammutbären entdeckten.
Obwohl die Entfernung bedeutend war, so
konnten sie das Riesentier noch ganz deutlich erkennen.
»Seht«, sagte darauf der jüngste, »dort liegt der
Feind, dem ich euch entgegenführe; es ist Mitscha-
Makwe oder der große Bär mit dem kostbaren Wampumgürtel,
dem schon so mancher tapfere Kämpfer
sein Leben geopfert hat. Doch fürchtet euch nicht,
denn meine Träume haben mir den Sieg verkündet!«
Da der Bär sehr fest schlief, so konnten sie sich unbemerkt
heranschleichen und sogar der Reihe nach
probieren, ihm den heiligen Wampumgürtel über den
Kopf zu ziehen, was sie jedoch nicht fertigbrachten.
Der jüngste zog ihn glücklich bis zum Kopf, aber
drüberbringen konnte er ihn nicht. Da halfen ihm
denn die anderen zusammen aus Leibeskräften ziehen,
und das Werk gelang. Dann packte der Stärkste den
heiligen Schatz auf die Schulter, und dann liefen sie
fort, so schnell, wie sie ihre Beine nur tragen konnten.
Der Bär schlief noch immer; doch als die Abenteurer
die Knochenhaufen erreicht hatten, sahen sie, wie
er sich langsam erhob und seinen Verlust bemerkte.
Bald ertönte auch seine Donnerstimme, und die Erde
krachte unter seinen Sprüngen.
Die Brüder suchten sich nun gegenseitig Mut zuzusprechen,
und der jüngste fragte: »Hat denn keiner
von euch je von einem guten Manitu geträumt, der
ihm versprochen hat, zur Stunde des Unglücks Hilfe
und Schutz zu gewähren?« Doch es erfolgte keine
Antwort. »Gut«, sprach er weiter; »ich habe kürzlich
im Traum eine rauchende Hütte gesehen, in der ein
alter Mann wohnte, der mich beschützte.«
Dieser Traum bewahrheitete sich nun auch bald,
denn die Hütte mit dem alten Bewohner stand plötzlich
vor ihnen. »Memescho«, sagte der Führer, »gewähre
uns Schutz, denn ein mächtiger Bär verfolgt
uns.«
»Seid unbesorgt«, erwiderte der Alte freundlich;
»laßt euch nur ruhig nieder, denn es gibt keinen
mächtigeren Manitu auf der ganzen Erde, als ich bin.«
Darauf stellte er ihnen Speise und Trank vor und
ging vor die Tür, um sich seinen Feind einmal anzusehen.
»Ja, meine Kinder«, sagte er, als er wieder hereintrat,
»das ist wahrhaftig ein kräftiger und gefährli-
cher Manitu, der mir zu schaffen machen wird. Aber
ich habe euch einmal meines Schutzes versichert und
werde auch mein Wort halten, und wenn es mich mein
Leben kostet. Wenn jetzt der Bär vor die Hütte
kommt, so entschlüpft ihr durch die Hintertür und laßt
mich dann für das übrige sorgen.«
Darauf öffnete er seinen großen Medizinsack und
nahm zwei kohlschwarze Hunde heraus, die er gewöhnlich
brauchte, wenn er Krieg führte. Er streichelte
sie, wodurch sie allmählich so groß wurden, daß sie
zuletzt die ganze Hütte ausfüllten. Ihre Knochen wurden
so fest wie Feuerstein und ihre Zähne so lang und
so spitz wie Wurfspieße. Sie sprangen dem Bären
entgegen, und es entspann sich ein so schrecklicher
Kampf, daß Himmel und Erde erdröhnten und Sonne
und Mond herunterzufallen drohten.
Die zehn Brüder hatten sich glücklich durch die
Hintertür in Sicherheit gebracht. Bald aber hörten sie
den Todesschrei des einen Hundes, dem auch kurz danach
der des anderen folgte. Auch der alte Manitu
wurde getötet, und der Bär holte darauf die Fliehenden
in kurzer Zeit wieder ein.
»Kann denn keiner etwas zu unserer Rettung tun?«
fragte der jüngste Bruder wieder; doch er erhielt keine
Antwort. »Nun«, fuhr er fort, »ich habe im Traum
einen mächtigen Manitu gesehen, der mir half, und
ich glaube, dort steht seine Hütte.«
So war es denn auch.
»Kinder«, sagte der Alte, »kommt herein, eßt und
trinkt, und seid nicht ängstlich, denn es gibt keinen
stärkeren Manitu auf der ganzen Welt, als ich bin!«
Sie gingen auch hinein und setzten sich nieder, und
bald zitterten alle Pfosten des Wigwams von den gewaltigen
Sprüngen des Bären.
»Wahrhaftig«, sagte der Alte, zur Tür hinaussehend,
»dieses Tier wird mir den Angstschweiß heraustreiben.
Sobald der Bär kommt, entflieht ihr durch
die Hintertür, damit ihr bei unserem Kampf keinen
Schaden nehmt.«
Darauf holte er seinen großen Medizinsack herbei
und nahm seine Kriegskeulen heraus, die in seinen
Händen immer größer und größer wurden. Dann trat
er damit vor die Tür und versetzte dem Bären einen so
kräftigen Schlag, daß die eine Keule in tausend Stükke
sprang. Nun nahm er die andere und versetzte dem
Bären abermals einen furchtbaren Schlag, worauf dieser
besinnungslos zu Boden stürzte. Aber er erholte
sich bald wieder und setzte den Kampf mit erneuten
Kräften fort. Bald verkündete ein gellender Schrei den
Fliehenden, daß ihr Schutzgeist sein Leben für sie geopfert
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