Johann Heinrich August Leskien - Balkanmärchen auf 251 Seiten

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Aus Albanien / Bulgarien, Serbien und Kroatien
Einleitung
Der Titel «Balkanmärchen» entspricht nicht ganz dem
geographischen Gebiet, aus dem die Märchen dieses
Bandes stammen. Es fehlen darin von den Völkern
der Balkanhalbinsel die Griechen, Aromunen (Zinzaren,
Mazedowlachen) und Türken, und mit der Aufnahme
von Märchen aus Kroatien wird die Balkanhalbinsel
überschritten. Enthalten sind in diesem
Bande also nur s e r b o k r o a t i s c h e , b u l g a r i -
s c h e und a l b a n i s c h e Märchen.
Eine Auswahl aus den Märchen der Serbokroaten,
Bulgaren und Albaner so zu treffen, daß für jedes
Volk etwas dem Stoffe oder der Form nach Eigentümliches
herauskommt, ist kaum Möglich. Die Völker
der Balkanhalbinsel grenzen eng aneinander, die
Sprachgrenzen durchkreuzen sich z.T. so, daß Wanderungen
der Märchen von einem Volk zum andern
notwendig stattfinden müssen. In Mazedonien z.B.
wohnen Bulgaren, Serben, Albaner, Aromunen, Griechen
und Türken neben- und durcheinander. Zweiund
mehrsprachige Menschen gibt es daher eine große
Menge; solche vernehmen Erzählungen in einer ihnen
geläufigen Sprache und erzählen sie weiter in einer
ihnen ebenso bekannten, in deren Gebiet die Märchen
dann weiter von Mund zu Mund verbreitet werden.
Dazu kommt, daß die Bekenner des Islam unter den
Serben, Bulgaren und Albanern in enger Verbindung
mit ihren orientalischen Religionsgenossen stehen,
und daß ein islamitisches Volk, die T ü r k e n , ein
halbes Jahrtausend auf der Balkanhalbinsel geherrscht
hat. Dadurch ist der orientalische Märchenschatz dorthin
gelangt. Das zeigt sich häufig noch in der Beibehaltung
türkischer Wörter und in der orientalischen
Färbung? was Sitten und Lebensanschauungen betrifft.
Neben diesem mächtigen Einfluß kommen aber
noch andre Beziehungen in Betracht.

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Johann Heinrich August Leskien

Balkanmärchen auf 251 Seiten

67 Märchen der Serbokroaten, Bulgaren und Albaner

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Inhaltsverzeichnis Titel Johann Heinrich August Leskien Balkanmärchen auf 251 - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Johann Heinrich August Leskien Balkanmärchen auf 251 Seiten 67 Märchen der Serbokroaten, Bulgaren und Albaner Dieses ebook wurde erstellt bei

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Quellennachweise und Anmerkungen

Impressum neobooks

Kapitel 1

Aus Albanien / Bulgarien, Serbien und Kroatien

Einleitung

Der Titel »Balkanmärchen« entspricht nicht ganz dem

geographischen Gebiet, aus dem die Märchen dieses

Bandes stammen. Es fehlen darin von den Völkern

der Balkanhalbinsel die Griechen, Aromunen (Zinzaren,

Mazedowlachen) und Türken, und mit der Aufnahme

von Märchen aus Kroatien wird die Balkanhalbinsel

überschritten. Enthalten sind in diesem

Bande also nur s e r b o k r o a t i s c h e , b u l g a r i -

s c h e und a l b a n i s c h e Märchen.

Eine Auswahl aus den Märchen der Serbokroaten,

Bulgaren und Albaner so zu treffen, daß für jedes

Volk etwas dem Stoffe oder der Form nach Eigentümliches

herauskommt, ist kaum Möglich. Die Völker

der Balkanhalbinsel grenzen eng aneinander, die

Sprachgrenzen durchkreuzen sich z.T. so, daß Wanderungen

der Märchen von einem Volk zum andern

notwendig stattfinden müssen. In Mazedonien z.B.

wohnen Bulgaren, Serben, Albaner, Aromunen, Griechen

und Türken neben- und durcheinander. Zweiund

mehrsprachige Menschen gibt es daher eine große

Menge; solche vernehmen Erzählungen in einer ihnen

geläufigen Sprache und erzählen sie weiter in einer

ihnen ebenso bekannten, in deren Gebiet die Märchen

dann weiter von Mund zu Mund verbreitet werden.

Dazu kommt, daß die Bekenner des Islam unter den

Serben, Bulgaren und Albanern in enger Verbindung

mit ihren orientalischen Religionsgenossen stehen,

und daß ein islamitisches Volk, die T ü r k e n , ein

halbes Jahrtausend auf der Balkanhalbinsel geherrscht

hat. Dadurch ist der orientalische Märchenschatz dorthin

gelangt. Das zeigt sich häufig noch in der Beibehaltung

türkischer Wörter und in der orientalischen

Färbung? was Sitten und Lebensanschauungen betrifft.

Neben diesem mächtigen Einfluß kommen aber

noch andre Beziehungen in Betracht. Aus dem südlichen,

g r i e c h i s c h e n Teil der Balkanhalbinsel

sind Märchen nach dem Norden gekommen, und die

Serbokroaten von der Adriaküste Dalmatiens und

Kroatiens standen jahrhundertelang in Berührung mit

I t a l i e n ; Zweisprachigkeit, italienisch und serbokroatisch,

ist daher in Dalmatien, namentlich auf den

Inseln, ganz gewöhnlich. Ferner macht sich bei den

kroatischen Märchen d e u t s c h e r Einfluß bemerkbar,

z.T. vermittelt durch die Slowenen der Steiermark,

Kärntens und Krams, die in unmittelbarer Berührung

mit Deutschen wohnen. Endlich machen sich

auch noch madjarische und rumänische Einflüsse geltend.

So ist ein außerordentlich buntes Gemisch von

Märchenstoffen entstanden, aus dem man kaum einen

besonderen Besitz der einzelnen Völker auszuschei-

den vermag. Auch kann man nicht sagen, daß die Erzählungsweise

des einen Volkes von der des andern

auffallend verschieden sei. Wer die Sprachen kennt,

empfindet freilich die Unterschiede, die in deren Phraseologie

und Satzbildung liegen und sozusagen eine

verschiedene Tonart darstellen, allein in der Übertragung

ins Deutsche kann das nicht wohl herauskommen.

Bei der Übersetzung habe ich mich bemüht, möglichst

getreu die Originale wiederzugeben; freilich

wird dabei manches Überflüssige mit übersetzt. Die

Erzählungsweise ist öfter außerordentlich weitschweifig.

Kürzt man, so geht die ursprüngliche Art und

Weise leicht ganz verloren; ich habe daher nur hier

und da gar zu lange buchstäbliche Wiederholungen

durch kürzere Wendungen ersetzt. Die Beibehaltung

einzelner Wörter aus den Sprachen der Vorlagen beruht

auch auf dem Bestreben, nichts Fremdartiges in

die Übersetzung hineinzubringen. Darum ist z.B. Zar

beibehalten; die südslawischen Volkssprachen haben

ursprünglich eigentlich kein Wort für König, sondern

Zar deckt unser Kaiser und König. Aber Kaiser würde

im Märchen nicht ganz passend sein, da Zar auch den

Sultan bedeutet und der Märchenzar oft Sultanszüge

trägt; König geht noch weniger, denn der Zar entspricht

nicht dem deutschen Märchenkönig. So habe

ich in der Regel das Wort König nur angewendet, wo

ausdrücklich der slawische Ausdruck dafür steht

(kralj).

Der wissenschaftliche Kommentar beschränkt sich

auch hier wie im früher erschienenen Bande russischer

Volksmärchen auf die notwendigsten Hinweise,

die es dem Leser ermöglichen, die Zugehörigkeit des

betreffenden Stückes zu einem bestimmten Überlieferungskreise

festzustellen. Diese vergleichenden Anmerkungen

rühren von Dr. A u g u s t v. L ö w i s o f

M e n a r her, die erklärenden vom Übersetzer.

Leipzig, im Mai 1915

A u g u s t L e s k i e n

1. Das kluge Mädchen wird Zarin

Einmal gab ein Zar den Befehl: wer den und den Stein

schlachtet, daß das Blut davon fließt, den will ich

zum Ersten meines Reiches machen.

Von allen Seiten kamen wackre Burschen herbei,

aber keiner konnte den Stein schlachten; sie fanden es

nur wunderlich, wie man überhaupt einen Stein

schlachten könne. In einem Dorfe gab es ein sehr

wackres Mädchen, sie hütete die Schafe. Als sie

davon hörte, verkleidete sie sich als Mann, ging zum

Zaren und sagte zu ihm: »O Zar, ich kann den Stein

schlachten.« Überallhin ging das Gerücht, es habe

sich ein Mensch gefunden, den Stein zu schlachten,

und zahllose Leute sammelten sich, um zu sehen, wie

der das machen wird.

Als der Tag kam, an dem das Mädchen den Stein

schlachten sollte, zogen der Zar und alle Vornehmen

aus der Stadt auf einen freien Platz, und dort vor aller

Augen sollte das Mädchen ihn schlachten. Das Mädchen

zog das Messer, um den Stein zu schlachten,

wandte sich zum Zaren und sagte: »Zar, du willst

doch, daß ich den Stein schlachten soll. So gib ihm

vorher eine Seele (Leben), und wenn ich ihn dann

nicht schlachte, nimm meinen Kopf.«

Der Zar wunderte sich über diese Antwort und

sagte: »Du bist der Klügste in meinem Reiche, und

ich will dich zum vornehmsten Manne machen; wenn

du mir aber noch das vollbringst, was ich dir sagen

werde, so sollst du mir wie ein Sohn sein.« Das Mädchen

sprach: »Sage, Zar, was du sagen willst, und

wenn es möglich ist, will ich mich bemühen, es zu

vollbringen.« Der Zar sagte ihr: »Von jetzt an in drei

Tagen sollst du wieder vom Dorfe hierher kommen.

Wenn du kommst, sollst du reiten und nicht reiten,

sollst mir ein Geschenk bringen und nicht bringen;

alle, groß und klein, wollen wir herauskommen und

dich empfangen, und du sollst die Leute dahin bringen,

daß sie dich empfangen und nicht empfangen.«

Die Hirtin ging nun in ihr Dorf und gab den Bauern

den Auftrag, drei vier Hasen und zwei Tauben lebendig

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