wie dieser Mensch Tiere töten könnte. Doch dieses
Geheimnis klärte sich bald auf.
Der Alte lud darauf alle freundlichst ein, bei ihm zu
übernachten, und kochte ihnen ein treffliches Mahl in
seinem hölzernen Topf. Doch beim Herumreichen des
Fleisches machte er solche possierliche Bewegungen,
daß sich einer namens Otter des Lachens nicht enthalten
konnte und laut damit herausplatzte.
Der Alte sah ihn wütend an, sprang mit einem Satz
auf und suchte ihm den Kopf einzutreten. Aber Otter
war auch sehr flink, schüttelte den bösen Manitu ab
und entfloh durch die offene Tür. Die anderen verbrachten
die Nacht in angenehmster Unterhaltung,
und der Alte versicherte Odschig, daß er ihm zur Erreichung
seines Zweckes behilflich sein wolle, obgleich
es ihn unzweifelhaft das Leben kosten würde.
Am anderen Morgen zeigte er ihnen den Weg, auf
dem sie auch bald den unglücklichen Otter wieder antrafen,
der beinahe verhungert war. Odschig hatte aber
glücklicherweise heimlich ein Stück Fleisch eingesteckt,
so daß er nun seinem Freund doppelt willkommen
war.
Nun reisten sie abermals zwanzig Tage lang weiter
und ließen sich dann auf einem hohen Berg nieder,
von dem ihnen der Alte vorher erzählt hatte. Sie
stopften sich gemütlich ihre Pfeifen, verneigten sich
der Sitte gemäß gegen alle vier Himmelsgegenden
sowie gegen die Erde und den Himmel und baten
dabei inbrünstig den Großen Geist um Erfolg. Dann
fingen sie an zu rauchen.
Der Himmel schien auf dieser hohen Bergspitze so
nahe zu sein, daß es ihnen vorkam, als könnten sie
mit Leichtigkeit hineinspringen. »Odschig«, sagte
Otter, »laß uns doch einmal versuchen, ob wir kein
Loch hineinmachen können.«
Odschig nickte und bat ihn, gleich den Anfang zu
machen. Otter sprang also hinauf, konnte aber oben
unglücklicherweise keinen Halt fassen und fiel besinnungslos
den Berg hinunter. Als er seine Lebensgeister
wieder gesammelt hatte, dachte er: Das ist das
letztemal, daß ich einen solchen Todessprung unternehme,
und er begab sich allein auf den Heimweg.
Nun kam die Reihe an Biber, dem ging's aber ebenso,
und Luchs und Dachs erlitten dasselbe Schicksal.
»Vielfraß«, sagte darauf Odschig, »ich verlasse
mich auf deine Geschicklichkeit und Behendigkeit;
springe du nun.«
Vielfraß tat's, aber sein Sprung war erfolglos; doch
verlor er den Mut nicht und sprang zum zweitenmale,
und die Himmelsdecke gab ein wenig nach. Dann
sammelte er alle seine Kräfte zum letzten Sprung, der
vollständig gelang; der Himmel bekam ein Loch, und
beide marschierten mutig hinein.
Dort fanden sie sich auf einer großen, weiten
Ebene, die so weit, wie ihre Augen reichten, über und
über mit den herrlichsten Blumen bedeckt war. Die
Ströme enthielten das klarste Wasser; ihre Ufer wimmelten
von allerlei prächtigen Tieren, und von den
hohen Bäumen ertönten die anmutigsten Lieder lieblicher
Singvögel. Aber die allerschönsten Vögel flogen
nicht frei umher, sondern waren in große Käfige gesperrt,
die vor den Häusern der Himmelsbewohner
hingen. Als Odschig dies bemerkte, wurde er so ärgerlich,
daß er jeden Käfig ohne weiteres öffnete und
die Vögel durch das himmlische Loch entfliehen ließ.
Auch die warme Himmelsluft verflüchtigte sich allmählich
durch jene Öffnung; es fing an, oben empfindlich
kalt zu werden, und die Leute flüchteten
ängstlich in ihre warmen Wohnungen. Doch das half
gerade soviel, als wenn der verfolgte Strauß seinen
Kopf in den Sand steckt, und einige klügere Leute liefen
so schnell wie möglich zu jenem Loch, um es zuzustopfen
und zu retten, was noch zu retten sei. Aber
es war damit beinahe zu spät; Frühlings-, Herbst- und
Sommerluft waren schon entwichen, ja sogar die
Hälfte des ewigen Sommers war schon weg, ehe sie
das Unglücksloch erreichten.
Vielfraß, der die wütenden Leute noch zur rechten
Minute kommen sah, gewann in aller Eile soviel Zeit,
um glücklich durchzubrennen. Odschig aber war nicht
so glücklich; das öffnen der vielen Vogelkäfige hatte
ihn so in Anspruch genommen, daß er weder hörte
noch sah, was um ihn vorging, und als er zur Öffnung
kam, war diese bereits verstopft.
Wie ein gehetztes Wild rannte er nun über die endlosen
Ebenen des Himmels und mußte zuletzt, da ihn
seine Feinde zu hart bedrängten, auf einem dicken
Baum Schutz suchen. Die Pfeile der Angreifer pfiffen
ihm zu Hunderten um die Ohren; viele trafen ihn
auch, verwundeten ihn aber nicht, da sein Körper, mit
Ausnahme der Schwanzspitze, unverwundbar war.
Doch gegen Abend hatte er das große Unglück, an
der bezeichneten Stelle getroffen zu werden. Er sah
herunter, und da er zufällig einige Leute seines Totems
– des Fischtotems nämlich – bemerkte, so bat er
sie kläglich, doch von der Verfolgung abzulassen,
was sie denn auch mit Anbruch der Nacht taten.
Odschig kletterte nun herab und suchte nach einem
besseren Zufluchtsort, fand aber leider keinen. Seine
Schwanzwunde schmerzte ihn unsäglich, denn sie war
tödlich, weshalb er sich zum Sterben bereit hinlegte
und seufzte: »Mein Sohn, ich habe mein Versprechen
erfüllt, aber es hat mein Leben gekostet. Doch ich bin
zufrieden und sterbe gelassen, denn ich habe nicht allein
dir, sondern allen Menschen und Tieren der Erde
Gutes gestiftet, und diese werden sich jährlich nur
noch wenige Monate über Schnee und Kälte zu beklagen
haben.«
Am anderen Morgen fand man ihn tot mit einem
Pfeil im Schwanz, und seit jener Zeit erblickt man das
Zeichen des Fisches am Sternenhimmel.
37
Schihm
oder der Wolfsbruder
Auf dem See lag Totenstille; nicht der leiseste Windhauch
spielte zwischen den Blättern der Waldbäume,
und weder Vogel noch Tier regte sich. Das einzige,
was man hörte, waren schwere, tiefe Seufzer, die aus
einem einsam stehenden Wigwam kamen, wo ein alter
Jäger in den letzten Zügen lag. Alle Künste der Medizin
waren erschöpft, und Weib und Kinder, die weinend
sein kümmerliches Pelzlager umstanden, erwarteten
mit jeder Minute die Abfahrt des Geistes und
hatten deshalb schon die Tür geöffnet, damit er unbehindert
hinaus könne.
Doch der Kranke fühlte sich durch die hereinströmende
frische Luft etwas gestärkt, richtete langsam
den Kopf auf und sprach: »Meine lieben Angehörigen,
ich lasse euch jetzt in einer Welt voll Hunger und
Sorgen zurück, die schwere Forderungen an euch stellen
wird. Meiner betagten Gemahlin wegen ist mir
nicht bange, denn ihre Tage sind gezählt, und sie wird
mir bald nachfolgen. Aber wer wird der Führer meiner
armen Kinder sein, die kaum ins Leben gesehen
haben? Mißgunst, Undankbarkeit und jede erdenkliche
Schlechtigkeit harren ihrer. Deshalb hatte ich
mich vor vielen Jahren von meinem Stamm getrennt
und war hierher in die Einsamkeit gezogen, damit ich
das wilde Kriegsleben mit ungestörter Ruhe vertauschen
konnte. Jetzt ist mein Leben zu Ende, und ich
werde meine Augen in Frieden schließen, wenn ihr,
meine Kinder, mir feierlich gelobt, euch lebenslang
gegenseitig zu lieben, eure alte Mutter nicht darben
und euren jüngsten Bruder nicht hilf- und schutzlos
zu lassen.«
Darauf sank er tot nieder, und Mutter und Tochter
trafen weinend die nötigen Anstalten zur Beerdigung.
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