1 ...8 9 10 12 13 14 ...32 plötzlich im Rücken an und zerriß sie in tausend Fetzen.
Aus jenen Fetzen entstanden später giftige Disteln
und gefährliche Dornbüsche.
Die Fliehenden konnten nun gemächlich ausruhen,
sich in Frieden eine wohnliche Hütte bauen und ungestört
ein glückliches Leben führen.
8
Boschkwädosch
Einst lebte ein Mann ganz allein auf der Welt. Er
wußte nicht, woher er kam, nicht, wer seine Eltern
waren, und auch nicht, ob es außer ihm jemals andere
Menschen gegeben hatte. Er irrte ständig im Wald
umher, seine Augen drehten sich forschend nach allen
Seiten; was er aber eigentlich suchte, wußte er selbst
nicht zu sagen.
Als er sich einst müde und erschöpft neben eine
dicke Eiche gelegt hatte, schlief er sanft ein und hatte
einen merkwürdigen Traum. »Nokomis«, sprach eine
Stimme zu ihm, »warum bist du so trübe und traurig?
Steh auf; ich will dir helfen!«
Darauf erwachte er und sah ein winziges haarloses
Tierlein vor sich, das war doch so klein, daß man es
kaum mit den bloßen Augen sehen konnte. »Nokomis!
« schrie es mit lauter Stimme. »Hebe mich auf,
und wickle mich in deine Bauchbinde, und solange du
mich so bei dir tragen wirst, wird dir alles gelingen,
was du anfängst.«
Das tat denn auch der gute Mann, und er wanderte
darauf weiter.
Nach langem Hinundherirren entdeckte er ein gro-
ßes Dorf dicht vor sich, das von einer breiten Straße
durchschnitten war. Was ihm bei diesem hauptsächlich
merkwürdig vorkam, war, daß die Häuser auf der
einen Seite ganz mit Menschen überfüllt waren, während
die auf der anderen vollständig leer standen.
Als ihn die Bewohner sahen, liefen sie alle auf die
Straße und schrien: »Seht, das ist Anischinabo, der
Mann, von dem uns unsere Propheten erzählt haben!
Seht seine Augen, seht, wie seine Zähne im Halbkreis
stehen und wie ihm die Gedärme in seinem Bauch zusammengerollt
sind!« Es schien, als konnten jene
Leute durch seinen ganzen Körper sehen.
Mudschikihwis, der Sohn des Königs, schien besonderen
Gefallen an ihm zu finden; denn er nahm ihn
mit in das Haus seines Vaters, setzte ihm allerlei
nahrhafte Erfrischungen vor und gab ihm die schönste
seiner Schwestern zur Frau.
Die ganze Beschäftigung jenes Volkes bestand in
Jagen und Spielen, und als sich unser Held von den
Strapazen seiner anstrengenden Reise vollständig erholt
hatte, wünschte er ebenfalls daran teilzunehmen.
Doch da sollte er zuerst eine merkwürdige Frostprobe
bestehen. Er sollte nämlich mit einigen anderen jungen
Leuten eine Nacht nackt auf einem zugefrorenen
Teich vor dem Dorf zubringen. Zwei Jünglinge begleiteten
ihn hin, zogen sich dann aus, legten sich nieder
und befahlen ihm, dasselbe zu tun.
Er zog sich nun ebenfalls aus, behielt jedoch seine
dünne Binde mit dem Boschkwädosch – seinem
Schutzgeist – um den Leib, denn er wußte nur zu gut,
daß darin seine ganze Kraft bestand. Seine Gesellschafter
verlachten und verscherzten die erste Hälfte
der Nacht und schienen dabei sehnlichst das Erstarren
des Fremden zu erwarten. Aber eine angenehme
Wärme verbreitete sich aus dem Amulett des Jünglings
über seinen ganzen Körper, und als er seine Gefährten
kurz nach Mitternacht anrief, waren ihnen die
Zungen schon so steif gefroren, daß keiner ein Wort
mehr lallen konnte. Doch er blieb ruhig liegen bis
zum Tagesanbruch; dann stand er auf und rüttelte und
schüttelte sie aus Leibeskräften. Aber diese waren so
hart wie Eis; das Fleisch war ihnen unter den Nägeln
hervorgequollen, und ihre Augen standen weit aus
dem Kopf. Als er sich jedoch den Schlaf recht aus den
Augen gerieben und sie etwas genauer betrachtet
hatte, fand er zu seinem größten Erstaunen, daß sich
beide in riesige Büffel verwandelt hatten.
Er band sie nun zusammen, lud sie auf seine Schultern
und schleppte sie in das Dorf. Dort freute sich
aber nur einer aufrichtig über seine Wiederankunft,
nämlich sein Schwager Mudschikihwis, denn die anderen
hatten alle mit seinem Tod gerechnet.
Unser Glückskind legte nun seine Bürde ruhig nieder;
doch bald verschwand diese wieder vor seinen
Augen auf unerklärliche Weise, und in einem gegenüberstehenden
Haus, das vorher leer war, zeigten sich
auf einmal zwei neue Bewohner. Weitere Frostproben,
denen er sich unterziehen mußte und die einen
ähnlichen Verlauf nahmen, bevölkerten jene Straßenseite
allmählich vollständig.
Nun hatte sich unser Held auch noch der Probe des
Schnellaufens zu unterwerfen. Er fand sich auf dem
bestimmten Platz ein und begann den Wettlauf. Sein
Rivale verwandelte sich aber plötzlich in einen
Schwarzen Bären und riß den Boden hinter sich auf,
so daß er ihn natürlich in kurzer Zeit weit zurückließ.
Nun gedachte der Jüngling seines Schutzgeistes und
wünschte sich die Schnelligkeit Käkäks oder des Habichts.
Augenblicklich hob er sich in Gestalt dieses
Vogels in die Luft und erreichte das Ziel noch eine
halbe Stunde vor dem Bären.
Mudschikihwis empfing ihn wieder freundschaftlich;
den zu Tode erschöpften Bären aber, dem die
Zunge ellenlang aus dem Hals hing, schlug er erbarmungslos
mit seiner Keule nieder. Dann holte er seine
dickste Kriegskeule herbei, hielt allen Leuten, die den
Tod seines Freundes gewünscht hatten, eine donnernde
Strafpredigt und zerschmetterte sie darauf alle
ohne Gnade und Barmherzigkeit. In dem Augenblick,
wo sie niederstürzten, waren sie jedoch keine Männer
mehr, sondern Hunde, Füchse, Wölfe, Jaguare, Luch-
se, Mäuse, Ratten, Frösche usw.
Als die übrigen Bewohner des Dorfes das traurige
Schicksal ihrer Brüder erfuhren, beriefen sie eine
große Versammlung ein und unterzogen den Verlauf
der Frostprobe und der Schnelläuferei einer eingehenden
Untersuchung. Jeder strengte sein Redetalent nach
Kräften an, und nach langem Debattieren wurde denn
beschlossen, daß, da es bei der ersten Probe nicht mit
richtigen Dingen zugegangen zu sein schien, diese
noch einmal zu wiederholen sei.
Der Fremde ging abermals darauf ein, vergaß aber
an dem bestimmten Tag, seinen kleinen Schutzgeist
mitzunehmen. Da wurden denn gegen Mitternacht
seine Glieder steif wie Eisen, sein Blut hörte auf zu
zirkulieren, und als man ihn am anderen Morgen aufhob,
war er mausetot. Stolz trugen ihn nun seine Feinde
in das Dorf, wo sie mit Jubel empfangen wurden.
Der Körper wurde in ganz kleine Stücke zerschnitten,
so daß jedermann einen Bissen davon kosten konnte.
Mudschikihwis war zu Tode betrübt; seine Schwester
aß und trank nicht mehr und war wie von Sinnen.
Als sie nun einst weinend und schluchzend in der
Nacht ihres ermordeten Gatten gedachte, kam es ihr
vor, als höre sie etwas in ihrer Nähe wispern. Sie
horchte aufmerksam und fand, daß jene Stimme aus
der zurückgelassenen Bauchbinde kam. Sie wickelte
sie auf, und das kleine haarlose Tierlein kroch hervor.
Boschkwädosch war so klein und unbeholfen wie
ein neugeborenes Mäuslein, und wenn er drei Zoll
weit ging, war er so müde, daß er ausruhen mußte.
Dabei wiegte er sich aber immer hin und her und
wurde darauf allmählich immer größer, und als er auf
diese Art zuletzt die Größe eines gewöhnlichen Hundes
erreicht hatte, lief er eilends fort.
Boschkwädosch besuchte nun in seiner Hundegestalt
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