Stein und Eisen, und hob sie nur unter der Bedingung,
daß sie sich von nun an nach seinen Lehren richten
wolle, auf seine Achsel, um sie so – gegen eine scharfe
Felskante zu schleudern, daß Blut, Gehirn und
Knochen nach allen vier Winden spritzten. Die kleinen
Fische des Sees fraßen diese Stückchen gierig
auf, worauf sie zu dicken Weißfischen wurden, die
sich heute noch zahlreich in jenem Wasser finden.
Nachdem darauf Oschuckä mit einem Manitu höheren
Ranges konferiert hatte, ließ er zwei blühende Mädchen
aus dem Stamm der Wässissiks kommen und
gab sie seinen beiden Schützlingen zu Frauen. Bald
erfreuten sich diese einer großen Menge hoffnungsvoller
Sprößlinge, die in verhältnismäßig kurzer Zeit
einen mächtigen Stamm bildeten, der die Ufer des
Huron- und des Ontariosees bewohnte.
Nun kam einst eine merkwürdige weißgekleidete
Gestalt in einem an einem unsichtbaren Faden hängenden
Korb vom Himmel zu ihnen herab und machte
sie in mildem Ton auf das große Unglück aufmerksam,
das der böse Schlafgeist über sie bringen würde,
wenn sie sich seiner nicht beizeiten entledigten. Sie
lud auch mehrere ein, sie hinauf in den Himmel zu be-
gleiten und die dortige Herrlichkeit in Augenschein zu
nehmen, was jedoch allen wegen des dünnen Fadens
eine viel zu gefährliche Luftfahrt zu sein schien.
Darauf nahm nun der himmlische Abgesandte Pfeil
und Bogen zur Hand und verwundete einige Rothäute
damit, zog dann aus den Wunden lange dünne Würmer
und sagte: »Seht, das ist das teuflische Gewürm,
das der Schlafgott in euer Fleisch gehext hat, um euch
zu verderben!«
Ehe die Frau nun wieder abzog, gab sie ihnen noch
folgende Lehren: »Seid wohltätig und friedfertig gegeneinander;
keiner nehme des anderen Eigentum,
sondern erwerbe sich alles in redlicher Weise!«
Das gefiel den Leuten; sie versprachen, gehorsam
zu sein und zu Ehren des großen Lehrers jährlich
einen Medizintanz zu veranstalten – ein Versprechen,
das sie auch bis heute gehalten haben.
Aber der Schlafgott war auch nicht untätig gewesen
und hatte sich unter den jungen Leuten zweifelhaften
Charakters einige Anhänger zu verschaffen gewußt,
die ihm auch einen jährlichen Tanz, den sogenannten
Wabanotanz, gelobten, der eigentlich dem Teufel gilt.
Als sich später im Lauf der Zeiten die Teilnahme
an diesem letzteren Tanz mehr und mehr verallgemeinerte
und der Einfluß der besser denkenden Männer
tagtäglich schwand, erschien jener himmlische Bote
abermals auf der Erde und verkündete folgendes:
»Hört, ihr gottlosen, sündhaften Menschen, was der
Große Geist beschlossen hat! Zuerst werden fünf
Jahre des gräßlichsten Winters kommen; Tag und
Nacht wird es schneien, und zwar so dicht, daß keiner
mehr einen Atemzug tun kann! Dann werden fünf
Jahre unaufhörlichen Regens kommen, und das Wasser
wird die ganze Erde zerstören mit allen Bäumen,
Menschen und Tieren. Dann soll die Sonne zehn
Jahre lang ihre trocknenden Strahlen aussenden und
eine neue Erde bilden, die den aus ihren Gräbern wieder
hervorgehenden guten Indianern ergiebige Jagdgründe
bieten soll. Die Bösewichter aber werden teuflischen
Geistern überantwortet werden, und dazu gehören
hauptsächlich diejenigen, die dem Wabanotanz
huldigen!«
Fußnoten
1 die Stromschnellen bei Sault-Ste-Marie am Lake
Superior oder Oberen See
10
Wäwäbisowin1
oder die Schaukel am Seeufer
Hoch oben am nördlichen Ufer des Huronsees lebte
ein altes Weib mit ihrem Sohn und dessen Frau nebst
einem kleinen Waisenknaben, den sie aus Mitleid angenommen
hatte. Ihr Sohn ging tagtäglich auf die
Jagd und brachte seiner Gemahlin stets fette Hirschlippen,
wohlschmeckende Bärennieren und sonstige
Leckerbissen mit, die sie sich dann braun und hart
röstete. Diese zärtliche Aufmerksamkeit war aber der
Alten ein Dorn im Auge, und sie beschloß daher, ihre
Schwiegertochter umzubringen.
Nahe am Seeufer stand ein großer Baum, an dem
sie mit langen Lederriemen eine Schaukel befestigte.
Dort setzte sie sich nun hinein und befahl der jungen
Frau, sie hin und her zu stoßen, was diese auch,
nachdem sie ihren Säugling dem Waisenknaben zur
Aufsicht übergeben hatte, bereitwilligst tat. Danach
mußte sie sich ebenfalls hineinsetzen, und als die
Schaukel recht weit über den See hin und her flog,
schnitt die heimtückische Schwiegermutter plötzlich
die Riemen ab, und das Opfer ihrer List stürzte hinab
in die brausenden Wellen.
Nun ging sie vergnügt nach Hause, zog dort die
zurückgelassenen Kleider der Unglücklichen an,
ahmte ihren Gang und ihre Manieren so gut sie konnte
nach und suchte das Geschrei des Säuglings mit
ihrer milchlosen Brust zu stillen. Als der Waisenknabe
darauf nach der Mutter des Kindes fragte, sagte sie
ihm, daß diese noch schaukele; sie verbot ihm aber
gleichzeitig, hinzugehen und nachzusehen.
Am Abend kam der Jäger nach Hause, und da er
bei der schlechten Beleuchtung seines Wigwams die
Alte für seine Frau hielt, übergab er ihr seiner Gewohnheit
nach die mitgebrachten Leckerbissen. Was
ihm jedoch etwas auffiel, war, daß seine Frau ihr Gesicht
soviel wie möglich zu verbergen suchte und daß
das Kleine nicht ruhig war, obwohl sie es ständig an
die Brust hielt.
Der Waisenknabe war inzwischen zum Seeufer gelaufen,
hatte aber niemanden dort gesehen, und da bei
seiner Rückkehr die Alte ausgegangen war, um Holz
zu sammeln, erzählte er dem Jäger die ganze Geschichte.
Dieser schwärzte sein Gesicht, steckte seinen
Jagdspieß in die Erde und flehte den Großen
Geist an, Donner, Blitz und Regen zu schicken und
den Wellen zu befehlen, seine arme Frau wieder an
Land zu spülen. Dann legte er sich stumm zum Fasten
nieder.
Als seine Frau ins Wasser gefallen war, hatte sie
der große Wasserjaguar in Empfang genommen, sie
mit seinem langen Schwanz in die Tiefe seiner Wohnung
hinabgezogen und dort geheiratet.
Nun begab es sich einst, daß der Waisenknabe das
kleine Kind ans Ufer setzte und zu seiner Belustigung
flache, runde Steine ins Wasser warf, als plötzlich ein
großer Wasservogel aus den Wellen tauchte, dann
dem Land zuflog und dabei immer mehr und mehr die
Gestalt einer Frau annahm, in der er zuletzt die Mutter
des Kleinen erkannte. Um ihre Lenden hatte sie
einen großen metallenen Gürtel; dies war nämlich der
Schwanz ihres Jaguargemahls, an dem er sie festhielt,
damit sie nicht etwa auf der Erde zurückbliebe. Die
Frau nahm ihr Söhnchen auf den Arm, säugte es und
sagte dem Knaben, er solle es jedesmal, wenn es
schreie, ans Ufer bringen, dann würde sie kommen
und es stillen.
Dies erzählte der Knabe seinem Pflegevater, und
als das Kind wieder schrie, ging er heimlich mit und
verbarg sich hinter einem dicken Baumstamm. Nachdem
seine Frau herausgekommen war, sprang er
schnell aus seinem Versteck hervor, zerschnitt den
Gürtel, an dem sie der Wasserjaguar festhielt, und
nahm sie mit nach Hause.
Als dies die Alte, die ihrem Sohn immer auf Weg
und Steg nachschlich, sah, machte sie sich so schnell
wie möglich über alle Berge, und es hat seit jener
Zeit niemand mehr eine Spur von ihr gesehen.
Fußnoten
1 Wäwäbisowin heißt eigentlich »schaukelnd«
Читать дальше