alle Häuser des Dorfes, sammelte alle Knochen
seines geliebten Herrn und legte diese nach ihrer natürlichen
Ordnung wieder zusammen. Bald hatte er
sie auch alle beisammen; nur ein Fuß fehlte noch, der
einer außerhalb des Dorfes wohnenden Frau geschenkt
worden war. Boschkwädosch eilte nun zu ihr
und fand sie gerade an dem bewußten Knochen nagend.
Schnell sprang er auf sie zu, entriß ihr diesen
samt ihren Backen, wonach er das Skelett komplettieren
konnte. Dann stellte er sich vor dieses und begann
so laut zu bellen, wie er nur vermochte. Da wuchsen
die Knochen allmählich fest zusammen, und Muskeln
und Fleisch bildeten sich ebenfalls daran.
Nun sah Boschkwädosch eine Zeitlang wehmütig
den Himmel an, und bald bekam unser Held wieder
Atem, konnte aufstehen und sich bewegen. »Du lieber
Himmel, ich habe mich verschlafen!« sagte er. »Wer
weiß, wie es jetzt um die Probe steht!«
»Probe?« erwiderte der Hund. »Die ist schon längst
vorbei; da denkt kein Mensch mehr dran. Du hast sie
nicht bestanden; dein erfrorener Körper ist zerschnitten
und gegessen worden, und nur meiner Kunst hast
du es zu verdanken, daß du jetzt wieder lebst. Nun
will ich dir auch zeigen, wer ich bin!«
Darauf schüttelte sich Boschkwädosch gehörig,
und sein Körper wuchs zu einem kleinen Berg; seine
Beine wurden so dick wie ein Baumstamm, sein Kopf
verlängerte sich zu einem gewaltigen Rüssel, und aus
seinem Maul kamen zwei große glänzende Zähne hervor.
Seine Haut blieb haarlos.
»Ich würde«, sagte er, »die ganze Erde füllen,
wenn ich meine ganze Kraft anwendete; aber das wäre
unklug, denn nichts vermöchte dann meinen Hunger
zu stillen. Darum will ich dir meine übrige Kraft und
meinen übrigen Einfluß über die Schöpfung verleihen,
und Vögel und Tiere sollen hinfort deine Nahrung
sein – aber meine Art mußt du verschonen!«
9
Miskwandib
oder Rotkopf und seine beiden Söhne
Miskwandib war ein tüchtiger Jäger und liebte auch
die Jagd über alles. Nun klagten ihm seine Söhne
einst, daß sie ihre Mutter immer allein ließe, wenn er
im Wald umherstreife, und daß sie ihn lieber begleiten
möchten, als sich zu Hause zu langweilen. Der
Jäger wußte dies recht gut, wollte jedoch seine Kinder
nicht wissen lassen, daß ihre Mutter den Weg der
schlechten Frauen wandle. Doch stand er am anderen
Morgen recht früh auf und verbarg sich unbemerkt in
einem nahe stehenden dichten Gebüsch.
Es dauerte nicht lange, so erschienen der Störer seines
häuslichen Glücks und seine Frau dicht in seiner
Nähe. Beide begrüßten sich auf die liebevollste
Weise, und als sie sich in der süßesten Umarmung befanden,
sprang Miskwandib aus seinem Versteck hervor
und tötete beide mit einem einzigen Keulenschlag.
Dann band er sie zusammen, schleppte sie in seine
Hütte und vergrub sie neben dem Feuerplatz.
»Jetzt, meine lieben Kinder«, sagte er darauf, »ist
es Zeit, daß ich fliehe; meine Sicherheit hängt nur
davon ab, daß ihr den ganzen Vorgang geheimhaltet.
Ich werde mich in den Himmel flüchten. Wenn jemand
kommt und nach mir fragt, so sagt ihm, daß ich
auf die Jagd gegangen sei und gegen Abend wieder
zurückkehre. Dies werden die Leute glauben und,
ohne Verdacht zu schöpfen, wieder weggehen. Auch
ihr müßt später fliehen; ich werde euch jeden Tag aus
den Wolken den rechten Weg zeigen. Wenn ihr Feuer
braucht, so legt nur einfach ein Stückchen Holz auf
die Erde, und mein Manitu wird es sogleich anzünden.
«
Darauf stieg er durch einen hohlen Baum hinauf in
den Himmel. Kurz danach erschienen zehn Männer in
seinem Wigwam und fragten die Knaben nach ihren
Eltern. »Mein Vater ist ausgegangen«, sagte der älteste,
»und meine Mutter sammelt Holz.«
Darauf entfernten sich die Männer wieder, um, wie
sie sagten, nach ihnen zu suchen. Als sie jedoch nirgends
Spuren von ihnen entdecken konnten, kamen
sie wieder zurück und bemerkten zu ihrem größten
Erstaunen, daß nun auch die beiden Knaben weg
waren, was ihnen sehr verdächtig vorkam. Auch hatte
einer der Besucher bemerkt, daß der jüngste ständig
zum Feuerplatz geblickt habe, was sicherlich etwas zu
bedeuten hatte.
Sie beschlossen nun, jene Stelle augenblicklich
einer genauen Untersuchung zu unterwerfen. Zu ihrem
größten Schrecken zogen sie auch das verbrecherische
und ermordete Paar hervor. Sie schworen nun, jene
Schandtat Miskwandibs blutig zu rächen. Auch bemerkten
sie bald die bewußte Baumhöhle, durch die
sie ebenfalls in den Himmel kletterten, während der
Geist der getöteten Mutter die Kinder verfolgte, die
nach Süden geflohen waren. Der Vater sprach ständig
mit ihnen und ermahnte sie, sich ja nicht aufzuhalten,
damit sie ihrer Verfolgerin nicht in die Hände fielen.
Doch die Knaben waren von dem ständigen Laufen
zuletzt so müde und lahm geworden, daß sie sich fast
nicht mehr bewegen konnten, und ihre Mutter war
ihnen bereits so nahe, daß sie sie eben an den Haaren
fassen wollte. Da warf der älteste schnell sein kleines
Steinmesser hinter sich, das sich augenblicklich in
eine undurchdringliche Dornenhecke verwandelte, an
der sie sich so zerriß, daß nur noch der Kopf von ihr
übrigblieb.
Am Abend warf der Vater einen brennenden Baumstamm
vom Himmel herab, damit sich die beiden
Kleinen einen Vogel braten konnten, den sie geschossen
hatten. Dabei hörten sie ständig ein grauenhaftes
donnerartiges Getöse in der Luft, das von ihrem Vater
und seinen Verfolgern herrührte.
Am folgenden Morgen, als sie aufgestanden waren
und ihre Reise fortsetzten, eilte auch der Kopf ihrer
Mutter wieder hinter ihnen her und versuchte alle
Überredungskünste, sie zum Stehen zu bringen; aber
sie horchten lieber auf die Ratschläge, die ihnen
Miskwandib von oben gab.
Am dritten Tag, als ihre Mutter sie abermals eingeholt
hatte, warf der älteste Knabe schnell einen medizinenen
oder magischen Stein weg, den ihm sein
Vater zu diesem Zweck gegeben hatte, und es bildete
sich jener hohe Felsgrat daraus, den man noch heute
in der Nähe von Sault-Ste-Marie sieht. Dieser hinderte
nun den Kopf an der Verfolgung der Knaben, so
daß diese sicher die Stromschnellen von Bawating1
erreichten. Hier erschien ihr Vater in Gestalt eines
Mama oder Spechtes und machte ihnen die traurige
Mitteilung, daß seine Feinde ihn eingeholt und getötet
hätten und daß sie von nun an Oschuckä, der mächtige
Schutzgeist, in seine Obhut nehmen werde. Darauf
sahen sie eine kolossale Gestalt inmitten der Stromschnellen,
die sich allmählich zu ihnen herüberneigte
und sie einlud, sich auf ihren Rücken zu setzen. Das
taten sie denn auch, und Oschuckä trug sie hinüber
und setzte sie sanft am anderen Ufer wieder ab.
Kurz danach kam auch die wütende Kopffrau wieder
angeflogen und verlangte von Oschuckä, ebenfalls
hinübergetragen zu werden. Aber jener Manitu kannte
ihren sauberen Charakter bereits und hielt ihr wegen
ihres unmoralischen Lebenswandels eine recht derbe
Strafpredigt, in der er sie als die alleinige Ursache des
geschehenen Unglücks hinstellte. Trotzdem aber bestand
sie hartnäckig auf ihrer Bitte, bot all ihre Liebenswürdigkeit
auf und sagte Oschuckä die süßesten
Schmeicheleien; aber der tat, als habe er ein Herz aus
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