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Matschi Manitu
oder der Böse Geist
Metowäk oder, wie die weißen Leute sagen, die
Lange Insel (Long Island) war ursprünglich eine unwirtliche
Sandwüste, in die sich gewöhnlich Gitschi
Manitu, der Meister des Lebens, flüchtete, wenn er
den Plan zur Erschaffung einer neuen Kreatur aushekken
wollte. Die Insel war geräumig und durch das sie
umgebende Wasser vor jedem störenden Besuch gesichert.
Es ist allgemein bekannt, daß die ersten Tiere der
Schöpfung ganz kolossal waren und ungeheuren
Schaden an den Pflanzen anrichteten, denn sie fraßen,
um ihren Hunger zu stillen, ganze Gegenden kahl. Da
es natürlich sehr beschwerlich war, solche Riesentiere
stets in der gehörigen Zucht und Ordnung zu halten,
so war Gitschi Manitu auf die Idee gekommen, jedes
frisch gebaute Geschöpf zuerst auf der Insel zu probieren;
wenn es ihm dann nicht gefiel, so konnte er ja
leicht das Leben wieder herausnehmen und es anderweitig
benützen. Long Island bildete also seinen Arbeitstisch,
und in den zahlreichen Hügeln darauf
glaubt man noch heute Spuren verworfener Mammutmodelle
zu finden.
Hatte er ein Tier fertig, so trocknete er es gehörig
an der Sonne, öffnete es darauf wieder an der Seite
und setzte sich mehrer Tage lang hinein, damit er
dessen Bewegungen beobachten und regulieren konnte.
War er dann mit der ganzen Konstruktion zufrieden,
so ließ er das Tier zu den jenseitigen Wäldern
schwimmen, wo es sich selber weiterhelfen konnte.
Einst baute Gitschi Manitu ein furchtbar riesiges
Tier, das sich von weitem wie ein hoher Berg ansah
und alle neugierigen Manitus der ganzen Umgebung
anlockte. Die Pakwadschinnis oder Elfen schlichen
sich ebenfalls ganz nahe herbei, und einige davon
krabbelten sogar dem Monstrum hinter die Ohren
oder setzten sich in sein Maul zwischen die Zähne
oder in die Augenwinkel und glaubten, der Große
Geist, der auf der anderen Seite beschäftigt war, sähe
sie nicht. Doch da irrten sie sich sehr, denn er kann
durch alles, was er machte, geradesogut wie durch die
Luft sehen. Aber er ließ die kleinen Geisterchen ruhig
gewähren, freute sich sogar über ihre Lustigkeit und
Lebendigkeit und überdachte nebenbei noch weitere
Pläne zu neuen Gestalten.
Als er nun seine Arbeit mit viel Mühe vollendet
hatte, fürchtete er sich doch ein wenig, dem Tier
Leben einzuhauchen, und er ließ es daher vorderhand
eine Zeitlang als leblosen Koloß ruhig stehen. Bald
aber brach es unter seinem eigenen Gewicht zusammen,
und nur ein Hinterviertel, in dem sich ein geräumiges
Loch befand, blieb ganz und wurde später als
Ronkomkomon benützt, wo der Schöpfer seine mißratenen
und überflüssigen Geschöpfe hineinwarf. Er
amüsierte sich nämlich zuweilen, wenn er gerade
nichts Besseres zu tun wußte, mit dem Schaffen
schnellfüßiger Kleinigkeiten, die er, solange es ihm
gefiel, auf der Insel herumlaufen ließ, dann aber wieder
einfing und in jene Höhle schmiß.
Eines Tages nahm er einmal zwei große Tonklumpen
und formierte zwei Füße daraus, die denen der
Jaguare ähnelten. Da sich mit diesen, wie er bei der
Probe herausfand, sehr schnell marschieren ließ, ohne
daß sie Lärm verursachten, so baute er noch zwei
weitere Beine dazu, die gerade so lang waren wie die
seinigen, und ließ sie eine Zeitlang auf und ab spazieren.
Diese Bewegung stellte ihn vollkommen zufrieden,
und er fügte darauf auch noch den Rumpf daran.
Eine Schlange, die gerade vorbeikroch, hängte er der
neuen Schöpfung als Schwanz an, und weil diese
ziemlich schwer war, so hielt sie den Körper ständig
in schöner, stattlicher Stellung. Die behaarten Schultern
waren so breit und dick wie die des Büffels, der
Hals war kurz und dick.
So weit war die Arbeit ohne besondere Anstren-
gung recht gut gediehen; doch als der Kopf aufgesetzt
werden sollte, mußte erst wieder nachgedacht werden.
Aber Gitschi Manitu war auch damit bald im reinen;
er nahm einen Stierkopf dazu und klebte diesem die
Augen von außen an, damit er bequem nach allen
Seiten sehen konnte. Die Stirn machte er breit und
voll, aber auffallend niedrig; die Kinnbacken machte
er außerordentlich stark; die Nase nahm er vom
Schnabel des Adlers, und das Stachelschwein lieferte
die Skalplocke.
Inzwischen war es Nacht geworden. Zahlreiche
Fledermäuse flogen auf und ab, und das ferne Gebrüll
blutgieriger Raubtiere war vernehmbar. Den Mond
hielt eine schwarze Wolke umschlossen, und ein
brausender Wind wirbelte den leichten Sand der Insel
hoch in die Luft. Ein Jaguar ging vorbei und betrachtete
neugierig das neue Produkt des Schöpfers, das
seine Füße hatte; Schlangen krochen massenhaft herbei
und wunderten sich über den ihnen ähnlichen
Schwanz; Stachelschweine und Adler erkannten ebenfalls
ihre Körperteile und wußten sich nicht zu erklären,
warum Gitschi Manitu für diese Gestalt Fragmente
so vieler Tiere genommen habe.
Doch das Geschöpf war noch nicht fertig. Eine
große Fledermaus setzte sich aus Versehen auf den
Kopf des Großen Geistes; der Schöpfer ergriff sie, riß
ihr unbarmherzig die Flügel aus und setzte sie dem
Tier als Ohren an. Dann machte er ihm noch ein feines,
rundes Kinn, gab ihm Lippen, die den Mund
verschließen und lachen konnten, und Arme und
Hände wie die seinigen.
Nun wurde Gitschi Manitu recht traurig. Arme und
Hände hatte er nämlich noch keinem seiner Geschöpfe
gegeben, weil es zu gefährlich gewesen wäre; denn
wie leicht konnte ein solches durch seine bessere Organisation
alle anderen beherrschen oder wohl gar,
wenn er nicht ständig auf der Hut war, sie umzubringen
versuchen. Deshalb gab er auch das Leben nicht
gleich hinein, sondern vorerst nur ein starkes Feuer,
das die Gestalt trocknete und ihr ein rötliches Aussehen
verlieh. Dann erst gab er ein ganz klein wenig
Leben hinein und ließ sie einige Minuten auf der
Insel auf und ab laufen.
Das neue Werk sah so vollkommen aus, daß es im
höchsten Grad bedenklich gewesen wäre, ihm die
vollständige Freiheit zu lassen oder wohl gar das
rechte Quantum Leben zu geben; deshalb warf er es,
so schnell er konnte, in die Ronkomkomon, vergaß
jedoch in der Eile, den Lebensfunken wieder herauszunehmen.
Da lag denn nun das arme Geschöpf, das
kaum ein paar Atemzüge getan hatte, einsam unter
leblosen Bruchstücken und konnte für die erste Zeit
kein Glied rühren, denn es war abscheulich hart gefallen
und hatte die schrecklichsten Schmerzen auszu-
stehen. Doch es erholte sich wieder und fing einen
greulichen Skandal an, worauf die Manitus haufenweise
herbeiflogen, um zu sehen, was eigentlich in
der Rumpelkammer los sei.
Da erst fiel Gitschi Manitu seine Vergeßlichkeit
ein, und er gedachte nun in aller Eile die Öffnung der
Ronkomkomon mit einem Sandhaufen zu verstopfen
– aber das half nichts mehr. Die Erde zitterte und
bebte; der Himmel wurde so schwarz wie ein Rabe,
und plötzlich brach ein zischendes Feuer aus der
Höhle hervor, und jene Gestalt trat heraus und verheerte
und verwüstete alles in der Nähe.
Gitschi Manitu trat tiefbetrübt zur Seite; die Manitus
aber flohen in wilder Hast und riefen: »Matschi
Manitu der Teufel, kommt!«
12
Der kleine Geist
In einer einsamen Hütte, die weit im Norden am Ufer
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