ich bin zu deinem Trost gekommen. Alles, was auf
der Erde kriecht und fliegt, gehört mir; ich schaffe
und zerstöre, je nachdem ich es für gut befinde.
Wenn du nach meinem Willen handelst, werde ich dir
deine Feinde übergeben. Nun steh auf und nimm die
Speise, die ich dir vorlege, zu dir; geh dann in dein
Dorf zurück und erzähle all deinen Bekannten, was
du gehört und gesehen hast!« Darauf verschwand die
Gestalt, und das Mädchen erblickte plötzlich einen
fetten toten Bären vor sich.
Nun ging die Jungfrau freudig in ihr Dorf zurück
und lud alle Bewohner zu einem großen Festessen
ein. Das Bärenfleisch mundete ihnen vortrefflich; keiner
hatte je etwas von solchem Wohlgeschmack gekostet,
und mit Freuden versprachen sie alle, ihr in
Frieden und Krieg treu beizustehen. Gleich wurden
Botschafter an die benachbarten Stämme, an die Natowas
des Hirschtotems und die Odjibwas geschickt,
die ebenfalls zu ihrer Hilfe herbeieilten. Das Mädchen
führte sie selbst an. Alle Bären, die sie unterwegs
töteten, wurden der Göttin geopfert.
So marschierten sie guten Mutes den Feinden entgegen,
und bald hatten sie die Wigwams von Ängodon
und Näwadaha, der zwei grausamen Häuptlinge
vom Bärentotem, erreicht. Jene himmlische Gestalt
erschien auch wieder, reichte der Anführerin die
Hand und sagte: »Höre, meine Tochter: Schicke
Spione in das Dorf vor dir, und laß den Kriegern vom
Hirschtotem sagen, sie sollen ihre Zeichen vor die
Tür hängen, damit sie der Vernichtung entgehen!«
Dieser Rat wurde pünktlich befolgt, und als Ängodon
und Näwadaha am anderen Morgen erwachten,
meinten sie, ihre Nachbarn müßten böse Träume gehabt
haben, weil jeder ein Tierfell vor dem Wigwam
flattern hatte. Gleich darauf aber erschienen die Krieger
und zündeten das Dorf an allen Seiten an. Den
Leuten vom Hirschtotem geschah kein Leid, aber die
anderen verfielen zum größten Teil dem unbarmherzi-
gen Tomahawk und dem Skalpiermesser.
Jene beiden Haupthalunken entkamen jedoch. Der
ihnen nachgesandte Hagel von Pfeilen traf sie zwar,
verwundete sie jedoch nicht im geringsten. Da eilte
ihnen denn das Mädchen mit nie noch gesehener
Schnellfüßigkeit nach und nahm sie beide lebendig
gefangen.
Die Odjibwas banden ihnen Hände und Füße zusammen
und schnitten ihnen bei lebendigem Leibe
das Fleisch von den Rippen, wobei sie die Entdekkung
machten, daß Ängodon keine Leber hatte und
das Herz Näwadahas winzig klein, kaum bohnengroß
war und aus Feuerstein bestand.
Darauf zogen die glücklichen Streiter mit zahlreichen
Skalpen wieder in ihre friedlichen Dörfer zurück,
und das Mädchen verschwand mit der Lichtgöttin
in unermeßlicher Höhe.
14
Muwis
oder der Dreck- und Lumpenmann
In einem dicht bevölkerten Dorf am Huronsee lebte
einst eine berühmte Indianerschönheit, die sich der
Anbetung aller jungen Krieger und Jäger brüstete,
aber auch jedem, der sich ihr mit redlichen Absichten
genaht, unbarmherzig die Tür gewiesen hatte. Am
stärksten hatte sich ein schmucker Jüngling namens
Mämondädschinin in sie verliebt; doch als er sie einst
mit einem Vertrauten besuchte und ihr seine glühende
Liebe zu ihr in den heitersten Farben malte, hielt sie
ihm einfach als Antwort ihre geballte Hand ins Gesicht
und öffnete sie plötzlich – die beleidigendste
und schimpflichste Art, wie man auf indianische
Weise einem einen Korb gibt.
Diese Schmach, die ihm in Gegenwart seines liebsten
Freundes angetan wurde, warf den armen Jüngling
kurz danach aufs Krankenbett. Wochenlang lag
er stumm in seinem Wigwam und nahm nur äußerst
wenig Speise zu sich. Kein Mittel auf der Welt konnte
ihn bewegen aufzustehen, und auch selbst als der
Frühling und damit die Zeit des Wegziehens kam –
denn sein Stamm befand sich auf den jährlichen Winterjagdzügen
–, blieb er regungslos liegen und kümmerte
sich nicht um die Bitten seiner Freunde.
Als sich der ganze Stamm auf den Marsch zu seinen
Sommerwohnungen begeben hatte, trat Mämondädschinins
Schutzgeist vor sein Krankenlager und
versprach ihm, die hartherzige Jungfrau gründlich zu
bestrafen; denn Mämondägokwä – so hieß sie nämlich
– war ihm schon seit langer Zeit ein Ärgernis gewesen.
Er hatte sich dazu einen eigenen Plan geschmiedet,
der, wenn er gelang, sie sicherlich dem allgemeinen
Gelächter und der Verachtung preisgab. In diesen
weihte er nun seinen Schutzbefohlenen ein und versicherte
ihn auch seiner stetigen ferneren Hilfe.
Danach erhob sich Mämondädschinin von seinem
Pelzlager, ging zurück in die leeren, öden Wohnungen,
suchte alle zurückgelassenen und verlorenen
Lappen zusammen, machte dann, so gut es ging,
Beinkleider und Röcke daraus und verzierte sie reichlich
mit gefundenen Perlen und sonstigen Schmucksachen.
Dann sammelte er noch eine Menge abgeschabter
Knochen und Fetzen getrockneten Fleisches, klebte
sie mit Schnee zusammen und füllte damit die
Kleider aus, wodurch er eine Figur schuf, die wahrhaftig
einem schön gewachsenen Jüngling nicht unähnlich
sah. Sein Manitu hauchte darauf Leben hin-
ein und gab ihm den Namen Muwis, d.h. Dreck- und
Lumpenmann.
Dann gingen beide, Mämondädschinin und
Muwis, ins Sommerlager ihres Stammes, wo letzterer
wegen seiner blühenden Farbe und seines glänzenden
Anzugs die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Der Chief lud ihn in sein Haus ein und setzte ihm das
delikateste Fleisch vor; auch die schnöde Mämondägokwä,
die sich im ersten Augenblick sterblich in ihn
verliebte, hatte das Glück, ihn am ersten Abend als
Gast im Zelt ihrer Mutter zu sehen.
Mämondädschinin war auch mitgegangen; er hatte
seine Liebe zu ihr noch nicht vergessen und seine
Hoffnung auf irgendeinen günstigen Zufall gesetzt.
Aber Muwis war der Anfang und das Ende ihrer liebenswürdigsten
Aufmerksamkeit; freundlichst wies
sie ihm den Ehrenplatz dicht neben dem Feuer an,
den er jedoch höflich einem ihrer Brüder überließ, da
er dort sicherlich aufgetaut und auseinandergefallen
wäre. Mämondädschinin, der längst gemerkt hatte,
daß er hier höchst überflüssig war, entfernte sich unbeachtet,
sah aber noch beim Hinausgehen, daß beide
miteinander einig waren und sich bereits vollständig
wie Braut und Bräutigam benahmen.
Noch am selben Abend verheiratete sich das verliebte
Pärchen.
Am anderen Morgen stand Muwis früh auf, nahm
Pfeil und Bogen und sagte seiner jungen Frau, daß er
einen weiten Weg zu gehen habe, der über viele
Berge und Ströme führe.
»Laß mich mit dir gehen!« sagte sie.
»Aber es ist zu weit für dich!«
»Deine Gesellschaft verkürzt mir den Weg und
hilft mir, allen Gefahren freudig zu begegnen.«
»Mag sie in ihr Verderben gehen«, sagte Muwis
zu sich; »es geschieht ihr ganz recht, warum hat sie
auch der Stimme der Klugheit taube Ohren entgegengehalten!
«
Darauf ging er fort, und sein Weib folgte ihm in
einiger Entfernung, wie es einer braven indianischen
Ehefrau geziemt. Der Weg war rauh und so voll
Strauchwerk, daß sie unmöglich seinen Flügelschritten
folgen konnte.
Als die Sonne aufging, war ihr Muwis schon vollständig
aus den Augen, und das war gut, denn die
Strahlen der Sonne brannten so heiß auf ihn herab,
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