1 ...7 8 9 11 12 13 ...32 und also auch nicht aufgehen konnte.
Nun war große Not im Tierreich. Die Vögel sahen
die Bäume und die Felsen nicht vor sich und zerschlugen
sich die Köpfe daran, und die übrigen Tiere liefen
bei dieser Finsternis größtenteils in den nahen See
und ertranken.
Es wurde also eine große Versammlung aller Vierfüßer
abgehalten und beschlossen, das verhängnisvolle
Seil abzuschneiden. Aber das war keine Kleinigkeit,
denn jeder, der sich in die Nähe der Sonne
wagte, wurde von ihrer Glut beinahe völlig geröstet.
Zuletzt übernahm denn der Hamster diese lebensgefährliche
Aufgabe. Er war zu jener Zeit das stärkste
und größte Tier der Welt und sah, wenn er sich aufrichtete,
wie in hoher Berg aus. Er kam auch wirklich
an die betreffende Stelle und befreite die Sonne,
wurde aber dabei zu jener unbedeutenden Figur zusammengebrannt,
in der wir ihn heute noch sehen.
7
Omakaki Ikwe
oder die Krötenfrau
Eine schöne junge Frau lebte einsam und verlassen im
Wald, und das einzige lebende Wesen, das sie um
sich hatte, war ein treuer Hund. Doch sie konnte von
großem Glück sagen, denn jeden Morgen, nachdem
sie aufgestanden war, fand sie ein großes Stück
Fleisch vor ihrem Wigwam liegen. Da sie nun die
Neugier plagte, wer ihr dieses eigentlich bringe, so
stand sie einst sehr früh auf und bemerkte einen schönen
Jüngling, der sich langsam ihrer Hütte nahte. Sie
begegneten sich, grüßten sich – und heirateten auch
bald danach. Nach Verlauf eines Jahres waren sie
auch im Besitz eines munteren Sohnes.
Nun begab es sich einst, daß der glückliche Gatte
eines Abends nicht zur gewöhnlichen Zeit von der
Jagd nach Hause kam. Da er auch am folgenden Tag
noch nicht zurückkam, sang die ängstliche Frau ihr
Söhnlein in den Schlaf und befahl ihrem Hund, auf es
achtzugeben und es zu schaukeln, wenn es schreie.
Dann verließ sie ihre Hütte.
Doch als sie ungefähr zehn Minuten lang weg war,
hörte sie auf einmal ein heftiges Gebell ihres treuen
Hundes, worauf sie augenblicklich zurückeilte, zu
ihrem größten Schreck aber weder Hund noch Kind
vorfand. Auf dem Boden lagen zahlreiche Stücke der
reich bestickten Kinderdecke verstreut, die wahrscheinlich
der Hund bei seinem Kampf mit der berüchtigten
Omakaki Ikwe oder der Krötenfrau abgerissen
hatte; denn jene allbekannte teuflische Hexe
war es gewesen, die das Kind gestohlen hatte. Die
Mutter lief nun eilends weiter und kam in eine Hütte,
die von alten Weibern bewohnt war, die ihr mitteilten,
daß die alte Diebin soeben hier vorbeigeeilt sei. Dann
gaben sie ihr schnelle Mokassins, womit sie dreimal
so schnell laufen konnte, und zeigten ihr auch den
Weg zum Wigwam der nächsten Noko oder Großmutter.
Dort angekommen, fand sie neue Mokassins, die
noch schneller waren. Ihre alten stellte sie mit den
Zehen rückwärts zeigend vor die Tür, und sogleich
traten diese ihren Heimweg allein an.
So reiste sie lange Zeit über Berge, Felder und
Flüsse, bis ihr zuletzt eine dieser medizinenen Großmütter
sagte, daß die von ihr verfolgte Hexe nicht
weit von ihr wohne. Dabei gab sie ihr den Rat, sich
ebenfalls ein kleines Häuschen zu bauen und eine hölzerne
Schüssel vor die Tür zu stellen, die sie mit ihrer
Milch füllen sollte. Ihr erstes Kind, nämlich der
Hund, würde diese bald entdecken, sie selbst erkennen
und ihr dann sicherlich zur Rettung seines Bruders
behilflich sein.
So kam es denn auch. Sie setzte dem Hund die
Milch vor und sagte: »Sieh, mein lieber Sohn, das ist
von der Speise, wie sie dir deine rechte Mutter gab!«
Der Hund verstand sie und lief zu seinem jungen
Herrn zurück, der eben mit schwerer Beute beladen
von der Jagd nach Hause eilte. Er erzählte ihm nun
seine ganze Familiengeschichte haarklein; daß er, als
er noch in den Windeln gelegen habe, von der Krötenfrau
geraubt worden und daß jetzt seine rechte Mutter
gekommen sei, um ihn wieder zu holen.
Darauf warf der Jüngling seine Beute nieder und
sagte seiner vermeintlichen Mutter, der alten Hexe,
sie solle der armen Fremden, die dort in der Nähe
wohne, auch etwas davon abgeben. Das wollte aber
die Krötenfrau durchaus nicht; doch als ihr Sohn fest
darauf bestand, warf sie ihr mürrisch ein Stück
Fleisch vor die Tür und rief: »Hört da, fremde Frau,
das schickt Euch mein Sohn!«
Jene ließ es jedoch ruhig liegen.
Nach einiger Zeit besuchte sie auch ihr wirklicher
Sohn, dem sie ebenfalls von ihrer Milch zu trinken
gab und ihm dabei die Geschichte seiner eigentlichen
Herkunft erzählte, die ihm etwas unglaublich vorkam.
»Stelle dich krank, mein Sohn, wenn du nach Hause
kommst«, sagte sie; »und wenn dich die Hexe fragt,
was dir fehlt, so antworte, du möchtest gern die Decke
sehen, in die sie dich als Kind gewickelt habe. Dein
Hundebruder hat einige Fetzen davon abgerissen, die
ich dir jetzt zeigen will.«
Nachdem sie ihm diese gezeigt hatte, ging er nachdenklich
heim und fragte die Krötenfrau: »Sag,
warum bin ich denn so verschieden von deinen übrigen
Kindern?«
»Oh, es war gerade schönes Wetter, als du geboren
wurdest; das ist die Ursache. Aber, mein Sohn, dir
scheint etwas zu fehlen?«
»Ja, Mutter, ich möchte gern mein Wiegenzeug
einmal sehen.«
Sie ging fort und holte das ihrer anderen Kinder,
und als er damit nicht zufrieden zu sein schien, holte
sie auch die reich verzierte, an mehreren Stellen zerrissene
Decke, deren Farben genau dieselben waren,
die er an den Fetzen bei seiner echten Mutter bemerkt
hatte.
Nun tat er, als sei ihm wieder wohl, ging fort auf
die Jagd und tötete einen fetten Bären. Mit Hilfe seines
Hundebruders hob er seine Jagdbeute auf einen
dick beasteten Baum, schnitt dem Tier die Zunge heraus
und nahm sie mit nach Hause. Dort erzählte er der
Alten, daß er einen großen, mächtigen Bären erlegt
habe, ihn aber sehr weit, beinahe am Ende der Welt,
habe liegen lassen.
»Oh, es ist sicher nicht so weit, daß ich ihn heute
nicht mehr holen könnte«, antwortete sie und lief eilends
nach der angegebenen Richtung.
Als sie nun fort war, erschlugen der junge Mann
und sein Hund die vier anderen Kinder der Hexe,
stopften jedem einen Klumpen Fett in den Mund und
stellten die toten Körper aufrecht gegen die Tür. Danach
liefen sie zur rechten Mutter des jungen Mannes,
die nun schnell mit ihnen entfloh.
Die Krötenfrau hatte viel Zeit und Mühe gebraucht,
den toten Bären vom Baum herabzuholen und nach
Hause zu schleppen. »Aber warum freßt ihr eurem
Bruder sein Haarfett weg?« rief sie fuchsteufelswild
ihren Kindern entgegen; denn sie meinte, sie lebten
noch und äßen den ganzen Fettvorrat auf. Bald bemerkte
sie aber das Unheil, das die Entflohenen angerichtet
hatten, und wutentbrannt rannte sie ihnen nach.
Da sie nun ungeheuer schnell laufen konnte, so
holte sie sie auch bald ein. Der junge Mann warf ihr
einen großen Stein in den Weg, so daß sie niederstürzte;
doch da sie keinen erheblichen Schaden
nahm, war sie ihnen bald wieder auf den Fersen. Nun
warf er sein Messer hinter sich; sie fiel hinein und
verwundete sich, kam ihnen aber doch wieder nach.
Da versteckte sich denn der Hund ungesehen im Gesträuch
am Weg und fiel sie, als sie an ihm vorbeilief,
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