Wenn er Hunger hatte, hackte er das Eis des Sees auf,
tauchte unter und fing sich Fische, so viele er nur
brauchte. Ob das Wasser kalt oder warm war, kümmerte
ihn wenig.
Dies ärgerte nun Kabibonocca, den Nordwind,
ganz gewaltig, und er sprach: »Dieser Schinschibiss
ist doch ein Teufelskerl; das kälteste Wetter, das ich
auf ihn herabschicke, geniert ihn nicht im geringsten,
und er ist immer so vergnügt und zufrieden dabei, als
ob es ewig Sommer bei ihm wäre. Versuchen will
ich's aber doch noch einmal, ob ich nicht Herr über
ihn werden kann.« Und damit schickte er den kältesten
Sturmwind zu ihm, den er je über die Erde sausen
ließ.
Doch das Feuer von Schinschibiss erlosch nicht,
und obwohl seine ganze Kleidung nur aus einem ein-
zigen dünnen Fell bestand, das ihm notdürftig die
Lenden bedeckte, ging er nach wie vor aus und fing
sich seine Fische.
Da beschloß denn Kabibonocca, ihm einen Besuch
abzustatten, und er kam am Abend zum ihm. Schinschibiss
lag neben einem brennenden Baumstamm
und sang:
»Blase, Windgott, immerzu,
Bist ja doch nur meinesgleichen!
Daß du mich erfrieren machst,
Wirst du nimmermehr erreichen;
Vor Hunger, Wind und Schlangenbiß
Da fürchtet sich kein Schinschibiss.«
Schinschibiss wußte, daß Kabibonocca an seiner Tür
war, denn er merkte es an seinem kalten Atem; aber er
sang ruhig weiter. Nun trat Kabibonocca herein in die
Hütte und setzte sich ihm gegenüber; Schinschibiss
tat, als sähe er ihn nicht, schürte lustig sein Feuer und
sang: »Bist ja doch nur meinesgleichen!«
Da wurde es Kabibonocca zuletzt doch ein wenig
zu langweilig; grimmig verließ er die Hütte wieder
und schickte darauf eine solche Kälte, daß das Eis auf
dem See noch dreimal so dick gefror. Schinschibiss
wußte sich aber immer wieder zu helfen, so daß Kabibonocca
zuletzt den Kampf aufgab und sagte: »Schinschibiss
ist ein seltsamer Mensch; ich kann ihn weder
erfrieren machen noch ihn aushungern; er muß von
einem gewaltigen Manitu beschützt sein, und es ist
wohl das Beste, ich lasse ihn in Ruhe!«
4
Unätsi
Unätsi war das schönste Mädchen unter den Wyandot-
Indianerinnen. Alle jungen Männer dieses Stammes
machten ihr daher auch fleißig den Hof, doch keiner
davon konnte sich einer besonderen Begünstigung
rühmen. Die heiratslustigen Jünglinge beriefen daher
eine heimliche Versammlung ein, um über die Art und
Weise zu konferieren, wie Unätsi zu einer bestimmten
Erklärung zu zwingen sei. Nach langem Debattieren
wurde dann beschlossen: erstens, daß jeder von ihnen
seine Bewerbungen einzustellen habe, und zweitens,
daß ihr alter Chief beredet werden sollte, die schöne
Jungfrau zu freien.
Der letzte Beschluß gefiel dem alten Häuptling außerordentlich;
gleich bemalte er sich mit den schönsten
Farben und nahm seine besten Waffen zur Hand,
als ob er in einen gefährlichen Krieg zöge. Aber er
marschierte sichtlich doch nur halb so freudig, als
wenn er der Kriegstrommel folgte oder dem fliehenden
Feind nachjagte. Der Gang kam ihn offenbar
recht hart an; aber der erste Tag des Liebäugelns und
Scharmierens noch härter. Am zweiten wurde es ihm
schon bedeutend leichter ums Herz, und am dritten
schwor er sogar bei Homendisu und Dairschuuruno,
der liebenswürdigen Unätsi jeden Wunsch zu erfüllen,
den sie an ihn richten würde.
Das war denn gerade, was die Schöne wollte; sie
nahm ihn daher auch gleich beim Wort und befahl
ihm, ihr in Bälde den Skalp eines bestimmten Seneca-
Chiefs zu bringen, den sie bitter haßte.
Nun bereute der verliebte Wyandothäuptling seine
Voreiligkeit zu spät und suchte sie mit dem ganzen
Aufwand seines Rednertalents und der untertänigsten
Liebenswürdigkeit, deren er fähig war, zu bewegen,
doch um alles in der Welt davon abzustehen, denn
jener Chief sei sein bester und intimster Freund, sie
seien zusammen aufgewachsen, hätten zusammen gegessen,
getrunken und sich in ihrem Leben noch nie
beleidigt; einen solchen Freund könne er unmöglich
umbringen.
Aber er predigte tauben Ohren; das einzige, was
Unätsi erwiderte, war, daß, wenn er nicht bei allen
Leuten seines Stammes als unverschämter Lügenhund
ausgeschrien werden wolle, er schleunigst sein Versprechen
erfüllen müsse.
Und er erfüllte es auch. Gegen Abend schlich er
sich ungesehen in die Hütte seines Freundes und skalpierte
ihn. Doch als er den erschütternden Skalpruf ertönen
ließ, wurde er von einigen schnellfüßigen Senecas
ergriffen und ebenfalls skalpiert. Darauf entspann
sich zwischen beiden Stämmen ein dreißigjähriger
Krieg, der damit endete, daß die Wyandots fliehen
und ihre Weiber und Kinder größtenteils zurücklassen
mußten, die dem unbarmherzigen Tomahawk und
dem Skalpiermesser der Senecas zum Opfer fielen.
Auch Unätsi teilte dieses Schicksal.
5
Die Osagen
oder der Stamm, der einer Schnecke entsprang
Nahe am Ufer des Missouri lebte einst eine junge
Schnecke sorgenfrei und mühelos. Sie amüsierte sich
köstlich nach Schneckenart, streckte ihre Fühlhörner
so weit aus, wie sie konnte, und labte sich reichlich an
stärkender Nahrung, die ringsum im Überfluß vorhanden
war. Plötzlich aber kam über Nacht eine starke
Überschwemmung, und das arme Tierlein mußte
schnell, um nicht zu ersaufen, auf einen nahe liegenden
Baumstamm klettern, mit dem es nun weit fortgetrieben
wurde.
Als sich nach drei Tagen das Wasser so ziemlich
wieder verlaufen hatte, blieb die Unglückliche in
Schlamm und Dreck stecken, und zwar so tief, daß sie
sich gar nicht bewegen konnte. Dann kam auch noch
die Sonne und trocknete sie mit ihren brennenden
Strahlen so fest ein, daß sie alle Hoffnung aufgab und
sich in großer Resignation mit dem Gedanken an den
Hungertod vertraut machte.
Als sie so eine Weile besinnungslos dagelegen
hatte, öffnete sich auf einmal auf geheimnisvolle Art
ihr Häuschen; sie fühlte ihre Lebenskräfte wieder erwachen,
ihr Kopf wuchs merkwürdig schnell in die
Höhe, und unten bildeten sich zwei Beine daran. An
beiden Seiten erschienen Arme mit vollständigen Gelenken
und Fingern, und so war in wenigen Augenblicken
ein schöner Jüngling fix und fertig.
Anfangs war er etwas unbeholfener Natur und hatte
sehr unklare Gedanken; doch entwickelte er sich bald
unter dem Einfluß der Sonne so weit, daß er sich zur
Reise in seine Heimat vorbereiten konnte. Aber er war
nackt und in vielen Dingen unwissend, auch fühlte er
unbeschreiblichen Hunger in seinem Magen. Er sah
eine Masse fetter Tiere und Vögel an sich vorüberziehen,
wußte aber nicht, wie er sie töten sollte. Da
wurde er denn abermals sterbenstraurig und legte
sich, von Anstrengungen und Entbehrungen zu Tode
ermattet, nieder und wünschte sich wieder in seinen
ehemaligen Schneckenzustand zurück, in dem er doch
wenigstens die Kunst verstand, sich ernähren zu können.
Als er sich nun wieder mit dem Gedanken an den
baldigen Tod zu befreunden suchte, kam es ihm vor,
als höre er jemand neben sich rufen. Er wandte sich
um und sah den Großen Geist vor sich auf einem ganz
weißen Pferd sitzen. Seine Augen leuchteten wie blendende
Sterne, und sein langes Haar bestand aus lauter
Sonnenstrahlen. Der Schneckenmann zitterte am gan-
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