Was kümmerte es ihn, was mit ihr geschah? Sie wandte sich ab. Er hatte kein Recht, ihre Tränen zu sehen.
»Das neue Mädchen ist meine persönliche Bedienstete«, sprach er in dem Moment. »Ihre Dienste in dieser Küche sind nicht länger vonnöten.«
Keiner widersprach ihm.
Ariana fuhr sich mit dem Ärmel durch das Gesicht, um die Tränenspuren abzuwischen. Sie wagte einen Blick an ihrem unerwarteten Beschützer vorbei und sah Thómràs mit vor Staunen offenem Mund in einer Ecke am Boden sitzen. Kieran hatte ihn beiseitegestoßen, mutmaßte sie.
Er half ihr beim Aufstehen. Seine Berührung am Arm erschien ihr sanft, nahezu zärtlich, während er sie in einen langen, verwinkelten Tunnel führte.
Ariana schwieg erst, doch ihre Erziehung verlangte es. »Danke«, flüsterte sie. Sie erreichten eine Treppe, die sie tiefer in die Finsternis der Höhle führen würde.
Er verstärkte den Griff um ihren Arm. Gleichzeitig hob er eine der Fackeln von der Wand, um die Stufen zu beleuchten.
»Lass mich eines klarstellen, Mensch: Ich tat dies nicht für dich«, sagte er. »Das Gekreische aus der Küche war im Saal nicht länger auszuhalten. Ich musste einschreiten.«
Sie wies ihn nicht darauf hin, dass er jemand anderes hätte schicken können, um den Geschehnissen Einhalt zu gebieten.
Er führte sie in einen weiteren Tunnel, an dessen Ende sich eine imposante, schwarze Tür im Gestein abzeichnete. Zwei Wachen flankierten sie.
Abrupt zog Ariana an ihrem Arm, um sich aus seinem Griff zu winden. Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass er sie einsperrte. Ihr Widerstand war jedoch zwecklos: Kieran packte sie fester, sodass sich ihr Arm wie in einer Schraubzwinge anfühlte. Entschlossen führte er sie zu den Wachposten hin, gab ihnen ein Zeichen und sie öffneten die Tür. Obwohl sie sich heftig wehrte und kräftig zerrte, brachte er sie ohne jede Mühe in die dahinterliegende Kammer. Er gab ihr einen Schubs. Gleichzeitig ließ er ihren Arm los.
Das Zimmer war spärlich beleuchtet. Das Gestein der Höhle war hier drinnen ebenso schwarz wie anderswo. Ein Bett aus massiv wirkendem Holz dominierte den Raum.
Ariana fuhr zurück. Prompt prallte sie gegen Kierans Brust.
»Warum?«, hauchte sie.
»Mensch«, erklärte er. »Du hast gehört, was ich in der Küche sagte.«
Sie stolperte zur Tür. Sie war versucht, dagegen zu schlagen, damit die Wachen sie hinausließen. Ebenso war ihr klar, dass das zu nichts führte. Dies war sein Reich. Sie war niemand.
»Lass mich gehen«, rief sie.
Kieran trat mit zwei Schritten auf sie zu, umfasste ihre Taille, hob sie von den Füßen, trug sie von der Tür weg und zum Bett hin. Er ließ sie auf die weiche Matratze fallen. Ihr geschundener Rücken brannte, was sie das Gesicht verziehen ließ.
»Verdammt, mach dich nicht lächerlich«, knurrte er, »du bist meine Bedienstete. Nicht mehr, nicht weniger.«
Ariana versteifte sich bei den Worten, der Berührung und seiner unvermittelten Nähe. Für einen flüchtigen Augenblick fiel die Gegenwehr von ihr ab. Andere, höchst verwirrende Empfindungen stiegen in ihre Gedanken. Ihre Finger krallten sich in die glatte Decke.
»Was erwartest du von mir?«, brachte sie atemlos hervor.
Er stand dicht bei ihr. Mit dem Bett direkt unter sich, kam sie nicht umhin, seine nackten Arme zu bemerken. Sie zog die Beine heran und richtete den Blick auf ihre Füße.
»Du wirst hier sicherer sein als in der Küche, das ist dir hoffentlich klar«, meinte er und trat einen Schritt zurück. »Ich habe für gewöhnlich einen Leibeigenen, der mein Wohlbefinden sicherstellt. Er hilft mir beim Waschen, bringt mir Speis und Trank, wenn ich es wünsche, und hält die Ordnung in der Kammer aufrecht. Gelegentlich führen wir sogar nette Gespräche.«
Ariana runzelte die Stirn. Seine Schilderung klang weitaus einladender verglichen mit der Aussicht, den Küchenboden zu schrubben, während Thómràs mit einem Riemen drohend hinter ihr stand. Abgesehen von der Tatsache, dass sie ihn bedienen sollte, bereitete ihr eine Sache Sorgen.
»Ich soll dir beim Waschen helfen?« Er sah nicht aus, als wäre er dazu nicht fähig.
Anstatt ihr zu antworten, entfernte er sich weiter von ihr. Er trat an einen schmalen Tisch, der dem Bett gegenüberstand und ebenso düster war, wie der Rest der Raumgestaltung. Ein Spiegel stand darauf und reflektierte das Bett. Ariana sah sich selbst und beeilte sich, das Bett zu verlassen, um mit Kieran auf einer – deutlich unverfänglicheren – Augenhöhe zu sein.
Er griff nach einem Krug und füllte ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit. Wasser, vermutete sie. Er trank und schenkte nach. Dann hielt er ihr das Glas hin und sah sie an. Seine Augen schimmerten abgründig.
»Du bist eine Mindere. Ich verkehre für gewöhnlich nicht mit deinesgleichen, da kannst du ganz beruhigt sein. Vielmehr handelt es sich um anspruchslose Hilfstätigkeiten, damit ich mich als Herrscher etwas … wohler fühle.«
Er hob langsam einen Mundwinkel bei der wohlgesetzten Pause. Ariana schluckte und rieb sich über den Arm. Ihre Finger streiften den Riss im Kleid, sodass sie kurz zusammenzuckte. Sie hatte fast vergessen, wie desaströs ihr Zustand war.
»Aber warum?«, flüsterte sie.
»Auf diese Art behalte ich dich am besten im Blick. Deine Anwesenheit, dein plötzliches Auftauchen im Wald und dein eigenartiges Gebaren zeigen mir, dass du etwas zu verbergen hast. Ich will herausfinden, was das ist.« Er schlenderte zu ihr hin. »Und jetzt lass mich nachsehen, welches Zeichen du trägst und wie groß der Schaden ist, den Thómràs angerichtet hat.«
Ariana erlaubte ihm, dass er sie an der Schulter berührte, um sie umzudrehen. Kein Laut kam ihm oder ihr über die Lippen. Er schob ihre langen Haare zur Seite und ließ sie los. »Du musst deinen Rücken freilegen«, sagte er. Sie versteifte sich. »Damit ich die Verletzung behandeln kann«, fügte er spöttisch hinzu. Eine beschämende Hitze ließ ihre Wangen glühen. Sie hörte Kieran wegtreten und wandte den Kopf, um zu sehen, was er vorhatte.
Er trat an den Tisch mit dem Spiegel zurück, zog eine Schublade auf und holte zwei Töpfchen heraus. »Diese Salben sollten die Schmerzen lindern und die Heilung beschleunigen«, erklärte er.
Ariana umklammerte ihre Schultern mitsamt dem Stoff des Kleides. Jede Strieme, die der Riemen in ihrem zarten Fleisch hinterlassen hatte, brannte bei Berührung mit der Stoffbahn. Konnte sie Kieran vertrauen? Er gab ihr die Zeit, die sie benötigte, und wartete.
»Ich werde Hilfe brauchen«, sagte sie brüsk, wandte den Kopf und starrte die Wand an.
»Natürlich«, entgegnete er.
Obwohl der seidene Stoff an etlichen Stellen eingerissen war, löste Kieran die Schnüre an ihrem Rücken. Sie spürte den sanften Zug, sobald er die Bänder durch die Ösen zog und Stück für Stück ihre Haut freilegte. Ihr Nacken kribbelte. Sie war sich sicher, er starrte sie an. Sie wusste nur nicht, ob sie sich darüber ärgerte oder geschmeichelt war.
Ariana stand steif und ungelenk vor ihm. Sie bemühte sich, das Beben zu unterdrücken. Seine Hände glitten zügig und zugleich zärtlich über ihre Haut. Er berührte sie mit einer Sanftheit, die sie ihm nicht zugetraut hätte. Die Bewegungen erinnerten sie an den zarten Hauch, den sie als Mädchen gespürt hatte, wenn ein Insekt sich auf ihren Finger niederließ und träge mit den Flügeln schlug. Kieran fuhr mit den Fingerspitzen ihre Lendenwirbel entlang. Sofort verkrampfte sie sich. Er zeichnete die Wunden nach. Dadurch gewann sie einen Eindruck, wie schwerwiegend sie getroffen worden war.
»Dafür bestrafe ich ihn«, murmelte er. Sie erschrak über die Wut, die in seiner Stimme mitschwang. Seine Hand ruhte an ihrer linken Seite, der Daumen strich ihr über die Taille.
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