»Ihr benutzt sie als Sklaven und beutet sie aus«, hielt sie ihm vor.
»Wenn du es so nennen willst.«
»Es ist die Wahrheit – und ihr seid Barbaren, wenn ihr das zulasst.«
Keiner von ihnen sagte ein weiteres Wort. Sie betraten erneut ein Gebiet reich an Bäumen. Wie sein Zuhause wohl aussah? Mit ziemlicher Sicherheit war es dort nicht sonderlich gemütlich. Er war ein finsterer Kerl, der sie ständig verhöhnte und voller Verachtung gegenüber dem zu sein schien, was sie war.
»Wie alt bist du?«, fragte sie ihn.
»Zu alt für eine Mindere wie dich.«
»Kannst du auch nur eine Frage ernsthaft und ohne Spott beantworten?«
Wenn er ein Herrscher war, sollte sie nicht derart mit ihm sprechen. Könige verlangten Respekt, Anerkennung und Distanz zum Volk. Sie waren höhergestellt. Oberhäupter erforderten eine gewisse Etikette, die eingehalten wurde. Sie kannte das von ihrem Vater. Ihr eigenes Leben bestand aus Konvention, Gehorsam und Ehrerbietung. Dennoch schien es ihr bei Kieran unmöglich, ihn als Machthaber hinzunehmen oder gar zu akzeptieren. Dafür war er zu anders, fremd und ungehobelt. Ihm fehlten jegliche Manieren, um von ihr auch nur ansatzweise in seiner Rolle respektiert zu werden.
»Ich beantworte Fragen, wie es mir passt, Mindere. Glaube mir, wenn ich sage, dass ich bereits mehr als ein Dutzend Menschenleben hinter mir habe.«
Staunend wandte sie den Kopf zu ihm um. Danach sah er nicht aus. Sein Gesicht war bar jeglicher Falten. Keine Runzel verunzierte die glatte Haut und zeugte von seinem Alter.
»Du lügst.«
Er grinste schief. »Ich bin ein Dunkelelf, Mensch. Hast du das vergessen?«
Ihr Blick fiel auf die spitzen Ohren. Erst jetzt fiel ihr der Schmuck auf, der an dem rechten Ohrläppchen hing. Es war eine Silberkette. Sie stand in direktem Kontrast zu der schwarzen Kleidung, den langen kohlrabenschwarzen Haaren, dunklen Augen und seiner gebräunten Haut. Fasziniert starrte Ariana die Kette an. In ihrer Heimat gab es derartigen Flitterkram nicht. Die Metalle dienten einzig dem Zweck, Werkzeuge, Waffen und Haushaltsgegenstände zu fertigen. Es war ihr neu, dass solche Sachen am Körper tragbar waren – vor allem an dem eines Elfen.
»Was starrst du so an?«, fragte er sie und unterbrach ihre Gedanken. Sie blinzelte und sah wieder nach vorn, bevor er die heiße Röte bemerkte, die ihre Wangen zum Glühen brachte.
»Warum trägst du Metall am Ohr?«
»Das geht dich nichts an.«
»Ich dachte, Elfen reagieren allergisch auf Metall.«
Er schwieg, unwillig mehr zu erzählen. Eine Bö zog zwischen den Büschen und Bäumen entlang, sodass sie fröstelte. Sofort bewegte Kieran sich hinter ihr. Ehe sie sich versah, hatte er seinen langen Umhang um sie gelegt. Verblüfft warf sie ihm einen Blick zu.
»Spar dir deinen Dank«, erklärte er. »Ihr Mindere seid anfällig. Da du arbeiten sollst, wenn wir ankommen, nützt es mir nichts, wenn du frierst, dich unterkühlst und krank wirst.«
»Natürlich.«
Sie verließen die Baumgruppe des Waldes und standen unmittelbar vor einem Tor. Kieran stieß erneut einen Pfiff aus. Hinter dem Tor kamen zwei Männer hervor, um es für sie zu öffnen. Sie senkten die Köpfe beim Anblick ihres Oberhauptes und sprachen ihn mit »Herr« an. Ariana bedachten sie dagegen kaum. Einen kurzen Blick schenkten sie ihr, Fragen stellten sie jedoch keine.
Ihr war das recht. Sie hatte keinerlei Lust, diesen fremden Dunkelelfen Erklärungen zu liefern, die sie nicht hatte. Kieran führte das Pferd in eine Höhle hinein. Merkwürdig. Wer hauste gerne in einer Grotte?
Er stieg ab und drehte sich ihr zu, um ihr helfen. Sie ignorierte seine dargebotene Hand. Stattdessen schwang sie sich routiniert vom Sattel herunter. Er sah sie daraufhin nachdenklich an, sagte aber kein Wort, sondern griff nach ihrem Arm, oberhalb des Ellenbogens und zog sie mit sich.
Sie gingen tiefer in die Höhle hinein, deren Gestein tiefschwarz schimmerte. Ariana fröstelte erneut an diesem Tag. Wenn Kieran ihr kurzes Beben bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken. Er zog sie mit zügigen Schritten weiter, einen langen, düsteren Tunnel entlang, um eine Ecke und ließ ihren Arm los.
Vor sich sah sie eine imposante, nahezu leere Kammer. Am anderen Ende befand sich ein Thron auf einem felsigen Podest, ähnlich dem ihres Vaters. Das Holz des Thrones wies Schatten auf, die einem Muster folgten. Offenbar zierten Schnitzereien den Herrschaftssitz. Daneben standen zwei Wachen an den Wänden entlanggereiht. Mehrere Tunnel führten aus dem Raum heraus.
Zügig schritt Kieran auf den Herrschersitz zu. Er setzte sich und schlug die langen Beine übereinander. Sein Gesichtsausdruck erweckte einen Augenblick lang den Eindruck von Gedankenverlorenheit.
Ein anderer Kerl löste sich aus den Schatten und trat vor.
Er war ebenfalls von hoher Statur. Die Haare schimmerten genauso nachtschwarz wie bei Kieran, schienen aber kürzer zu sein.
Er trug keinen Schmuck im Ohr.
»Bran«, sprach Kieran ihn an, eine Spur von Freundlichkeit lag in seiner Stimme. Sein Mundwinkel hob sich; es sah beinahe nach Freude aus, diesen Mann zu sehen. »Was hast du zu berichten?«
Der Angesprochene beugte das Knie und senkte sein Haupt ehrerbietig. »Wir schickten sie in die Schwärze wie du es befohlen hast. Heraus kam niemand. Ich fürchte, deine Befürchtung bewahrheitet sich: Wer hineingerät, kommt niemals wieder heraus.«
»Gibt es Hinweise, woher das Nichts stammt? Wo liegen seine Wurzeln?«
Bran schaute auf den Boden. »Darauf weiß ich keine Antwort.«
Seufzend winkte Kieran ab. »Wir finden eine Antwort. Vorher musst du etwas für mich erledigen.«
»Natürlich.«
Bei seinen Worten straffte Ariana die Schultern und hob das Kinn. Sie bemühte sich um Würde und Gelassenheit, was ihr nicht leichtfiel. Sein Blick ruhte auf ihr. Der andere sah sie ebenfalls an.
»Wer ist sie?«, fragte er.
»Sie soll hier arbeiten. Ich weiß noch nicht, zu wem sie gehört. Ihre Worte sind merkwürdig.«
»Hat sie kein Mal?«
Ariana runzelte die Stirn. Ihr blieb keine Gelegenheit, diese Frage weiterzuverfolgen. Schon schüttelte Kieran den Kopf.
»Ich weiß es nicht, das werde ich später herausfinden. Es gibt noch eine Sache, die seltsam an ihr ist.« Das Braun in seinen Augen schimmerte wie Karamell.
Sie erwiderte den Blick, doch in ihrem Geist wüteten die Emotionen. »Die Mindere glaubt, sie sei eine Prinzessin«, sagte er.
Bran lachte. »Prinzessin? Eine Menschenfrau? Wie kommt sie darauf?«
Kieran verzog keine Miene. Sie starrten sich an, fixierten einander und versuchten, den jeweils anderen abzuschätzen. Was ging in diesem Dunkelelfen vor? Was fühlte er? Was dachte er?
»Das werde ich herausfinden«, fuhr er mit beherrschter Stimme fort. »Sie soll sich in der Zwischenzeit in der Küche nützlich machen. Thómràs soll sie beschäftigen.«
»Sehr wohl, Herr.«
Bran kam auf sie zu. Sie beobachtete den fremden Elfen aufmerksam und mit milder Neugier im Blick.
Er streckte eine Hand nach ihr aus und packte ihren Arm. Sie widersetzte sich, woraufhin er seinen Griff verstärkte. Auf ihren Weg zur Küche wandte sie sich zu Kieran um. Doch der König starrte grübelnd zu Boden und beachtete sie nicht länger.
»Ich kann hier nicht arbeiten«, versuchte sie, dem Kerl zu erklären. Aber er hörte ihr überhaupt nicht zu. Er schleppte sie am Arm aus der einen Kammer hinaus und hinein in einen anderen Teil dieses eigenartigen unterirdischen Gewölbes. Der würzige Geruch von Speisen drang ihr in die Nase. Dann betraten sie eine Küche. Ein Loch in der Decke sicherte den Abzug der Dämpfe. In der Höhle herrschte ein reges Treiben, auf dem eine bedrückende Schweigsamkeit lastete. Hier waren keine Elfen mit spitzen Ohren. Stattdessen erblickte sie Menschen, Mädchen wie Jungen, die Gemüse schnippelten, in Töpfen rührten oder den Boden mit groben Schwämmen putzten.
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