„Manchmal kannst du wirklich eklig sein“, warf Adrian ein. „Gut, dass ich nicht deinen Job machen muss. Anderen in der Nase popeln, das ist echt widerlich!“
„Anderen in den Arsch kriechen auch“, warf Marc mit einem Seitenblick auf seinen Partner ein.
Lynne hob die Brauen. Zwischen den beiden schien dicke Luft zu herrschen.
„Wie meinst du das?“, fragte Adrian scharf zurück.
Marc sprach mit künstlich verstellter Stimme: „ Ich schlage vor, Sie nehmen Ihren Sohn, wir rufen Ihnen ein Taxi und Sie fahren zu Ihrer Mutter nach Minden. Ich halte es für das Beste für Sie und Ihren Sohn, wenn Sie in dieser furchtbaren Situation nicht alleine sind.“
Adrian wirkte zunächst ehrlich verblüfft, dann nickte er jedoch und sagte: „Du bist doch nur sauer wegen dem, was ich über Carla gesagt habe. Und nicht, weil ich es gesagt habe, sondern weil du genau weißt, dass ich Recht habe.“
Die Männer lieferten sich ein stilles Blickduell, bis Lynne sich schließlich zu Wort meldete: „Hallo Jungs, ich kann euch hören! Ich bin noch da!“
Sie fuhren abrupt zu ihr herum. Lynne verdrehte die Augen. „Männer“, schimpfte sie. „Und ihr sagt, Frauen seien zickig… Hier“, sie drückte Marc einen Stapel gedruckter Seiten und einen Stick mit der gesprochenen Aufnahme in die Hand. „Da könnt ihr euch alles durchlesen, was ich herausgefunden habe. Ich mache nämlich jetzt Feierabend, denn ich habe keine Lust darauf, live mitzuerleben, wie gleich einer von euch auf meinem Obduktionstisch landet.“ Das war ein glatter Rauswurf, aber sie hatten es auch verdient. Außerdem stand es mit Lynnes Geduld nicht zum Besten und auf Grund der durchwachten Nacht sehnte sich nach nichts sehnlicher als nach Schlaf in ihrem Bett.
Marc klappte der Kiefer herunter, doch er brachte kein Wort heraus. Stattdessen entschuldigte sich Adrian mit einem leisen ‚Sorry‘ und tippte Marc dann an die Schulter. „Los Mann, Conrad wünscht sich die Ergebnisse bis zum Meeting und bis dahin bleiben uns nicht mal eineinhalb Stunden diese Seiten durchzulesen.“
Montag, 19. Oktober, 14.45 Uhr
„Was sollte denn das gerade da drinnen? Bist du komplett bescheuert?“, herrschte Adrian ihn an, während er sich auf die Fahrerseite drängte.
Marc platzierte die Unterlagen auf dem Rücksitz und ließ sich ohne Widerrede auf dem Beifahrersitz nieder. „Willst du jetzt etwa eine Entschuldigung?“, brummte er ohne aufzusehen. Er wusste, dass Adrian ihm nichts getan hatte und dass sein Partner vollkommen ins Schwarze getroffen hatte, und gerade diese Erkenntnis nervte ihn und steigerte seine Wut ins Unermessliche. Seine Wut auf… sich selbst. Ja, vielleicht neidete er Adrian dieses Glück doch ein wenig. Aber nicht, weil Adrian es hatte und er nicht; sondern weil Adrian den Mumm hatte, zu warten, bis er der Richtigen begegnete. Mit anderen Worten, sein Leben war scheiße, er verlor sich in Selbstmitleid, welches er unfairerweise an seinem besten Freund ausließ und wusste dabei so sicher wie das ‚Amen‘ in der Kirche, dass er aus eigener Initiative nichts an seiner Situation ändern würde.
„Ach, fick dich doch, Marc“, sagte Adrian und er sagte das nicht oft. „Wenn du ein Problem mit mir hast, dann lass es nicht an Lynne aus. Und wenn du ein Problem mit dir hast, dann lass es verflucht nochmal nicht an mir aus!“
Die restliche Fahrt verbrachten sie schweigend.
Montag, 19. Oktober, 16.00 Uhr
Wie zu erwarten war, eröffnete Captain Conrad Harper das Meeting mit äußerst schlechter Laune. Wenigstens war es im Besprechungszimmer – ein starker Euphemismus für Abstellkammer – jetzt nicht mehr so heiß, wie es die Sommermonate über der Fall gewesen war. Trotzdem krempelte Marc sich die Ärmel seines Langarmshirts hoch, bevor er sich zwischen Adrian und Grace Packet auf seinem Stuhl niederließ. Es tröstete ihn, dass er nicht der einzige mit schlechter Laune war.
„Kein großes Blabla“, begann Harper zähneknirschend. „Wir wissen alle, worum es geht: Irgendein krankes Schwein hat den beliebtesten Politiker dieses Bundesstaates abgemurkst und jetzt haben wir die Scheiß-Journalisten an der Backe. Also, wer will zuerst? Tom?“
Obwohl Tom Bishop sonst immer als erster das Wort erhielt, weil er sich nach dem zusammenfassenden Bericht der Spurensicherungsergebnisse meistens wieder verzog, zuckte er erschrocken zusammen, als der Captain seinen Namen so energisch nannte. „Äh, ja“, sagte er und klaubte ungeschickt seine Unterlagen zusammen. „Wie ihr euch wahrscheinlich denken könnt…“
„Können wir“, unterbrach ihn Harper. „Fass dich kurz, Bishop!“
„… hat der Täter keine eindeutigen DNA-Spuren hinterlassen“, ließ Tom dennoch seinen angefangenen Satz auslaufen. „Also, dann eben nur die Dinge, die euch wirklich interessieren.“ Er blätterte einige Seiten um und legte sie zur Seite. „Es gibt keine Anzeichen von gewaltsamem Eindringen. Der Täter ist einfach so hinein und wieder hinaus spaziert.“
„Chesterway hat seinen Mörder also gekannt“, brachte Hope die Aussage auf den Punkt.
„Vielleicht war er sogar mit ihm verheiratet“, stellte Marc mit einem Seitenblick auf seinen Partner seine Vermutung in den Raum.
„Die Vermutung liegt nahe“, sagte Tom. „Also, Hopes Vermutung, nicht deine, Blondie.“ Marc bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick, woraufhin Tom eilends fortfuhr. „An der Stereolage sind nur seine und die Fingerabdrücke eines nahen Verwandten… Wir gehen davon aus, dass es sich hierbei um seinen Sohn handelt. Ansonsten…“ Er blätterte wild durch die mittlerweile kreuz und quer verteilten computergetippten Seiten.
„Ansonsten habt ihr nichts, richtig?“, unterbrach Harper.
„Naja, jedenfalls nichts, was euch spontan weiterhelfen könnte“, grummelte Tom. „Ich lass euch den Bericht da, dann könnt ihr euch selbst in die Lektüre vertiefen.“
„Sortier aber bloß die Seiten in die richtige Reihenfolge“, meldete sich Bertram brummelnd zu Wort.
„Hat Lynne mehr für uns?“, fragte Harper und gab das Wort damit an Adrian und Marc weiter.
„Prince Charming wurde gefoltert und hingerichtet“, fasste Adrian Lynnes Aussage zusammen. „Und unser Politiker bediente sich wohl gern etwas über den Durst hinaus an seiner schicken Privatbar und vermutlich war auch Koks im Spiel. Ansonsten verweise ich auch auf den Bericht und das äußerst interessante Tonband mit Videoaufnahmen der Obduktion auf diesem Stick. Übrigens, alles in korrekter Reihenfolge“, fügte er grinsend hinzu.
Harper seufzte. „Ich wünschte, die anderen würden uns einmal hilfreichere Ergebnisse liefern. Sind wir hier eigentlich die einzigen, die ihren Job machen? Wozu brauchen wir die Spurensicherung und die Rechtsmedizin, wenn sie sowieso nie hilfreiche Details aufdecken. Werfen wir sie raus und erhöhen dafür das Gehalt der Ermittlerabteilung.“
„Ich bin dann mal weg“, flüsterte Tom und machte sich eilends aus dem Staub.
Der Captain verdrehte die Augen. „Manchmal wünschte ich, ich wäre zu CSI ins Fernsehen gegangen… Bertram, irgendwelche Vorstrafenregister?“
„Der Kerl scheint sauber, Sir. Es gibt keine offiziellen Eintragungen. Nicht mal ein Strafzettel.“
„Keine Trunkenheit am Steuer?“, schaltete Marc sich ein.
Bertram schüttelte den Kopf. Worte waren definitiv nicht seine Stärke.
„In Ordnung. Also, fassen wir zusammen.“ Harper erhob sich und steuerte auf das Memo-Board zu, auf welchem er stets die wichtigsten Fakten festhielt. Leider mit einer echten Sauklaue, so dass man die Worte nur entziffern konnte, wenn man zuvor gehört hatte, was er aufschrieb. Das konnte ein gewisser Vorteil sein, sollte irgendwann einmal ein Täter hier einbrechen, er hätte keinen blassen Schimmer, wie weit die Ermittlungen bereits fortgeschritten waren. Marc musste über seinen absurden Gedankengang grinsen.
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