1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 „In Barrens variantenreicher Bilderwelt sehen sie bloß nach mehr aus“, bestätigte Mauro.
Gildemeister Malfarin faltete die Hände vor dem Gesicht: "So einfach ist das! Mit diesem Wissen hätten wir viele wackere Männer retten können. Mein Vater war eines der Opfer. Erschöpft von den Kämpfen gegen Barrens Geister starb er eines frühen Todes."
König Kelros seufzte: "Wackere Männer haben im Labyrinth den Verstand verloren. Selbst die, die rausgekommen sind, litten bis an ihr Lebensende Höllenqualen"
Hanok wusste, wovon sie sprachen. Er selbst war in Barrens Labyrinth gefoltert worden. Bloß zuzuhören, wenn die anderen darüber redeten, war für ihn unerträglich. Kalter Schweiß lief über seinen Rücken hinunter. Immer wieder fokussierte er seine Augen. Er musste sich versichern, dass er nicht mit einem derben Sack über den Kopf vor Barren kniete. Sobald er die Augen schloss, fielen die Gespenster über ihn her.
"Wir Zauberer wissen mit Ängsten umzugehen. Schattenarbeit ist unser tägliches Brot.“ Zumindest für Mauro traf das zu.
Hohepriesterin Suza wollte das nicht gelten lassen: „Nach meiner Kenntnis habt ihr Zauberer mehr Erfahrung mit dem Kreieren von Ängsten als mit deren Heilung. Wie ich höre, setzt Ihr Euer Wissen inzwischen als Waffe ein."
Mauro ging nicht auf Suzas Kommentar ein. Er wollte nicht vor allen bekennen, dass sie Recht hatte. "Die Experten im Heilen von Ängsten sind die Hochelfen. Sie haben mich dereinst an ihrem Wissen teilhaben lassen. Vielleicht helfen sie uns, Leitlinien der Heilung zu erstellen."
Suza protestierte: "Diese Kunst sollte den Tempeln vorbehalten bleiben. Selbstverständlich stehen wir allen Menschen zur Seite, die Heilung brauchen. Das ist unser göttlicher Auftrag. Dieses brisante Wissen darf nicht in die falschen Hände geraten. Ihr habt erlebt, welchen Unfug man damit anstellen kann.“
"Lasst uns das Wissen erst in Händen haben, ehe wir es zu hüten beginnen.“ Barad kannte Suzas Empfindlichkeit.
"Bisher waren die Hochelfen nicht gerade kooperativ. Königin Galbereth teilt ihr hehres Wissen nicht mit jedermann", sagte Suza spitz. Das Verhältnis zwischen beiden Damen war nicht gerade herzlich.
Natürlich hatte Elfenkönigin Galbereth die Konferenz verfolgt. Sie war als Ringträgerin selbst ein Mitglied der Caladrim. Jetzt hielt sie die Zeit für gekommen, sich im Kreise der Anwesenden zu zeigen.
Galbereths Auftritte waren atemberaubend (möglicherweise der Hauptgrund, weshalb Suza sie nicht ausstehen konnte). Jeder der anwesenden Männer hätte geschworen, nie eine schönere Frau gesehen zu haben. Ein Strahlen begleitete die Elfenkönigin, dessen Quelle in ihrem Innersten zu sitzen schien. Sie ging nicht, sie schwebte. Ihre Stimme tönte wie Glockengeläut. In ihren blauen Augen meinte man Meereswellen zu erkennen.
König Mauro verneigte sich tief (ebenso wie die anderen Herren). "Herrin, es ist mir eine Freude, Euch wiederzusehen. Die Welt der Menschen braucht Eure Hilfe."
"Auch Hochelfen sind durch den tückischen Zauber des Labyrinths ums Leben gekommen. Ich biete Euch meine Hilfe, den Bauplan zu entschlüsseln. Was müsst Ihr wissen?"
"Wir brauchen die Namen der Schreckgestalten, die Bezeichnung der sieben Urängste.“
"Welche habt Ihr bereits identifiziert? Beschreibt sie!“ forderte Galbereth.
Mauro begann mit der Beschreibung des Schreckgespenstes, mit dem er sich an Hagens Grab auseinandergesetzt hatte. Es war das erste gewesen, das er zu zähmen vermochte. Er beschwor das Bild der toten Shio Ban und schilderte das würgende Gefühl der Machtlosigkeit. Während des Sprechens fiel ihm auf, dass er nur noch ein Echo des alten Schmerzes empfand. Er dankte Shio Ban und ließ sie ziehen.
Die Elfenfürstin gab den Bildern einen Namen: "Ihr beschreibt das Gespenst der Schuld. Die Betroffenen werden von der Angst vor Wertlosigkeit gequält. Sie ziehen den Märtyrer-Tod der Schmach des Versagens vor. Diese Angst gaukelt ihren Opfern vor, dass sie schmerzvolle Erlebnisse durch mehr Einsatz verhindern könnten. Im Bestreben, nicht schuldig zu werden, überfordern sie sich selbst bis zum Scheitern.“
Mauro fuhr fort mit dem Gespenst, das er Barren entgegengeschleudert hatte, als er ihm auf den Distelfeldern gegenüber stand. Er hatte mittlerweile erkannt, dass dieses Gespenst für Barren wie für Hanok besonders gefährlich war. Ihn selbst ließ es weitgehend unbehelligt. So bat er Hanok um eine Beschreibung.
Hanok war dazu nicht mehr in der Lage. Er hatte die Grenze seine Leidensfähigkeit erreicht. Er biss die Zähne so hart zusammen, dass sein Kiefer schmerzte. Alle Kraft, die ihm verblieben war, wendete er darauf, Haltung zu bewahren.
Die Anwesenden wussten um Hanoks Geschichte. Mauro erkannte, dass er dem Mann zu viel zugemutet hatte und schickte sich an, selbst mit der Beschreibung fortzufahren.
Galbereth gebot ihm Einhalt. Sie wandte sich Hanok zu: "Der Kampf hat Euch erschöpft. Ihr braucht Hilfe."
Hilfe war das letzte, was Hanok brauchte. Von einer Dame! Er machte eine abwehrende Handbewegung. Doch die Elfenkönigin ließ sich nicht abweisen. "Von wem könnt ihr Hilfe annehmen?"
Hanok blickte in die Runde und schüttelte den Kopf.
"Er muss nicht hier sein. Nennt den Namen."
Hanok wählte den einzigen Freund, den er je gehabt hatte: seinen Sattelgefährten.
"Gut" sagte Galbereth und bewirkte, dass einer der Anwesenden die Gestalt des Ermordeten annahm. Sie gab dem Mann Anweisungen und verlangte von Hanok: "Euer Gefährte steht bereit, Euch zu helfen. Ihr müsst es einfordern. "
Hanok konnte kaum fassen, was er sah. Im ersten Moment meinte er, der ermordete Gefährte wäre wieder auferstanden. Dann machte er sich bewusst, dass es ein Trugbild war.
„Es spielt keine Rolle“, nahm Galbereth seinen Einwand vorweg. „Wir können auch von Verstorbenen Hilfe erhalten. Ich habe Euren Gefährten gerufen, und er ist bereit, Euch zu unterstützen. Ihr müsst Euch nur dazu entschließen, sein Geschenk anzunehmen. Lasst Euch in seine Arme fallen. Er wird Euch auffangen.“
Sich vor aller Augen solch eine Blöße zu geben, war unerträglich für den hochmütigen Hanok. "Herrin..." begann er seine Widerrede. Es nutzte ihm nichts. Galbereth erhöhte den Druck auf ihn. Er kämpfte verzweifelt ... und ließ sich am Ende fallen.
Der Gefährte machte seine Sache gut. Er schwankte kein bisschen. Sofort wollte Hanok sich aus der ungewohnten Lage befreien, doch wieder schritt Galbereth ein. "Lasst Euch darauf ein. Fühlt, was es bedeutet, Hilfe anzunehmen".
Ganz langsam entspannte Hanok sich. Der Gefährte hielt ihn sicher. „Wie sehr hätte ich mir zu Lebzeiten gewünscht, Dir behilflich zu sein“, sagte der Stellvertreter. „Du hast es nie zugelassen. Schade!“
Galbereth entzog Hanoks Hilfsbedürftigkeit gnädig den Augen der anderen, während sie weitersprach: "Was ihr soeben gesehen habt, ist das Gespenst des Hochmuts. Seine Opfer haben Angst, verletzt zu werden. Darum geben sie sich den Anschein der Überlegenheit und schotten sich ab. Ihnen kann nur geholfen werden, wenn ein anderer bereit ist, den Panzer von außen zu durchdringen. Das gilt für Hanok, aber auch für Barren.“
Barad hatte begriffen, worum es ging: „Der Herr der 1000 Schrecken kann nicht auf Hilfe von außen hoffen. Er hat keine Freunde, die bereit wären, für seine Rettung ein Risiko einzugehen. Er kann sich nur noch tiefer in sein eigenes Labyrinth verstricken.“
„Zwei der Grundängste haben wir kennen gelernt. Die Angst vor Schuld entspricht dem Urprinzip des Kriegers. Um Schuld zu vermeiden, stürzt er sich ins Märtyrertum. Die zweite, die Angst vor Verletzung, gehört zur Priesterenergie. Sie drückt sich in Hochmut aus“, fasste Suza die Erkenntnisse zusammen.
„Welchem Gespenst bin ich ausgewichen, als Fürst Torren mich an der Kammer im Labyrinth vorbeigelotst hat?“ fragte Mauro. Er ließ die Kammer vor ihren Augen entstehen. Die Dämonen, die dort ihre schaurige Arbeit verrichteten, hatten vierschrötige Tierköpfe mit ausladenden Hörnern, feurige Augen, Bocksbeine und den Schweif eines Löwen. In den Händen hielten sie entweder eine zwölfschwänzige Geißel oder eine Bullpeitsche. Sie konfrontierten die Betrachter gnadenlos mit allen ihren Versäumnissen. Mit langen Peitschen hetzten sie ihre Opfer hin und her. Je mehr einer anpackte, je mehr Versäumnisse blieben liegen. „Welche Bezeichnung würdet Ihr diesen Ungeheuern zuordnen?“ fragte er Galbereth, die sich als eine der wenigen nicht in das hektische Treiben hineinziehen ließ.
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