Barad hatte Sigrun eine Leibgarde von sechs gut ausgebildeten Kombat-Zauberinnen übergeben. Darunter waren Almaninnen, die wirklich reiten konnten. Damit sollte Mauro keine Einwände haben, wenn seine Gattin Ausflüge in die Umgebung machen wollte.
Mauro jedoch hatte nicht vergessen, wie feindselig die Mandrilanen ihm gegenüberstanden. Auch erinnerte er sich noch gut an seinen eigenen ersten Ausritt ins Umland. Er hatte sich in den Mandril-Sümpfen verirrt und wäre beinahe in einem Teich ertrunken. Erst Yvos entschlossenes Eingreifen hatte ihn von Barrens Zauber befreit und ihm die Rückkehr ermöglicht. Dass so etwas mit Sigrun passieren könnte, jagte ihm Schauer über den Rücken.
Seine junge Frau ließ jedoch nicht locker. Die Nomadentochter empfand es als unerträglich, unentwegt in der trüben, düsteren Stadt zu verweilen. Mauro sah ein, dass er sie nicht einsperren durfte. Er stellte ihr fünfzig almanische Reiter aus seiner eigenen Garde ab, um sie vor den unberechenbaren Mandrilanen zu beschützen. Den Kombat-Zauberinnen schärfte er ein, auf die Tücken des Geländes zu achten. In den Sümpfen lebten Feen und andere Naturgeister, die Menschen gegenüber nicht immer freundlich gesinnt waren. Dann ließ er sie ziehen.
Doch die Freude war von kurzer Dauer. Kaum, dass Sigrun die Möglichkeit hatte, nach Herzenslust auszureiten, kippte das Wetter. Seit einer Woche regnete es ohne Unterlass. Sigrun fand sich wieder reduziert auf die königlichen Gemächer, die Spinnstube der Damen und den Reitplatz hinter den Stallungen. Diese kleine Welt hatte sie mittlerweile gut im Griff. Sie wusste, was wo zu finden war, und wen sie bitten musste, wenn sie etwas brauchte. Im Stall hatte man sich inzwischen an ihre tägliche Anwesenheit gewöhnt. Die Gardisten sprangen nicht mehr dienstbeflissen vom Pferd, sobald sie auftauchte. Sie akzeptierten sogar den einen oder anderen Tipp, wie sie ihre Pferde trainieren sollten. Selbst der Stallmeister kam gerne zum Fachsimpeln vorbei, wenn Sigrun ihren Hengst versorgte. Zumindest in dieser Hinsicht hatte sie sich gut eingelebt.
Oft wanderten ihre Gedanken zurück nach Moringart – an den Anfang ihrer Liebe. Allen Hindernissen zum Trotz hatte sie den Mann bekommen, dem ihre Zuneigung gehörte. Mauro hatte sämtliche Versprechen gehalten. Mehr konnte sie nicht verlangen. Warum war sie trotzdem an seiner Seite nicht unbeschwert glücklich?
Sigrun liebte Mauro über alle Maßen – doch mit der Welt, in die sie ihm gefolgt war, kam sie nicht zurecht. Die feine Mandrilanische Gesellschaft funktionierte nach ausgeklügelten Spielregeln, die keiner offen ansprach. Als Außenstehende fühlte Sigrun sich wie in einem Irrgarten mit unsichtbaren Mauern. Wie Mauro störte sie sich daran, dass ihr die Menschen beim Sprechen nicht in die Augen sahen. Alles um sie herum wirkte starr, abweisend und verlogen.
Ortrud war ihr nicht hilfreich. „Versuch nicht, es zu verstehen. Ändere es. Du bist die Königin. Du kannst sie zwingen, nach Deinen Regeln zu leben“, redete sie Sigrun ein. Natürlich funktionierte das nicht. Doch Sigrun konnte sich nicht auf Land und Leute einzulassen, solange Ortrud neben ihr über alles und jeden ihren Spott ergoss.
Dass Sigrun Ana und Ildigo in ihre Dienste genommen hatte, erwies sich als segensreich. Die Mädchen verbreiteten den ganzen Tag über gute Laune. Den Palast sahen sie als riesige Spielwiese für ihre Träume und Ambitionen. Durch die Augen der Mädchen erkannte Sigrun, dass in Mandrilar nicht alles grau, trostlos und bedrohlich war.
Sigrun musste sich eingestehen, dass Ortruds andauernde Miesmacherei sie hinuntergezogen hatte. Nun beschloss sie, sich die neue Heimat nicht länger madig machen zu lassen. Sie ließ sich von der Begeisterung der Mädchen anstecken und stürzte sich mit Feuereifer in die Vorbereitung des Balles. Hundert kleine Details mussten arrangiert, gestickt oder gerichtet werden. Sigrun legte selbst Hand an. Ihr Kleid war von ähnlicher Farbe, doch prunkvoller als jenes, das sie auf dem Abschlussball in Moringart getragen hatte. Mit Wehmut dachte sie daran, dass das schöne Stück, an dem so viele Erinnerungen hingen, sich wohl im Besitz ihrer ungeliebten Schwägerin Yelva befand. Der stand es gewiss nicht so gut wie ihr.
Während die Frauen ihren Roben den letzten Schliff verpassten, plauderten Ana und Ildigo munter drauf los. Natürlich waren Männer der Schwerpunkt ihres Interesses. „Wundert Euch nicht, dass es keine Hofdamen in Eurem Alter gibt“, meinte Ildigo zu Sigrun. „Die meisten Frauen sind Mitte zwanzig schon Witwen. Sie müssen sich mit den Krümeln zufrieden geben, die die anderen für sie übrig lassen. Die Zeit, in der wir das Leben genießen können, ist verdammt kurz. Ich danke meinem Schicksal, dass es mich mit einem hübschen Gesicht und einem perfekten Körper ausgestattet hat. Diese Gaben werde ich nicht verschleudern. Ich suche mir einen Mann, der mir einen hohen Status und eine wirtschaftlich abgesicherte Zukunft verspricht. Die Zeit, die es dauert, lebe ich in Saus und Braus und lasse kein Vergnügen ungenutzt!“
Ana war schockiert: „Zählt Liebe für Dich denn gar nicht?“
„Was ist schon Liebe? Wenn er erst unter der Erde liegt, kann ich mir darum nichts mehr kaufen!“ gab Ildigo patzig zurück.
Ortrud verdrehte die Augen und sagte mit gespieltem Bedauern: „Der arme Kerl, der Dich einmal heimführt!“
„Wieso? Der Krieger lernt, im Augenblick zu leben. Für die Zeit, die er mit mir verbringt, hat er den Himmel auf Erden!“ erwiderte Ildigo selbstbewusst.
Am Ballabend war Sigrun aufgeregt wie ein kleines Mädchen. Sie konnte es kaum erwarten, an Mauros Arm durch das Spalier der Ehrengäste zu schreiten. Als sie aus ihrer Kammer trat, erwartete Mauro sie schon. An seinem bewundernden Blick sah sie, dass sie ihm gefiel.
Mauro reichte seiner Gattin den Arm: „Holde Frau, lasst uns zum Tanze schreiten!“ Diesen Tag wollte Mauro richtig genießen – nicht wie in Moringart, als ihm ständig katastrophale Nachrichten dazwischen gekommen waren.
Sigrun knickste und schenkte Mauro ein Lächeln. Auch sie freute sich auf den Abend, an dem sie der strahlende Mittelpunkt seines Universums sein würde.
Doch es kam anders. Mauro geleitete Sigrun in einen Saal, der ihre Größenvorstellungen um ein vielfaches überstieg. Die kühn geschwungenen Deckenbogen kündeten gebieterisch von der Macht der furukischen Könige. Die alten Mauern erzählten von den Intrigen und Grausamkeiten, die sich seit Generationen hier abspielten.
Wenn man in Furukiya Feste feierte, saß den Geladenen stets die Angst im Nacken. Die Willkür ihrer Könige forderte fast jedes Mal ein Opfer. Selbst Mauros Gäste waren nicht ausschließlich von unbeschwerter Fröhlichkeit erfüllt. Vor einem Jahr hatte er den Aufstand der Mandrilanen niedergeschlagen und die Straßen der Hauptstadt mit Blut getränkt. Der Geruch der Scheiterhaufen, auf denen die Rebellen geopfert wurden, klebte vielen Mandrilanen noch in der Nase. Die alteingesessenen Geschlechter blieben dem höfischen Leben fern. Sie hockten in ihren Häusern und vermieden tunlichst, die Aufmerksamkeit des kethischen Königs zu erregen. Die, die gekommen waren, beäugten misstrauisch jeden seiner Schritte. Dass Mauro immer noch die Alicando-Krone trug und sich überwiegend mit Sommerländern umgab, trug wenig zur Sympathiegewinnung bei.
Die Atmosphäre wirkte auf Sigrun schon beim Eintreten erdrückend. Die Luft war stickig. Es summte wie in einem Bienenstock. Eine Mischung aus Schweiß, verschiedenen Duftwassern und dem Moder alter Gemäuer nahm ihr den Atem.
Sobald der König mit seiner Gattin erschien, erstarb jegliches Gemurmel. Wie Pfeilspitzen richteten sich alle Augen auf Sigrun und Mauro.
Mit einem Schlag war die festliche Stimmung verflogen, die Sigrun über die gesamte Woche kultiviert hatte. Sie wurde stocksteif und zog die Schultern ein. Es schien ihr, als betrete sie eine Gruft, in der die Dämonen der Vergangenheit seit Jahrhunderten auf sie gewartet hatten. Gemessenen Schrittes führte Mauro seine Gattin durch das Spalier, das seine Würdenträger für ihn gebildet hatten. Hand in Hand bewegten sie sich langsam auf den hohen steinernen Thronsessel am anderen Ende des Raumes zu.
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