Das waren in der Tat die Worte des Gildemeisters gewesen, sie hatten sich allerdings nicht auf Stork bezogen. Mauro merkte nicht, dass ihm ein Fehler unterlaufen war, aber Fürst Torren hakte sofort ein: „Ich wusste nicht, dass Ihr Stork von Amrun für Eure Ithryn haben wollt“, sagte er in einem Tonfall, als wäre er höchst verwundert. „Selbstverständlich bekommt Ihr ihn. Es ist mir sogar eine Ehre. Der Junge weilt noch in der Stadt und wird sich gleich morgen früh zum Dienst melden!“
Mauro stutzte. Irgendetwas kam ihm merkwürdig vor.
Fürst Torren ließ Mauro keine Zeit, darüber nachzudenken. Er griff das ursprüngliche Thema wieder auf: „Es wäre nicht klug, einen Mann zum Clanchef zu ernennen, der dem König missfällt. Dennoch bitte ich Euch, zu verstehen, dass ich in den Machtkampf um meine Nachfolge nicht eingreifen möchte. Zu viele Nachfolger habe ich schon auserkoren, die dann vor mir diese Welt verließen.“
Mauro war überzeugt, dass Torren sehr wohl eingreifen würde, sobald sein Vermächtnis in Gefahr geriet. Im Moment musste er ihm die Chance geben, das Gesicht zu wahren. So sagte er nur: „Ihr versteht, dass es mir nicht einerlei sein kann, wer über Tolego herrscht.“
„Wenn Ihr wollt, könnt Ihr in aller Ruhe abwarten, wer sich am Ende durchsetzt“, bot Fürst Torren an. „Bis dahin bewirtschaften wir weiterhin Burg Sevas.“ Dann fügte er fast jovial hinzu: „Und der junge Stork ist ab sofort Euer Mann!“
„Ich wusste doch, dass wir uns verstehen“, sagte Mauro zufrieden.
Im Gehen mahnte Fürst Torren: „Meine Zeit währt nicht ewig. Der zweite Jäger – findet ihn!“
Nach Fürst Torrens Abgang hing Mauro eine Weile lang schweigend seinen Gedanken nach.
Jorid unterbrach ihn nicht. Sie genoss es, wenn sie, wie jetzt, allein mit Mauro arbeiten konnte. Meist sprach er dann freimütiger mit ihr.
Schließlich schlug Mauro mit der Faust auf den Tisch. „Ich hätte mich niemals hinreißen lassen dürfen, wie ein Waschweib über Nôrdens Verfehlungen herzuziehen. Von Anfang an hatte ich nichts Konkretes gegen ihn vorzubringen. Torren hat mich einfach ins Leere laufen lassen – bis ich selbst bemerkt habe, wie unsinnig meine Argumente sind…“
„Kann es sein, dass Ihr dem Fürsten unbeabsichtigt ein Angebot gemacht habt?“ begann Jorid vorsichtig.
„Ein Angebot?“ wunderte sich Mauro. „Meint Ihr, weil ich Passar erwähnte? Er wird sich wohl denken, dass ich Vreden nicht zum Spaß dort eingesetzt habe.“
Jorid schüttelte den Kopf: „Ihr habt ihm gesagt, dass Ihr Stork für die Ithryn haben wollt.“
Mauro griff sich an den Kopf: „Stork sollte zur Garde und nicht zu den Ithryn berufen werden!“ Jetzt erst merkte er die Verwechslung. „Damit habe ich dem greisen Fürsten in der Tat ein unbeabsichtigtes Geschenk gemacht. Torren forderte schon die längste Zeit, ich solle einen Jungen aus seinem Clan in den engeren Kreis aufnehmen. Nun hat er, was er wollte. Stork ist ab morgen dabei!“ Mauro überlegte, was das für ihn bedeutete. Dann sagte er zu Jorid: „Es ist nicht schlimm. Ich habe bereits verkündet, dass die Neuen nicht automatisch die gleichen Privilegien genießen wie ihr Alten. Stork scheint immerhin talentiert zu sein. Feren soll sich um ihn kümmern. Die beiden kennen einander.“
„Merkwürdig“, sagte Jorid. „Darüber, dass Ihr Feren aufgenommen habt, verlor Fürst Torren kein Wort.“
Mauro stutzte einen Moment. Dann sagte er: „Wenn Ihr mir ein Goldstück anbietet, würde ich auch nicht sagen, dass ich schon eines habe!“
Der nächste Morgen begann für Hanok qualvoll. Er hatte kaum die Kraft, auf die Beine zu kommen. Hanok musste sich eingestehen, dass die Ereignisse des gestrigen Tages ihm zusetzten. Nach längerer Pause hatte er sich wieder den Schrecken des Labyrinths stellen müssen. Der Horror saß tief. Das Wiedersehen mit seinem Sattelgefährten hatte alte Wunden aufgerissen. Wie Elfenkönigin Galbereth ihn mit seinem Hochmut konfrontierte, beschäftigte ihn sehr. Sein Verstand arbeitete mit Hochdruck. Er hatte kaum geschlafen und bräuchte dringend Ruhe, doch Schonung kannte er nicht.
Galbereths Auftritt hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ungeachtet der Erschöpfung verspürte Hanok Erleichterung. Es hatte ihm gut getan, Hilfe anzunehmen. Ob es ihm auch ein zweites Mal gelingen würde, wenn die Elfenkönigin ihn nicht unterstützte? Er würde es versuchen. Vielleicht wurde er dann endlich wieder gesund.
Was stand für heute an? Hanok riss sich zusammen und konzentrierte sich auf den nächsten Schritt. Ingram wollte einen Mann an ihn abgeben, mit dem er nicht zurechtkam. Am besten ging er gleich zu ihm.
Ingram saß im Kreise der Männer, die gerade keinen Dienst hatten. Hanok setzte sich dazu. Man tauschte die üblichen Höflichkeiten aus. Das Verhältnis zu Ingram hatte sich in letzter Zeit gebessert. Je sicherer Ingram im Umgang mit seiner Truppe wurde, je eher war er bereit, sich von Hanok etwas sagen zu lassen.
Irgendetwas im Raum aktivierte Hanoks Wachsamkeit. Eine Störung des Energiefeldes. Die Präsenz eines fremden Zauberers... Er erkannte den Mann sofort, der neben dem Kaminfeuer am Boden hockte. Rücken an der Wand, Beine angewinkelt und Unterarme locker auf die Knie gelegt – so war er schon immer gesessen. Feren war ein Freund fester Gewohnheiten. Wie eine Katze liebte er warme Plätze und schlief, wann immer er die Gelegenheit dazu hatte. Offenbar verfügte er auch über neun Leben.
Soeben blickte Feren in Hanoks Richtung, ohne ihn anzusehen. Die Augen waren leicht zusammengekniffen. Er las Hanoks Energiefeld aus.
Hanok fühlte eine leichte Beklemmung. Was er seit Jahren gefürchtet hatte, war geschehen. Feren war wieder aufgetaucht, und mit ihm der Makel einer verheerenden Niederlage – die Schlacht der steinernen Särge. Erstaunlich lange konnte Hanok sich vor der Verantwortung drücken. Das Desaster hatte seiner Karriere nicht geschadet, weil keiner der Zeugen jemals zu Wort gekommen war. Nun waren die letzten Überlebenden von den Wirren des Krieges in die Hauptstadt gespült worden. Unweigerlich würden sie ihn mit der Schuld konfrontieren. Aber warum gerade jetzt? Im Moment fehlte ihm die Kraft, sich damit auseinanderzusetzen.
Hanok entschied, Feren erst einmal zu ignorieren. Mit einiger Mühe konzentrierte er sich auf den Mann, den Ingram ihm gerade vorstellte. Er fühlte sich unendlich müde.
Als er die Unterkunft der kethischen Garde wenig später verließ, deutete nichts darauf hin, dass er von Ferens Anwesenheit Notiz genommen hatte.
Ein Fest für die Frau des Königs
Die Fürsten und Würdenträger, die die Geschicke des Landes auf ihren Schultern trugen, waren mittlerweile in der Hauptstadt eingetroffen. Die Gäste aus Orod Ithryn machten sich zur Abreise bereit. Das war der geeignete Zeitpunkt für einen Ball, den der König zu Ehren seiner frisch angetrauten Gattin Sigrun geben wollte.
Große Bälle hatten in Furukiya Tradition. König Curon bestand darauf, dass die Schönste der verheirateten Frauen die Nacht mit ihm verbrachte. Diese zweifelhafte Ehre nahm keine gern für sich in Anspruch. Man fragte sich mit einem Augenzwinkern, ob Mauro es auch so handhaben würde. Wahrscheinlich schon, denn er hatte längst entschieden, dass Sigrun die schönste war.
Seit Sigruns Ankunft in der Hauptstadt waren fast vier Wochen ins Land gegangen. Für Mauro war es eine arbeitsreiche Zeit gewesen. Sein Tag begann bei Sonnenaufgang mit der traditionellen Morgenarbeit der Zauberer. Wenn er in sein Schlafgemach zurückkehrte, war es oft Mitternacht. Zwar versuchte er, zwischendurch nach seiner Gattin zu sehen, doch das gelang ihm bei weitem nicht so häufig, wie er es wünschte. Nur ein einziges Mal war er mit ihr aus der Stadt geritten. Seite an Seite galoppierten sie über die freie Fläche vor den Mauern – bloß, um beim nächsten Stadttor wieder hineinzureiten. Ortrud lästerte, das er es besser hätte bleiben lassen, doch Sigrun honorierte seinen guten Willen.
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