Am Nachmittag war Überrollen durch einen Panzer im Schützengraben vorgesehen. Die Männer alberten herum, dass dies eine leichte Sache wäre, sie quatschten nur ihre Angst davor klein. Langsam schob sich ein Panzer III heran, mit rasselnden Ketten blieb er gut 50 Meter vor dem Graben stehen, der Motor lief blubbernd. Sie standen längs des Grabens rechts und links in zwei Reihen, ungefähr 10 Meter voneinander entfernt.
„Herhören“ rief der Zugführer, „ihr braucht nichts weiter zu tun als abzuwarten bis der Panzer über den Graben gefahren ist, wenn er drüber ist raus aus dem Graben und abwechselnd springt der nächste aus der Reihe hinein, der Panzer wendet und kommt zurück. Es geht los.“
Der erste aus der linken Reihe war im Graben verschwunden, der Zugführer hob einen Arm und der Panzer setzte sich in Bewegung. Wie ein Urzeitungeheuer kam er langsam näher, sie konnten hören, wenn der Fahrer den nächsten Gang einlegte, der Lärm schwoll an und als das Fahrzeug über den Graben rollte sahen sie es aus 5 Meter Entfernung von der Seite. Langsam schob sich der Koloss über den Graben, er dünstete Benzingestank und Wärme aus und aus dem Auspuff stieg Rauch, der Kampfwagen war weit über zwei Meter hoch. Als er den Graben passiert hatte tauchte der Rekrut auf, sprang behände auf die Grabenbrüstung und lief zu seiner Reihe, der nächste rannte los und verschwand. Inzwischen hatte der Panzer auf der Stelle gewendet, er drehte sich wie ein Kreisel und sein Bug zeigte wieder Richtung Graben. Er ruckte an, beschleunigte und überquerte den Graben.
Weber war an der Reihe, er hockte im Graben und wartete auf die Überfahrt. Das Rasseln kam näher, es wurde dunkel und den Kopf zwischen die Schulter gezogen blickte er auf den Boden, dann spürte er körperlich den Motorlärm, kleine Erdstücke rieselten herunter, es wurde hell und nach einem Moment sprang er heraus. Was war daran schlimm gewesen?
Noch waren fünf Mann übrig, der erste lief zum Graben und war schnell verschwunden. Der Panzer kam näher und als er über dem Graben war gab es ein Krachen, die rechte Kette blieb plötzlich stehen, die linke lief weiter und dadurch wurde das Fahrzeug so gedreht, dass es mit der rechten Kette in den Graben rutschte. Durch die immer noch laufende linke Kette wurde der Panzer weiter nach rechts geschoben, bis er seinen Bug schräg in die Grabenwand rammte. Plötzlich war Stille, der Fahrer hatte den Motor ausgeschaltet. Die Kommandantenluke flog auf, ein Mann erschien und sprang den Weg über die Wanne nehmend zu Boden.
Der Zugführer stand wie erstarrt da, der Panzermann lief ziellos um das Fahrzeug herum und brüllte den Zugführer an: „Eine Zugmaschine, schnell!“. Weber krampfte sich das Herz zusammen, der Panzer war tief in den Graben gerutscht und hatte ihn zugeschüttet, ob der Mann darunter noch lebte war ungewiss. Mit Manneskraft war hier nichts zu machen, würden sie mit den Händen graben könnte der Panzer noch weiter rutschen und auch sie gefährden.
Der Zugführer rief einen Soldaten zu sich, sagte ihm etwas und der Mann rannte los. Es war kein Laut zu hören, der Fahrer kam blass aus dem Panzer gekrochen und stellte sich wortlos zu den anderen. Der sonst so selbstsichere Zugführer schaute unruhig um sich, sein auf und absteigender Adamsapfel zeigte die Erregung an. Nach endlosen Minuten war Kettenrasseln zu hören, ein turmloser Panzer II näherte sich, der Fahrer steuerte ihn schräg vor den Bug des Panzer III. Kommandant und Fahrer des größeren Panzers hatten bereits die Abschleppseile in die Ösen am Bug des Panzer III eingehängt und diese mit Bolzen gesichert. Die Stahlseile wurden am Panzer II angeschlagen, dessen Fahrer schaltete und gab Vollgas, die Ketten wühlten den Boden auf, er schaltete in den nächsten Gang, da bewegte sich der Panzer III etwas und langsam zog der kleine Panzer den großen aus dem Graben heraus.
Der Zugführer blickte vorsichtig in den Graben hinein, dann winkte er die Männer heran, „los, alle mit den Händen graben“, er selbst blieb auf der Böschung stehen. Friedrich war als erster unten, mit seinen großen Händen schaufelte er wie ein Irrer Erde weg, andere halfen ihm. Zuerst kam der Kopf des Mannes zum Vorschein, dann der Rücken, als der Oberkörper frei lag zogen sie ihn vorsichtig aus der Erde. Friedrich drehte ihn auf den Rücken, es war keine Verletzung zu sehen, die Augen des Soldaten blickten aber leer in den Himmel, er war erstickt.
Fred Beyer, Panzerlehrschule, Sommer 1939
Die Hitze im Panzer war unerträglich, lediglich durch die Sehschlitze drang etwas Luft ein, das schaffte aber keine Erleichterung, auch draußen flirrte die Luft von der Hitze des Hochsommers. Der Kommandant, Unteroffizier Franke, saß erhöht hinter ihm und gab Kursanweisungen, die er routiniert ausführte. Seit einem halben Jahr fuhr er den
Panzer II, er musste nicht mehr überlegen was zu tun war, alle Handgriffe waren in Fleisch und Blut übergegangen. Die Ausbilder hatten ihm Talent bescheinigt, er war der anerkannt beste Fahrer der Kompanie und auch bei der Reparatur des Fahrzeuges konnte den anderen etwas vormachen. Heute stand das erste Schießtraining auf dem Programm, Beyer war gespannt was passieren würde, ein Funker war nicht an Bord. Seine Sicht war bescheiden, Franke hatte besseres Blickfeld und musste ihm deswegen auch Befehle übermitteln, die dann in seinem Kopfhörer ertönten. Franke befahl: „Schießhalt“ und Beyer bremste den Panzer ab, der noch kurz nachfederte. Gleich darauf feuerte der Kommandant das MG ab, bis auf eine kippten alle Schießscheiben um, Franke richtete neu an und mit dem nächsten Feuerstoß erwischte er auch die letzte Scheibe. Der Panzer ruckte wieder an, schnell war er im fünften Gang und überwand das Gelände zügig, schräg vor ihnen tauchten die nächsten Scheiben auf und Franke schoss während der Fahrt, diesmal warfen die Garben sofort alle Scheiben um. Etwa 300 Meter entfernt schob sich die Silhouette eines Fahrzeugs durch das Gelände, Beyer bremste sacht bis zum Stillstand, Franke feuerte die 2-cm Kanone ab, lud nach, feuerte wieder, exakt 10 Schuss.
Sie hatten Befehl, nach dem Schießen mit der Kanone an das Ziel heranzufahren, das Fahrzeug abzustellen und auszubooten. Die Bewegungsvorrichtung hatte das Ziel wieder herangezogen, ein Offizier betrachtete es interessiert und rief ihnen „Herankommen“ zu. Beyer war gespannt, Franke stand nervös neben ihm. Mit einem kleinen Zeigestock deutete der Offizier auf die Einschüsse, bei 8 hörte er auf zu zählen. Die Projektile hatten die Scheibe in einem Umkreis von gut 30 Zentimetern getroffen, das Trefferbild war gut. Der Leutnant übernahm das Bild auf ein Blatt Papier, verzeichnete noch die Zeit, die sie für die Übungsstrecke benötigt hatten, setzte seine Unterschrift darauf und gab es Franke. Er winkte einen Soldaten heran, der die Einschüsse mit Pappstücken überklebte.
Franke und Beyer stiegen ein, „du hast gut geschossen“ sagte Beyer, ein knappes „danke“ kam zurück und Beyer steuerte den Panzer zur Halle. Abends würden sie erfahren, wie sie abgeschnitten hatten, jetzt hieß es das Fahrzeug zu reinigen. Zuerst zogen sie den Wischer durch die Bordbewaffnung, dann spritzten sie den Schlamm vom Fahrzeug, in den Laufrollen klebte er hartnäckig. Nach dem Abendbrot war Kompanieappell, der Leutnant gab die Ergebnisse bekannt.
„Schnellster Panzer, Unteroffizier Franke, Gefreiter Beyer. Bestes Trefferergebnis, Unteroffizier Franke. Ich genehmige Ihnen morgen Abend Sonderausgang. Und an die anderen: strengt euch gefälligst mehr an. Wegtreten.“
Die Männer verteilten sich auf die Stuben, Franke und Weber freuten sich, gleichzeitig würden sie ab nun unter besonderen Druck stehen und Neid nicht ausbleiben.
Marineschule, Sommer 1939
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