Früh war sie vor ihm aufgestanden, sie wollten nicht zur gleichen Zeit im Büro ankommen und ohnehin würde er dafür sorgen dass sie woanders eine Anstellung bekam, seine Kameraden des Korps würden da helfen. Nach zwei Monaten zog sie bei ihm ein, plötzlich war vieles anders und mit Verwunderung nahm er zur Kenntnis, dass das Grobschlächtige nach und nach von ihm abfiel und er weicher wurde. Die erste Zeit war rauschhaft, manchen Sonntag kamen sie gar nicht aus dem Bett heraus und er fühlte sich einerseits geborgen, auf der anderen Seite wollte er seine Frau beschützen. Nach einem dreiviertel Jahr heiraten sie, ein Kind war unterwegs.
Die Stadt, in der er lebte, zählte gerade einmal knapp 8.000 Einwohner, deswegen war der Box Klub auch der einzige in dem Ort.
Das harte und ausdauernde Training zahlte sich langsam aus. Fred Beyer hatte im letzten halben Jahr zwar nicht an Körpergröße, aber sehr wohl an Muskelmasse zugelegt. Sein Trainer beobachtete den jungen Mann aufmerksam und attestierte ihm Talent. Ein halbes Jahr, nachdem er mit dem Training begonnen hatte, fand sein erster Kampf statt. Aufregung verspürte er nicht, er war sich seiner Mittel ziemlich sicher und selbst wenn er verlieren sollte würde es eine erste Erfahrung gewesen sein. Die kleine Halle war ordentlich gefüllt, es waren ungefähr 100 Zuschauer gekommen. Sein Gegner im Weltergewicht war einen Kopf größer als er und hatte deutlich längere Arme. So gesehen musste er sich eine Taktik zurecht legen, die ihn nicht ständig in die Reichweite der Fäuste des anderen brachte. Da er schnell merkte, dass er beweglicher als der andere war, umtänzelte er seinen Gegner und konnte so einige Treffer anbringen. Selbst musste er aber auch Einiges einstecken und ein gut platzierter Schlag auf sein linkes Auge ließ dieses schnell zu schwellen. Fred Beyer änderte seine Taktik aber nicht, nur wenn er sich den Angriffen des anderen geschickt entzog könnte er selbst dessen Deckung durchbrechen und Treffer anbringen. Seine Rechnung schien aufzugehen, denn der andere Mann hatte offensichtlich Konditionsprobleme und seine Meidbewegungen wurden schwerfälliger. Als Beyer einen Leberhaken landete geriet der andere Mann ins Taumeln und der dann folgende Kinnhaken schleuderte ihn in die Seile des Rings. Noch war aber nichts entschieden, denn Beyers Gegner fing sich schnell wieder und griff ihn jetzt ungestüm an. Eine feine Klinge schlug er nicht, aber seine Angriffe hatten Wucht. Nach der dritten Runde merkte Fred Beyer, dass sein Widersacher seinen schnellen Ausweichmanövern nicht mehr folgen konnte und er ermüdete ihn mit Treffern auf verschiedene Körperregionen. Ein Wirkung zeigender Schlag gelang ihm aber nicht und es sah so aus, als würde der Kampf bis zur letzten Runde erforderlich sein. Immer wieder die Position wechselnd brachte er jetzt regelmäßig Treffer an und es schien, als wäre er nach Punkten klar vorn. Dass schien auch der Trainer seines Gegners so zu sehen, denn sein Schützling stürmte nach der nächsten Pause auf Beyer zu, er suchte eine vorzeitige Entscheidung. Da er seine Deckung jetzt vernachlässigte prasselten Beyers Schläge fortlaufend auf ihn ein und in einem unkonzentrierten Moment öffnete der Gegner den Schutz vor seinem Körper. Auf diesen Augenblick hatte Beyer gewartet und setzte zu einem Kinnhaken an, den er perfekt anbrachte. Der andere blieb noch einen Moment auf den Beinen, ging dann aber zu Boden. Der Ringrichter zählte ihn an, aber der Mann kam nicht wieder hoch. Fred Beyer hatte seinen ersten Kampf gewonnen.
In den folgenden Wochen und Monaten konnte er seine Siegesserie fortsetzen, einige Niederlagen waren zwar auch dabei aber die überwiegende Anzahl der Kämpfe entschied er für sich. Beyers Trainer sah welches Potential in dem jungen Mann steckte und er intensivierte die Arbeit mit ihm. Es ging dabei nicht nur um das rein körperliche Training, sondern er brachte seinem Schützling auch immer mehr taktisches Verhalten bei. Während Fred Beyer anfangs mehr aus dem Bauch heraus entschieden hatte wie er seinen Gegner bezwingen wollte waren seine Angriffs- und Verteidigungshandlungen nun besser durchdacht. Mit der Zeit erkannte er auch, wann er sich offensiv oder defensiv verhalten musste, und wartete geduldig auf eine Lücke in der Deckung des Gegners. Wenn sich diese dann auftat konzentrierte er sich vollständig auf den Schlag und sein mit Kraft geführter Angriff zeigte dann meist schnell Wirkung. Beachtlich war, dass Fred Beyer gut ein Drittel seiner Kämpfe durch KO beendete, die anderen gewann er nach Punkten. Beyer war so erfolgreich, dass er in seiner Alters- und Gewichtsklasse bis ins Finale der Gaumeisterschaften kam. Auf diesen Kampf fokussierte er sich wie noch nie vorher auf eine Sache und konnte den Kampf knapp nach Punkten gewinnen.
In seiner Schulklasse gab es schon lange keine dummen Sprüche mehr über seine geringe Körpergröße.
Martin Haberkorn, Frühsommer 1939
Wenn er Zeit hatte ging er an den Fluss herunter, bestieg sein Kanu und paddelte zunächst flussabwärts um sich zu erwärmen und dann wieder flussaufwärts. Anfangs war er nicht über mehr als zwei Kilometer hinausgekommen, nach und nach steigerte er aber die Strecke und binnen Jahresfrist schaffte er fünf Kilometer, ohne sich verausgaben zu müssen. Seine Muskeln legten spürbar zu und zeichneten sich unter den knappen Hemden die er gern trug deutlich ab. Mit fast einem Meter neunzig überragte er alle in der Klasse, sein mächtiger Körper verschaffte ihm bloßen körperlichen Respekt, aber auch seine intellektuellen Fähigkeiten waren beachtlich. Seine Stärke lag darin, theoretische Erkenntnisse praktisch zu verstehen, wenn andere darüber grübelten was sie mit Druckverhältnissen anfangen sollten konnte er klar erkennen, dass dies zum Beispiel in einem U-Boot überlebenswichtig wäre. Ohnehin hatte er einen Hang zur See und er träumte davon, an der Seefahrthochschule zu studieren, um eines Tages ein Schiff als Kapitän zu führen. Zur Musterung äußerte er den Wunsch, zur Marine kommandiert zu werden, man ließ ihn im Unklaren und als die Einberufung zur Marineschule kam war er glücklich. Er sprach mit seinen Freunden Weber und Beyer und sie vereinbarten am Sonnabend auf der Insel ein Feuer anzuzünden und etwas zu trinken. Ihre Eltern sahen das nicht ungern, die drei waren gute Freunde, ihre Noten in Ordnung, und sie zählten nicht zu den Jungs, die fortlaufend Scheiben mit Bällen einschossen oder ähnlichen Unfug trieben.
Sie trafen sich am späten Nachmittag am Flussufer, Beyer hatte eine Flasche Schnaps im Gepäck, sein Geheimnis woher. Weber brachte Brot und Wurst mit und Haberkorn selbst hatte von seinem Vater drei Flaschen Bier bekommen. Die Furt war nicht tief, sie zogen ihre Sachen aus und transportieren die Sachen über den Kopf haltend auf die Insel, hier hatten sie schon oft abends gesessen. Holz war schnell gesammelt, bald brannte das Feuer mit einer kräftigen Flamme und sie ließen sich im Kreis nieder. Jeder trank aus seiner Bierflasche und wortlos sahen sie in die knackenden Holzscheite, Beyer ließ den Schnaps kreisen.
„Ich habe heute meine Einberufung erhalten, es geht an die Marineschule, ich freue mich riesig“ fing er an.
„Die werden dir die Freude dort schon austreiben, da bin ich mir ganz sicher“ erwiderte Weber, „glaubst du, du kannst sofort als schicker Matrose auf dem Deck eines Schlachtschiffes stehen oder von Turm eines U-Bootes den Mädchen an Land zuwinken?“
„Natürlich weiß ich das“ sagte er etwas verärgert, „die Grundausbildung werde ich schon überstehen, schließlich bin ich gut in Form, danach wird es weitergehen.“
Fred Beyer blickte ihn nachdenklich an.
„Martin, meine großen Brüder waren schon bei der Wehrmacht, wenn die erzählen wird mir bange, Drill und Schikanen ohne Ende.“
Читать дальше