Genau wie Haberkorn und Beyer war er in der Hitlerjugend gewesen und er hatte dieser Mischung aus Abenteuer und schießen, zu fahren und im Feld zu leben viel abgewinnen können. Alles erschien ihm wie ein großes Spiel und das Leben in der Gemeinschaft der heranwachsenden Männer gefiel ihm gut. Kameradschaft war für Günther Weber kein leerer Begriff und besonders deswegen hatte er sich zur SS verpflichtet, dort sollte der Zusammenhalt und das gegenseitige aufeinander verlassen können besonders stark sein. Dass Martin Haberkorn seinen Wunsch in der Marine zu dienen erfüllen konnte freute ihn aufrichtig. Fred Beyer würde zur Wehrmacht eingezogen werden, wie es dort mit ihm weiterging würde sich zeigen.
Als Haberkorn und Weber nach einer Weile aus dem Zelt gekrochen kamen kochten sie sich mithilfe eines kleinen Spirituskochers Kaffee und aßen ein paar Schnitten mit Wurst. Sie bauten die Zelte danach zügig ab, verstauten ihr Gepäck in den Kanus und paddelten weiter flussabwärts. Es war nicht anstrengend, der Fluss unterstützte sie gut. Auf gut Glück gingen sie am späten Nachmittag wieder an Land, schlugen ihr Lager auf und sammelten für ein Feuer ein bisschen Holz.
„Ich liebe es, wenn ein Feuer brennt“ meinte Beyer „es ist irgendwie romantisch. Bier haben wir auch noch, uns geht es doch hervorragend. Wir sollten die kommenden Tage noch bewusst genießen, bald wird sich vieles ändern.“
„Das klingt so, als hättest du Angst vor dem Dienst“ witzelte Haberkorn.
„Ein Boxer kann sich Angst nicht leisten. Nein, habe ich wirklich nicht. Aber wir werden uns sehr umstellen müssen. Drill und Disziplin werden bald unser Leben bestimmen. Kein Widerspruch, Befehle sind auszuführen.“
„Aber das ist doch richtig so“ warf Weber ein „ohne Disziplin kann doch eine Armee nicht funktionieren. Stell‘ dir vor, man würde ewig rumdiskutieren ob ein Befehl vernünftig ist. Das geht doch nicht. Ein Soldat hat zu gehorchen, andere treffen die Entscheidungen. Ich jedenfalls werde niemals einen Befehl in Frage stellen.“
„Und wenn er dir falsch oder sinnlos erscheint“ fragte Haberkorn.
„Auch dann werde ich ihn ausführen.“
„Na ja, dann bist du aber nur einer der ausführt, was andere für richtig halten“ meinte Beyer.
„Aber das wird für uns alle gelten“ erwiderte Weber „wenn du es anders willst musst du eben Offizier werden. Und im Krieg dürfte es dafür auch für uns durchaus Chancen geben.“
„Du sprichst so, als würde es morgen gleich losgehen“ sagte Beyer „aber es ist doch alles friedlich und der Führer will gar keinen Krieg.“
„Sei nicht so blauäugig“ antwortete Weber „es dauert nicht mehr lange. Die Polen werden immer frecher, da muss bald mal ein Machtwort gesprochen werden. Oder eben gehandelt.“
„Aber Frankreich“ meldete sich Haberkorn „denke an den ersten Krieg. Der ging verloren und dauerte Jahre. Das kann keiner noch einmal wollen.“
„Zerbrich dir nicht den Kopf des Führers“ feixte Weber „der wird schon wissen was richtig ist. Bisher ist alles klar gegangen. Und so wird es auch weitergehen.“
Die drei jungen Männer sahen nachdenklich auf das Feuer und tranken Bier.
Sie fuhren noch drei weitere Tage elbabwärts, dann buckelten sie ihre Kanus und das Gepäck zu einem Bahnhof und fuhren wieder nach Hause.
Sie hatten noch ein paar Tage für sich, dann würde es losgehen.
Fred Beyer, Panzerlehrschule, Sommer 1939
Sadist, Sadist hämmerte es in seinem Schädel. Oberfeldwebel Freitag hatte seinen Spind nach dem Stubendurchgang kurzerhand angekippt, alles was in ihm gewesen war verteilte sich auf dem Boden. Der Unteroffizier trat noch scheinbar unabsichtlich auf Wäschestücke, die Beyer am nächsten Tag tragen musste. Schweigend räumte er den Schrank wieder ein, griff sich die Uniformjacke, die deutlich sichtbar einen Stiefelabdruck aufwies und ging in den Waschraum. Dort nahm er sich eine Handbürste und versuchte den Abdruck mit Waschpaste zu entfernen, nach fünf Minuten hatte er es geschafft, das Kleidungsstück war allerdings an dieser Stelle klatschnass, unmöglich, dass es bis zum Morgen trocknen würde, dazu war die Stube zu kalt. Er hängte die Jacke auf einen Bügel und kroch unter die Bettdecke.
„Mach‘ dir nichts draus“ sprach ihn sein Bettnachbar leise an.
Kowalski war Schlesier, ein kräftiger und robuster Bauernjunge, dessen Gesicht Akne Narben aufwies und den scheinbar nichts aus der Ruhe brachte. Wenn Freitag ihn schikanierte blieb sein Gesichtsausdruck unbeweglich, ohne Gefühlsregung baute er sein Bett neu oder brachte den Spind wieder auf Vordermann, körperliche Strapazen steckte er weg.
„Der Mann ist einfach krank, irgendwie muss er sich wahrscheinlich abreagieren“ fuhr er fort.
Beyer nickte zustimmend, er wusste jedoch, dass Freitag der Prototyp eines Ausbilders der Wehrmacht war und keineswegs eine Ausnahme, das Ganze hatte System und auch die anderen Vorgesetzten unterschieden sich in ihrer Art nur wenig von dem Unteroffizier. Soldaten sollten im Kampf funktionieren und keine Befehle in Frage stellen, der Drill bereitete sie darauf vor. Im Grunde war Beyer nicht überrascht, nach seinem Verständnis konnte eine Armee nur so funktionieren, dass es bedingungslosen Gehorsam und Disziplin gab. Er musste sich Freitag unterordnen, Freitag führte Befehle des Kompanieführers aus und dieser unterstand dem Regimentskommandeur. Eigentlich eine klare und logische Sache sagte er sich, irgendwann würde er die Grundausbildung überstanden haben und dann sollte es besser werden. Mit diesem Gedanken schlief er ein.
Der nächste Morgen war trotz der Sommerzeit kalt und die Soldaten der Kompanie stießen Atemwolken aus als sie auf dem Appellplatz in kurzer Sportkleidung angetreten waren, das Thermometer zeigte acht Grad. Freitag stand vor der Kompanie, er trug Uniform, die Kälte konnte ihm nur wenig anhaben. Der Kompaniechef, Leutnant Schulze, ließ sie 20 Minuten warten, die jungen Männer begannen zu zittern. Freitag warf scharfe Blicke, ob sich jemand bewegte. Als Schulze erschien trat Freitag rechts neben die Kompanie und meldete: „Kompanie mit drei Zügen angetreten, ein Mann in der Krankenbaracke, ein Mann im Arrest.“
„Guten Morgen, Soldaten“ brüllte Schulze, die Männer antworteten mit „Guten Morgen, Herr Leutnant.“
„Herhören“ fuhr Schulze fort, „Zug 1 geht zur Geländeausbildung, Zug 2 zum Schießstand und Zug 3 absolviert die erste Fahrstunde. Wegtreten zum Frühsport.“
Die Ordnung löste sich auf und die Männer bildeten eine lockere Reihe von Läufern die sich auf der Aschenbahn mit unterschiedlichem Tempo bewegten. Freitag stand in der Mitte des Ovals und brüllte ab und zu „schneller“, „nicht so lahm, ihr kastrierten Kater“, „da ist ja meine Großmutter schneller“ und ähnliches. Beyer lief in der Spitzengruppe, das Boxtraining zahlte sich aus, sein Atem ging regelmäßig und das Herz schlug schnell, aber regelmäßig und nicht angestrengt. Ohne sich besonders ins Zeug zu legen übernahm er die Spitze und erreichte als erster nach fünf Runden das Ziel, auspendelnd lief er noch ein Stück weiter und ging zu seinem Platz in der Antrete Formation. Nach und nach kamen die anderen dazu, nur der dicke Kammer keuchte noch über die Bahn, er kam als letzter in die Formation.
Beyers Zug rannte die Treppen zu den Stuben empor, in Eile zogen sie ihre Uniformen an und postierten sich sofort wieder auf dem Gang. Ihr Zugführer, Feldwebel Kurz, Mitte Zwanzig, musterte sie mit herablassender Miene und befahl ihnen: „Im Laufschritt zu den Fahrzeughallen.“ Die Reihe stürzte die Treppen herunter und trat nach einem 200 Metern Lauf Atem holend vor den Hallen an. Kurz folgte ihnen im gemächlichen Spazierschritt, er schien keine Eile zu haben. Vor den Hallen standen drei turmlose Panzer I, sie sahen wie eigenartig konstruierte Trecker aus, der Fahrersitz war sichtbar, dahinter befand sich erhöht ein zweiter für den Ausbilder, diese standen bereits neben den Fahrzeugen. Die Männer kannten die Panzer aus dem theoretischen Unterricht in- und auswendig, Beyer hatte keine Erinnerung wie oft sie Aufbau und Bedienung des Fahrzeuges gepaukt hatten, er hätte im Schlaf aufsagen können, wie der Motor funktionierte und wie er welche Störung beheben würde. Im kam zugute, dass er in der Schule gut aufgepasst und ein technisches Verständnis hatte, das andere nicht mitbrachten. Das Zusammenspiel der Teile des Fahrzeugs war ihm klar, die Konstruktion des Panzers beeindruckte ihn schon, obwohl er gerade Platz für zwei Mann bot und nur mit zwei Maschinengewehren ausgerüstet war, die Panzerung würde gerade einmal schweren Schützenwaffen standhalten können.
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