„Gunder, fahr ein Stück nach vorn und stelle den Panzer mal besser bei der Buschgruppe ab, dort stehen wir günstiger und Müller hat besseres Blickfeld.“
Der Panzer ruckte an und bewegte sich rasselnd gut zehn Meter vorwärts. Beyer ragte aus dem Turmluk, noch gab es keinen Grund sich hinter die schützende Stahlhülle zu verziehen. In der neuen Stellung war der Blick aus den Winkelspiegeln der Kommandantenkuppel auch besser, davon überzeugte er sich bei einem schnellen Hinabtauchen in den Panzer.
„Motor aus“ rief er Gunder zu und „alle aussteigen“ war der nächste Befehl. Die Männer schälten sich aus den Luken und traten im Halbkreis um Beyer herum, in ihren schwarzen Panzerkombis waren sie nicht zu unterscheiden und nur dass sie Beyer ansahen zeigte an, dass er der Vorgesetzte war.
„Also Männer, ihr wisst, dass der Russe den Sack dicht gemacht hat. Busse hat die Kapitulation abgelehnt, wahrscheinlich steckt wieder das OKW dahinter. Egal, neben uns stehen noch Peters, Weihnert, Kattwitz und Schulze mit ihren Panthern, ein paar Panzer III der SS-Panzeraufklärungsabteilung 10 und sonst nicht viel. Ich vermute mal, dass der Russe auf den östlichen Teil des Kessels drücken wird, dort stehen die meisten unserer Kräfte, Busse muss bald einen Ausbruch Richtung Amis wagen, die sind knapp 180 Kilometer weit weg. Also haben wir wahrscheinlich ganz gute Karten. Die armen Schweine im Osten werden das meiste abbekommen und wenn dieser Teil zusammenbricht gibt es nur noch eine Richtung, nämlich in unsere. Dass wir dann Spitze fahren ist mir egal, Hauptsache raus aus dem Sack. Wir haben noch einen vollen Kampfsatz auf dem LKW. Peukert, staue noch so viele Granaten wie du kannst. Scheiß drauf, ob wir mit 70 oder 90 Granaten in die Luft fliegen ist doch einerlei. Der Sprit reicht für die Strecke nicht, irgendwo werden wir aber hoffentlich noch welchen auftreiben können. Ich denke, dass wir heute noch Ruhe haben werden, die Infanterie vor uns müsste ja mitbekommen wenn die Russen vorfühlen. Trinken wir noch einen Schluck, morgen wird’s ernst.“
Gunder tauchte in den Panzer und erschien mit einer Flasche Schnaps wieder, die Männer tranken reihum kräftige Schlucke. An die Scheibenräder des Fahrwerks gelehnt rauchten sie ruhig ihre Zigaretten.
Fred Beyer ließ seine Gedanken zurückschweifen. Hier in der Nähe war er zum Panzermann ausgebildet worden, die ersten Gefechte erlebte er Polen, dann in Frankreich, später in Russland und jetzt war der Krieg nach Deutschland zurückgekommen. Es war nur noch eine Frage von Wochen, dann würde alles zusammenbrechen. Bislang waren der Panzer und seine Männer der Kosmos gewesen in dem er lebte, ohne diese Stütze würde er die Orientierung verlieren. Was hatte er in seinem Leben vorzuweisen? Eine gute Bildung, sportliche Erfolge als Boxer, kurze Liebschaften und 6 Jahre Dienst in der Wehrmacht. Nüchtern betrachtet war er nichts weiter als ein moderner Landsknecht der sein Handwerk immer mehr perfektioniert hatte, Töten als Aufgabe. Dass er viele seiner Opfer gar nicht zu Gesicht bekommen hatte machte es nicht leichter. Wenn ein getroffener Panzer in zwei Kilometern Entfernung in die Luft flog war das ein Moment den er in der Anspannung des Kampfes nicht als bedrückend empfand, erst wenn das Gefecht vorbei war zählte er unbewusst, wie viele Gegner er an diesem Tag besiegt hatte.
Bis zu diesem Tag hatte er mit seinen Besatzungen nachweislich 82 Panzer abgeschossen, dazu kamen eine Unmenge an Geschützen und PAK, auch die Sprenggranaten und die MG des Panzers rissen Hunderte von Infanteristen in den Tod. Lohn dafür war das Ritterkreuz, das jetzt an seinem Hals baumelte. Bereits vor gut 2 Jahren war es ihm verliehen worden, damals war er gerade 23 Jahre alt gewesen. Er musste den Panzerkampf nicht im herkömmlichen Sinne lernen, natürlich gab ihm die theoretische Ausbildung erst eine Vorstellung davon, aber er entwickelte schnell die Fähigkeit, die Situation auf dem Gefechtsfeld zu überschauen. Kein einziges Mal war er in den Rausch eines zu erwartenden leichten Sieges verfallen, vorsichtig sondierte er die Kräfteverhältnisse und mit einem untrüglichen Gefühl nahm er Gefahren eher wahr als andere. Wenn die anderen Panzer rücksichtslos vorpreschten, was sie als Zeichen von Mut ansahen, zog er sich im Zweifelsfall eher in eine Deckung zurück, aus der er den Gegner umso wirkungsvoller bekämpfen konnte. Schon allein die spätere Knappheit an Fahrzeugen zwang die Deutschen bald in die Defensive, er hatte diese Taktik vorweggenommen und auch mit Glück waren an seinem jetzigen Panzer nur unbedeutende Schäden aufgetreten.
Als er das erste Mal selbst abgeschossen wurde saß er in einem Panzer II, der ihm heute wie eine Sardinenbüchse vorkam. Er glaubte, den Schock dieses Ereignisses schnell überwunden zu haben, in Wahrheit resultierte daraus aber seine überlegte Kampfweise. Das zweite Mal durchschlug eine Panzergranate sein Fahrzeug in Frankreich, unverletzt konnten alle ausbooten, jedoch wurden zwei seiner Männer von der Maschinengewehrgarbe eines gegnerischen Panzers regelrecht zersägt.
Die schrecklichen Bilder in seinem Kopf verblassten nach und nach und wurden von anderen überlagert, die auch nicht positiver waren. Sie bildeten aber seinen Alltag und irgendwann konnte er keine Gefühle mehr entwickeln, wenn er grausam zugerichtete Tote oder zerstörte Städte und Dörfer sah. Zu Beginn des Krieges wäre es für ihn undenkbar gewesen Menschen in einem Schützenloch lebendig zu begraben, indem der Panzer sich über diesem durch Abbremsen einer Gleiskette drehte, später war es oft das einzige Mittel, um Panzer Nahbekämpfer auszuschalten. Wenn der Richtschütze und der Funker ihre MG abfeuerten und ganze Trauben von Männern tot oder verstümmelt zu Boden fielen beobachtete er dies aufmerksam durch die Winkelspiegel der Kommandantenkuppel wie ein distanzierter Theaterbesucher auf der Empore. Nach dem Gefecht saßen die Männer oft wortkarg zusammen, der Schnaps gehörte immer mehr zu ihrem Tagesablauf und an manchen Tagen waren sie schon mittags angetrunken.
Das Ritterkreuz wirkte auf Frauen, er nahm sie sich wo sich Gelegenheiten ergaben, da war nur noch animalischer Trieb in ihm, und wenn er mit ihnen schlief war es schnell vorüber, ein schaler Geschmack blieb zurück.
In normalen Zeiten wäre er ein Fall für den Psychiater gewesen.
Halbe, 25. April 1945, östlicher Teil des Kessels
Martin Haberkorn hielt die Situation für surrealistisch: er hockte mit Soldaten verschiedenster Truppenteile in einem eilig ausgehobenen Schützengraben, eine Einheitlichkeit der Uniformen oder der Bewaffnung gab es nicht, sie unterstanden einem kurzbeinigen Hauptmann mit einer russischen Maschinenpistole der sichtbar mit Schlafmangel zu kämpfen hatte. Noch vor drei Tagen war er in Eckernförde gewesen, dann wurden er und seine Kameraden in schon altersschwache, langsame und nur mit einer schwachen Abwehrbewaffnung versehene Ju 52 verladen, sie sollten nach dem Willen des Großadmirals Dönitz mit zur Verteidigung von Berlin beitragen. Großsprecherisch von der Propaganda als kampfstarke Marineinfanterie bezeichnet wusste Haberkorn es besser: die meisten von ihnen kamen von der U-Boot Waffe, ihre Boote lagen von Wasserbomben zerschmettert, von Fliegerbomben getroffen oder selbstversenkt auf dem Grund und die ehemaligen Seeleute waren weiß Gott keine erfahrenen Landkämpfer. Über Berlin war ihre Maschine von russischen Jägern abgedrängt worden und suchte ihr Heil in der Flucht Richtung Süden, die Russen fanden lohnendere Ziele und drehten ab. Mit unwahrscheinlichem Glück gelang es dem Piloten den alten Vogel in der Luft zu halten obwohl der Steuerbordmotor brannte. Er setzte die Maschine auf der Autobahn Richtung Dresden ab, die Fahrbahn war breit genug und die Männer verließen eilig das Flugzeug und verschwanden in den Nadelwäldern die nah der Straße begannen, nach kurzer Zeit stießen sie auf deutsche Soldaten.
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