niemand etwas von ihr.
Sie liebte es, sich aus dem Haus zu stehlen, wenn es noch ganz
ruhig war. Durch die gepflasterten Straßen zu wandern, wenn die
Stadt noch schlief. Alles war so ruhig und friedlich.
Ihr lag nichts daran, ewig in den Laken zu liegen, ganz im
Gegensatz zu ihrer jüngeren Schwester, für die es einen wahren
Luxus darstellte bis weit nach Sonnenaufgang im Bett bleiben zu
können. Cathrina teilte diese Leidenschaft nicht.
Für gewöhnlich war sie auch schon draußen auf Patrouille. Heute
jedoch war ihr freier Tag und so hatte sie jede Menge Zeit.
Zumindest bis Mharen sie in die Finger bekam.
Schnell verdrängte sie diesen Gedanken.
Dieser Augenblick gehörte ganz ihr und sie wollte ihn nicht damit
vergeuden an Küchenarbeiten zu denken. Nirgendwo fühlte sie sich
deplatzierter als in der Küche. Solche Nichtigkeiten überließ sie
lieber Leelu. Sie war schon immer die häuslichere von ihnen
gewesen.
Sie seufzte bei diesem Gedanken.
Leelu war in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von ihr und auch, wenn
sie Cathrina oft mit ihren wohlgemeinten Weisheiten auf die
Nerven ging, fehlte sie ihr doch ein wenig, obwohl ihr Haus nicht
einmal zehn Gehminuten von ihrem Heim entfernt war. Leelu hatte
oft diese stille, erhabene Aura ausgestrahlt, die Cathrina oft
beruhigte.
Gerade, wenn sie so aufgewühlt war, wie sie sich jetzt gerade
fühlte.
Sie stand auf, denn sie wusste, dass sie hier keine Ruhe mehr
finden würde. Der Moment war verflogen. Für gewöhnlich blieb sie
viel länger an diesem Ort, doch nicht heute. Sie konnte sich die
Nervosität, die mit jeder verstrichenen Minute immer mehr in ihr
anschwoll nicht erklären. Also machte sie sich an den Abstieg, um
ihre Schwester zu suchen.
Sie nickte im Vorbeigehen dem einen oder anderen freundlich zu,
auch den wenigen Soldaten, die ihre Runden machten und das Pech
hatten heute Dienst zu haben.
Sie folgte der steinigen Straße und kam zur Schmiede. Gerbodo
hatte die Türen weit offenstehen. Im Augenblick mochte es noch
nicht sehr warm sein, aber Cathrina wusste aus Erfahrung, dass sich
dies in der kleinen, muffigen Schmiede schon bald ändern würde
und die Temperaturen
einem Hochofen gleich kommen würden. Da war jeder noch so
kleine Luftzug willkommen.
„Hey, kleine Miss! Was macht Ihr denn schon hier?!“, Gerbodo
brachte sein Pfeifchen in eine bessere Position zwischen seinen
Lippen und schielte Cathrina aus Augen, die er zum Schutz vor dem
Qualm zusammengekniffen hatte, an. Viele der Bewohner aus
Ascardia mochten es als unverschämt empfinden, dass ein Mann
von geringerem Stand, wie Gerbodo einer war, sie persönlich
ansprach. Doch Gerbodo kannte Cathrina von klein auf und war ihr
über all die Jahre ein guter Freund geworden. Eine andere Anrede
würde sie mehr als unpassend empfinden.
„Ist das nicht ein bisschen früh für Euch?“, er kam einen Schritt
auf sie zu und stand nun in der Tür.
Sie nickte verhalten: „Euch entgeht aber auch nichts Meister
Bodo.“
Er lächelte bei dem alten Namen, den sie ihn in jüngeren Jahren
immer genannt hatte: „Nicht oft, meine Liebe. Nicht oft. Also, mein
Kind. Wollt Ihr mir erzählen, was Euch bedrückt?“
„Wie kommt Ihr denn darauf, dass mich etwas bedrückt?“.
Cathrina strich sich eine braune Strähne aus dem Gesicht, die sich
widerwillig aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte.
„Liebes Kind, Ihr macht Euch über mich lustig!“
Sie unterdrückte ein Seufzen und ging näher auf ihn zu.
„Nun gut ich erzähle es Euch. Aber nur, wenn Ihr aufhört, mich
„Liebes Kind“ zu nennen.“ Er paffte gemütlich seine Pfeife, grinste
sie zahnlos an, versprach jedoch nichts.
„Ich bin nicht sicher, woran es liegt, aber aus irgendeinem Grund
fühle ich mich so unruhig. Ohne, dass ich es mir erklären könnte.“
„Die Ratsmitgliederversammlung?“
„Vielleicht. Aber wieso sollte mich das nervös machen?“
„Das ist eine gute Frage, mein Kind.“
Cathrina sah ihn böse an: „Bodo …!“, meinte sie tadelnd, doch er
ignorierte sie.
„Gibt es denn etwas, vor dem Ihr euch fürchtet?“
„Ich fürchte mich nicht!“
„Verzeiht! Verzeiht! Nein, natürlich nicht! Ich meinte damit, gibt es
etwas, dass Euch Sorge bereitet?“ Gerbodo tat sich schwer damit,
nicht in brüllendes Gelächter auszubrechen. Cathrina war etwas
eigen, wenn man ihr Schwäche unterstellte. Dabei war sie die
furchtloseste Frau, die ihm je begegnet war.
„Das ist es ja gerade. Ich habe eigentlich keinen Grund, mir Sorgen
zu machen. Es ist mehr ein ungutes Gefühl … Ach, ich weiß es auch
nicht, Gerbodo. Vergesst einfach, dass ich Euch damit belästigt
habe. Ihr habt sicher Wichtigeres zu tun, als Euch mein sinnloses
Gerede anzuhören. Bitte verzeiht.“
Noch bevor Gerbodo irgendwas darauf erwidern konnte, war sie
auch schon verschwunden. Verdutzt zog er sich die Pfeife aus dem
Mund und starrte ihr hinterher.
Dieses Mädchen, dachte er, solange er sie kannte, war sie für ihn
ein ewiges Rätsel. Er schüttelte den Kopf und war sich sicher, dass
sie ihm in ein, zwei Tagen erzählen würde, was sie wirklich
beschäftigt hatte.
So war das immer bei ihr. Sie erzählte selten, was ihr auf der Seele
brannte, bis sie lang genug darüber gebrütet hatte oder sich ihr
Problem in Luft auflöst.
Cathrina DuPuis benötigte nur selten Hilfe bei ihren Problemen.
Gerbodo schüttelte erneut den Kopf, betrat die Schmiede und
brüllte nach seinem jungen Gesellen.
Cailan Alisterus war ein einfacher Mann. Schon weit vor
Sonnenaufgang war er auf die Jagd gegangen, um seine Fallen zu
überprüfen und hatte feststellen müssen, dass ihm das Glück an
diesem Morgen mehr als wohlgesonnen war. Und so kam er mit
großen Schritten über die Weide, in beiden Händen je drei Hasen,
die er später auf dem Markt verkaufen wollte. Natürlich war er
noch nicht fertig mit seiner Jagd, doch er wollte die Fallen leeren,
bevor sich irgendwelche
Wildtiere über seine hart erkämpfte Beute hermachten.
Als er nun Cathrina sah, die ihm zielstrebig entgegen kam, geriet
sein entschlossener Gang kurz ins Stocken.
Es war ein seltenes Bild und Cailan stellte sich kurz die Frage, ob es
womöglich seiner Gemahlin nicht gut ginge. Doch Leelu hatte an
diesem Morgen nichts dergleichen verlauten lassen. Der
allmorgendliche Ablauf war durch nichts gestört worden.
„Guten Morgen, Cailan.“
„Cathrina, alles in Ordnung?“
Cathrina, der erst jetzt bewusst wurde, wie verwirrend ihr
Erscheinen auf Cailan gewirkt haben musste, beruhigte ihn sofort:
„Ja es ist alles in Ordnung. Ich war nur auf der Suche nach Leelu.“
Cailan betrachtete Cathrina aus seinen sanften, grünen Augen
interessiert an.
„Sie ist kurz auf den Markt gegangen, um einige Zutaten zu
besorgen, aber sie müsste jeden Moment wieder nach Hause
kommen. Ist etwas vorgefallen?“
Cathrina bereute ihre Entscheidung hierher gekommen zu sein. Es
war gar nicht ihre Art die Menschen in ihrer unmittelbaren
Umgebung derart durcheinander zu bringen. Und sie war ganz
sicher noch niemals zuvor zwei Mal am gleichen Tag gefragt
worden, ob denn alles in Ordnung sei. Cailan kannte seine
Schwägerin nur allzu gut. Er konnte regelrecht spüren, wie Cathrina
sich innerlich in ihr Schneckenhaus zurückzog. Also ging er
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