1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Alwin konnte nicht folgen. „Du meinst, sie wird eifersüchtig werden?“
„Das sowieso. Wenn eine unattraktive und unbeachtete Person eine große Eroberung gemacht hat, wird sie die mit allen Mitteln verteidigen und Jede und Jeden, der ihrer Beute zu nahe kommt, wegbeißen.“
„Du dramatisiert. Die Rita ist zwar nicht schön und nicht besonders helle, aber sie ist nett und harmlos.“
„Jeder Mensch will beachtet werden, will Anerkennung und Zuwendung. Die meisten wollen sich irgendwie hervortun und über andere erheben, weil sie es nicht ertragen können, dass sie bei der Verwesung genauso stinken wie alle. Und je geringer die Fähigkeiten, desto größer das Verlangen, es den Besseren zu zeigen. Da wird jede Gelegenheit genutzt, um andere herabzusetzen.“
Alwin zog seine Nase kraus. „Für normale Menschen scheinst du nichts übrig zu haben?“
„Ich orientiere mich an Leuten von denen man weiß, dass sie eine Menge Grips besitzen. Früher hießen die Humboldt, Goethe, Einstein und so. Das waren Leute mit einem weiten Verstand. Es ist unglaublich, was die alles bedacht hatten, was sie alles wussten, was sie alles erkannten und in ihre Überlegungen mit einbezogen. Solche Leute gibt es immer noch. Leider treten sie nicht mehr so stark in Erscheinung, weil heutzutage alles sehr spezialisiert ist. Zudem sind die Leute aus der Wirtschaft viel auffälliger. Doch die denken und handeln zu oberflächlich und einseitig. Wer die Welt vornehmlich unter wirtschaftlichen Aspekten wahrnimmt, denkt materiell, denkt nur ans Geldverdienen und den eigenen Vorteil. Diese Leute haben keinen Blick für die Nöte der Umwelt und der Natur. Oft auch keinen für die Nöte der Menschen und manchmal nicht einmal für die der eigenen Familie.
Ich will, wie Alexander von Humboldt und andere Größen von Verstand, das Ganze sehen und mich nicht vom Geld beherrschen lassen. Deshalb sind mir Konsum und Kommerz weitgehend egal. Wer nur Werte kennt die man kaufen kann, aber die Werte die man nicht kaufen kann ignoriert, ist seelenarm.“
Alwin schaute seinen Großvater schräg an. „Und was hat das nun mit meinem Rita-Problem zu tun?“
„Ich will sagen, suche dir eine Freundin mit Verstand, dann hast du außer Sex, auch noch gute Unterhaltung. Ein heller Kopf macht Freude und bereichert ungemein. Such dir eine Studentin.“
Alwin überlegte, fand jedoch gleich ein Haar in der Suppe. „Die brauchen ja ewig, bis sie Geld verdienen. Ich bin seit zwei Jahren Geselle und verdiene schon Tausende Mark. Eine Studentin würde mir nur auf der Tasche liegen.“
Der Opa verdrehte seine Augen. „Auch noch geizig. Wieso nimmst du nicht diese Elli, das war doch mal ein sauberes Dingelchen?“
„Dieses saubere Dingelchen ist auf der Suche nach einem Zahnarzt. Hat selber nur Mittlere Reife, will aber unbedingt einem Reichen den Kopf verdrehen.“
Opa schüttelte den seinen. „Oh Mann, was hat die Jugend Flusen im Kopf.“
Während des Sommers bildeten Alwin und sein Bike eine nicht zu erschütternde Kohäsion. Wo er war, war auch seine Kawa. Er lernte zwei andere Biker kennen, mit denen er in der näheren Umgebung Motorradtreffen besuchte. Der eine nannte sich Schratt und war lang und dünn. Unter seinen langen Haaren versuchte er, sein einfältiges Gesicht zu verstecken, das von einer kleinen Nase und vollen Lippen dominiert wurde. Sein Aussehen stand konträr zu seinem Mundwerk, er konnte reden wie mit Engelszungen. Schratt arbeitete auf einem wichtigen Posten bei der Bundespost. Sein Freund Tiger war eine mittelgroße, dunkle Erscheinung, die vor Kraft strotze. Tiger betrieb Body Building und arbeitete in einer Fabrik für Bad-Armaturen.
Alwins alte Freunde, Kalle, Findus und Troll, standen im Sommer vor Gericht, alle drei bekamen fünf Jahre aufgebrummt. Al besuchte sie kein einziges Mal, es sollte keiner zur Sprache bringen können, dass es seine Idee gewesen wäre. Vielleicht würde er nicht nur als Mitwisser hingestellt, sondern sogar als Auftraggeber.
Sonntagabend kam er nicht ganz nüchtern von einer längeren Ausfahrt nach Hause. Sein Vater, den er nicht mehr oft sah, wartete auf ihn. Er bedeutete Al, sich zu ihm an den Küchentisch zu setzen. „Ich habe eine neue Stelle“, sagte er ohne Einleitung. „Ich habe die Suche nach Mama aufgegeben und werde hier wegziehen. Ich kann dieses Haus nicht mehr ertragen. Ich hoffe, dass es dir besser ergeht.“.
„Ich mache es wie Opa und nehme es wie es kommt“, sagte der Sohn leicht dahin.
„Du scheinst deine Mutter nicht zu vermissen.“
Am liebsten hätte Alwin gesagt: „Ich genieße die Ruhe.“ Denn Mutter war immer gegen alles gewesen. Stattdessen sagte er: „Doch schon, aber was soll ich machen. Irgendwann wird sie wieder auftauchen und weiter zetern.“
„So siehst du es also.“
„Ich glaube, Opa sieht es auch so. Er befürchtet ein baldiges Ende der Ruhe.“
„Ist dir schon einmal aufgefallen wie ähnlich ihr euch seid? Als ob er dein Vater wäre.“
Jetzt war Alwin genervt. „Das ist nicht dein Ernst?“
„Nein, natürlich nicht“, beschwichtigte Vater Rolf, der die Bierfahne roch. „Aber du hast mehr von ihm, als von mir. Mama hat aber bestimmt nichts mit ihm gehabt, die konnten sich ja von Anfang an nicht leiden.“
„Vielleicht kann Mama Opa deshalb nicht leiden, weil sie in jungen Jahren von ihm vergewaltigt wurde, und ich bin dabei herausgekommen.“
„Jetzt geht es mit dir durch, jetzt merkt man den Alkohol.“
Das Gespräch erstarb. Dann fiel dem Vater noch etwas ein. „Bevor ich meine neue Stelle antrete, fliege ich noch zu Inges Hochzeit nach Kanada.“
„Das würde mich auch interessieren.“
„Wenn du Geld für die Flüge und das Hotel hast, kannst du mitkommen. Oder hast du im Ernst daran gedacht, dass dir jemand die Reise bezahlt?“
Alwin sagte Tschüss und ging nach unten. Dort stellte er sich vor den dreiteiligen Badezimmerspiegel und betrachtete sich von allen Seiten. Wie sein Großvater hatte er ein längliches Gesicht, kräftige dunkle gewellte Haare, die bei Opa grau durchwirkt waren, dieselbe gerade Nase, dasselbe kräftige Kinn, etwas hervorstehende Backenknochen und eingefallene Wangen. Nur waren Opas Augenbrauen buschiger, und ihm wuchsen Haare aus der Nase und den Ohren, wenn er sie zu stutzen vergaß. Und Opa war zehn Zentimeter kleiner, aber dünn und ohne Bauch. Weil er so schlank war, konnte er bei schwacher Beleuchtung als Dreißigjähriger wahrgenommen werden. Aus der Nähe sah man natürlich an der Haut, dass er schon ziemlich alt sein musste.
Opa Robert wusste sein gutes Aussehen zu nutzen, er verbrachte nur halb so viel Zeit in seiner Hütte, wie Sohn und Enkel vermuteten. Der schöne Robert hatte im Städtchen immer ein Liebchen.
Alwin war, was er zu Jahresbeginn nicht für möglich gehalten hatte, mit seinem Leben auf einmal zufrieden. Die kreative Arbeit und die Freizeit auf dem Motorrad hatten ihn auf die Sonnenseite des Lebens gerückt. Allerdings musste er dem Opa den Kredit zurück bezahlen und der monatliche Überschuss ging für die Motorradausflüge drauf. Nicht nur für Benzin und Bier, auch für Ersatzteile und Hinterreifen, die leider nach fünftausend Kilometern schon abgefahren waren. Für eine Kanadareise war kein Geld übrig.
Um seine Schuldenlast etwas schneller abzubauen, half er dem Opa in den Reben, was Alwin seit seiner Kindheit jedes Jahr mehr oder weniger oft tat. An den Rebstöcken musste immer etwas geschnitten oder gespritzt werden. Der Alte machte alles von Hand, ohne Traktor. Die Giftspritze, deren Motor hässlich plärrend die ländliche Stille zerriss, musste er auf dem Rücken tragen und pro Grundstück mehrmals auffüllen. Das Gift stammte aus alten Raiffeisen-Beständen. Er mischte es in Regenwasser, das vom Hüttendach in mehrere Fässer floss. Das größte Rebgrundstück lag bei der Hütte, und weil dort der Weg zum Sofa nicht weit war, wurde dieses Stück auch am häufigsten gepflegt.
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