Nach Feierabend musste er zum Chef, wohin man nur mit einem unguten Bauchgefühl ging. Alwin nahm an, er hätte seinen Arbeitgeber brüskiert, immerhin war der von ihm gezeichnete Plan zur Makulatur geworden. Sein Chef hatte studiert und war um die vierzig. Bei diesen Typen, wusste Al, zählten vor allem Geltung und Eitelkeit. Dieser studierte Gartenarchitekt setzte sich, mit einem Hefter in der Hand, ihm gegenüber und begann zu blättern. Dann sagte er ernst:
„Du hast uns zu ein paar Aufträgen verholfen. Finde ich gut. Einige Damen der Oberschicht würden gerne ihren Garten umgestalten.“ Der Chef zeigte keine Emotion, überlegte. „Sie wünschen sich deine Ideen in ihren Gärten. Finde ich auch gut, es muss nicht immer so gemacht werden, wie ich es plane. Wir sind doch für Vielfalt.“
Alwin wusste nichts zu kommentieren und auch nicht, worauf das Gespräch hinauslaufen würde.
„Dein Talent als Gärtner ist vermutlich das Kleinere.“ Plötzlich grinste der Chef. „Dein Haupttalent ist wohl, dass du mit diesen Damen umgehen kannst. Du hast sie beeindruckt und sollst nun ihre Gärten auf Vordermann bringen. Einen Gärtner mit diplomatischem Geschick hat nicht jeder. Weil wir ein paar schöne Aufträge bekommen haben, bekommst du ein paar schöne Arbeitsstellen. Und eine Mark Lohnerhöhung.“ Der Chef sah ihn an, Alwin nickte. „Sag den anderen aber nichts“, war der Arbeitgeber wieder ernst.
„Danke, ich freue mich richtig. Darf Rita weiterhin mit mir arbeiten?“
„Wenn du sie brauchen kannst?“
„Die macht was ich sie heiße“, grinste Al nun auch. „Wenn ich ehrlich bin, gefällt mir der Garten vom OB besser, da leben Tiere drin.“
„Wenn ich ehrlich bin, mir auch. Behalt auch das für dich.“ Der Chef klopfte Alwin auf die Schulter und verschwand.
Fortan machte sein Beruf Alwin sehr viel Freude, an einen Stellenwechsel verschwendete er keinen Gedanken mehr. Da seine Tätigkeit ihn ausfüllte und er auch in der Freizeit an die Arbeit dachte, machte das Leben auf einmal Sinn. Wie sein Chef bemerkte, konnte er es mit den Kundinnen der gehobenen Kategorie ausgesprochen gut, was vor allem an seinem Aussehen und Lächeln lag. Alwin wurde der Gärtner der Oberschicht. Als nächstes landete er auf dem Grundstück eines Professors, dessen Frau grün angehaucht war. Dort redete er erstmals beruflich von Pflastersteinen und Trockenmauern, von den Tieren die zwischen den Steinen lebten und überwinterten. Das kinderlose Paar war hellauf begeistert, Alwin durfte sich auch dort verwirklichen, sein Chef musste die Region nach alten Sandsteinen abgrasen.
Ende April kaufte Al sich eine rote Kawasaki 450 LTD. Die Maschine war mit einem hohen Lenker, einer Stufensitzbank aber mit nur 36 PS ausgerüstet. Das reiche für einen Anfänger, meinte der stolze Besitzer. Opa pflichtete ihm bei. Was jetzt noch fehlte, war eine attraktive Beifahrerin. An zwei Abenden die Woche besuchte er das Karatetraining, besah sich immer wieder die Kameradinnen, besonders genau die Neuzugänge. Meistens waren es Teenager, aber für keines der Mädchen konnte er sich begeistern. In eine feste Freundin müsste ich verliebt sein, sagte er sich. Öfter fuhr er mit Mädchen auf dem Sozius spazieren, ohne dass sich etwas entwickelte. Die Mädchen würden schon gerne mit ihm gehen. Doch Alwin verweigerte, aus Angst sie nicht mehr loszuwerden, sogar das Küssen.
Ich bin zu wählerisch, meinte er selbstkritisch. Wenn ich nach einer perfekten Frau suche, kann das nichts werden, weil es perfekte Menschen nicht gibt. Er probierte es mit dem Naheliegenden und das war seine Kollegin Rita, die in ihn verliebt war. Er nahm sie einige Male auf dem Motorrad mit und auch einige Male mit ins Bett. Aber mit ihr machte es ihm keinen Spaß, da entzündete sich nichts, entstand kein Begehren. Wenn der Samen verspritzt war, war Al sofort lustlos. Rita hatte auf Grund ihrer körperlichen Arbeit zwar kaum Fett, war aber grob gebaut, fühlte sich nicht gut an, ihre Haut wies unschöne Unebenheiten auf. Wenn er sie mit dieser Elli verglich, fehlte es Rita nicht nur an einem schönen Körper, sondern auch an Charme und Witz. Auch vom Charakter her war sie eher krud, mit ihr konnte man sich nur über Arbeit, Fernsehserien und Schlagerstars unterhalten. Jeden Freitag lag sie ihm in den Ohren, weil sie am Wochenende mit ihm zusammen etwas unternehmen wollte. Wobei sie an Sex dachte, das andere interessierte sie nur am Rande. Er behauptete, keine feste Freundin zu wollen, sie solle sich einen anderen suchen. Als sie von ihrem Auserkorenen nach einem halben Jahr immer noch abgewimmelt wurde, kündigte Rita und erschien am Montag nicht mehr zur Arbeit.
Alwin tat es leid. Dass seine Kollegin wegen ihm hinschmeißt, machte ihm zu schaffen. Er brauchte Rat und zwar von einer vernünftigen Person mit der man ernsthaft reden konnte, er brauchte seinen Opa. Robert verbrachte das Wochenende in seiner Hütte, in der er immer viel las und vermutlich auch viel trank. Alwin donnerte mit seinem Motorrad ins Feld, fuhr mit Schwung das Grundstück zum Hühnerhaus hinauf, um das Gehege herum und parkte die Maschine neben Opas Moped. Der Alte hatte keinen Autoführerschein, nie gemacht, und da er so oft sein Fahrrad benutzte, vermutlich auch keinen für seine Kreidler Florett. Opa kam heraus.
„Was sind denn das für neue Sitten“, brummte er.
„Ich brauche deinen Rat“, entschuldigte sein Enkel den lauten Überfall. „Es geht um ein Mädchen.“
„Ja dann immer gerne. Wir holen uns zwei Stühle und setzen uns unter die Bäume.“
Der Alte reichte die Stühle hinaus, er schien nüchtern zu sein. Alwin hatte keine Ahnung wie viel Opa trank, wenn er so alleine in der Hütte vor sich hin brütete. Er erzählte von Rita und dass sie seinetwegen den Job, den sie eigentlich mochte, hingeschmissen hatte und verduftet war.
„Was soll ich machen“, fragte Alwin ratlos. „Soll ich einer Frau nachgeben, die ich nicht liebe, die mir zu einfach gestrickt ist, die sich wie ein Kartoffelsack anfühlt, wofür sie natürlich nichts kann? Ich kann mich doch nicht einer Frau erbarmen, die nicht zu mir passt, damit würde ich mich unglücklich machen und mir das Leben verleiden. Außerdem fühle ich mich zu intelligenten Menschen hingezogen und ihnen auch zugehörig, was vermutlich an dir liegt.“
„Das mit der Intelligenz ist so eine Sache. Als ich zur Schule ging war es normal, wenn man nur acht Klassen Volksschule besuchte. Aufs Gymnasium wechselten nur wenige, fast nur Akademikerkinder. Wer in der Volksschule nicht mitkam, blieb sitzen, einige wurden in der vierten Klasse entlassen. Nach acht Schuljahren zeigte sich, wer etwas taugte, wer Ehrgeiz hatte und wen man für Höheres verwenden konnte. Leider fanden die Minderbemittelten bei den Nazis Verwendung, die SA war ein Sammelsurium schwacher Charakter.“
Alwin stöhnte. „Was hat das jetzt mit Rita zu tun?“
„Ich will dir erklären was passieren kann, wenn die Geschmähten der Gesellschaft Beachtung finden. Beim Barras hieß es immer, wenn der Knecht aufs Pferd kommt, wird er zum Schinder“, erzählte Opa plötzlich vom Krieg. „Die Typen, die nie etwas zu sagen hatten, die in ihrem Leben nur schikaniert und herumgeschubst wurden, waren die schlimmsten Vorgesetzten. Wenn so einer auf einmal andere kommandieren durfte, gab er alles Ungerechte und Schlechte was ihm wiederfahren war, mit gleicher Münze weiter. Typen, die kaum lesen und schreiben konnten, entwickelten eine große Intelligenz, wie sie den Untergebenen das Leben zur Hölle machen. Da sie ihr ganzes Leben nur Knecht waren, wussten sie nicht viel über Menschen und noch weniger über die Welt. Mir graut vor solchen Leuten, denen fehlt der klare Blick, die sind subjektiv bis auf die Knochen, oberflächlich, primitiv und intolerant. Deshalb warne ich dich, lass die Finger von dieser Rita. Wenn du ihr nachgibst, sie sozusagen auf dein Ross nimmst, wird sie sich darauf viel einbilden und andere triezen.“
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