Polizei ließ sich auch weiterhin keine bei ihm blicken, Alwin konnte es kaum fassen und wurde täglich gelöster. An Silvester durchstöberte er mit zwei Karatekameraden einige Discotheken nach bekannten und unbekannten Mädchen, was ihn unbescheidene Eintrittsgelder kostete. Sein letztes Frauenerlebnis lag Monate zurück. In Mittenwald ließ er sich von einer älteren Frau, sie war achtundzwanzig, in deren Wohnung verführen. Die Begegnung verlief sehr hitzig, die Rothaarige hatte sich verlangend auf ihn gestürzt, was er ebenso heftig erwiderte. Nach einem letzten Akt, kurz vor dem Frühstück, eröffnete ihm die leidenschaftliche Frau, dass sie verheiratet sei und es zu keiner weiteren Begegnung kommen dürfe. Alwin, dem die Nacht ausgesprochen gut gefallen hatte, war ernüchtert. Wochen später erfuhr er per Zufall was es mit der Rothaarigen auf sich hatte. Sie war eine unverheiratete Arzthelferin und ständig auf der Jagd nach jungen Rekruten, von denen sie nie genug in ihr Appartement lotsen konnte. Sie wollte einfach so viele junge Männer wie möglich ausprobieren und in ihre Trophäen-Liste einreihen. Alwin ärgerte sich und fühlte sich benutzt, obwohl er ihr für diese Nacht eigentlich dankbar sein sollte.
Seine ersten Erfahrungen mit Mädchen machte er auf Partys. Knutschen, Haare kraulen, Brüste streicheln, Po kneten und so. Auf so einer Party lernte er, nicht mehr ganz nüchtern, seine Freundin Ilona kennen. Ilona war nüchtern und berechnend, entschied sich spontan für den sportlichen, großen und hübschen Alwin und verließ ihren Freund. Besonders gefielen ihr seine lockigen, dunklen und auch schulterlangen Haare, in denen sie dauernd herumgreifen musste. Bei Ilona, die nicht mehr Jungfrau war, durfte er dann auch eindringen, woran er mit gemischten Gefühlen zurück dachte, denn es war hektisch, umständlich und unfeierlich in seinem Zimmer vonstattengegangen. Die Beziehung hielt nur ein Jahr, sie waren zu unterschiedlich. Alwin dachte schneller als sie, handelte schneller, war ordentlich und pünktlich, Ilona war träge. Alwin stellte fest, dass sie sich gehen ließ und langsam aber stetig zunahm, weil ihre Bequemlichkeit nur Kekse und Pommes als Nahrung zuließ. Am liebsten ernährte sie sich von Highspeed-Fastfood, das waren Torten, von denen sie in fünf Minuten drei Stücke verzehren konnte. Ilona glaubte tatsächlich, ihren Alwin sicher zu haben und für ihre Attraktivität nichts mehr tun zu müssen.
Es musste eine Freundin her, mit der er auch angeben konnte. Eine große, dünne und langbeinige, quasi ein Statussymbol. Im Gegensatz zu seinen zwei Begleitern traute sich Alwin, Mädchen anzusprechen, was er auf spaßige Weise machte. Je nachdem wie sie reagierten sagte ihm sein Instinkt, ob sie Grips und Niveau hatten, oder eher von der drögen Sorte waren. Alwin war bekannt für sein großes Allgemeinwissen. Hauptschule hin, neun Schuljahre her, machte er wiederholt die Erfahrung, dass er mehr wusste als die meisten Gleichaltrigen. Vor allem suchte er nach einer Frau, mit der er sich, wie mit dem Opa, über alles unterhalten konnte.
Sein zwei Jahre älterer Kamerad Heinz, der zwar den zweiten Dan, aber noch nie eine Freundin hatte, fuhr sie in seinem R5 von Disco zu Disco. Den „Glasboden“, Alwins Lieblings-Disco, den er aber wegen der acht Mark Eintrittsgeld nur selten besuchte, betraten sie zuletzt. Da war es schon zwei Uhr, der Eintrittspreis halbiert. Die Tanzfläche bestand aus einer Glasplatte, darunter drohten eine Egge, Sensen, Sägeblätter und Stacheldraht. Im Lokal verteilt standen schmale Glastrennwände, die sich mit ebenso großen Spiegelwänden vermischten. Wer betrunken im Lokal umherwandelte, bekam enorme Orientierungsprobleme und fand alleine nicht hinaus. Über die Spiegelwände ließen sich unauffällig Leute beobachten, in Alwins Fall junge, dünne Frauen. Über gewisse Spiegel konnte man sogar hinter die Wände schauen und in Spiegeln in denen sich Spiegel spiegelten, das Lokal überblicken.
Alwin holte sich ein sündhaft teures Pils für fünf Mark und schlenderte langsam durch die Gäste, lehnte sich manchmal an eine Säule, um Frauen zu beobachten, nahm seine Wanderung wieder auf und landete letztendlich an der Theke, die die Tanzfläche flankierte. Trotz der „frühen“ Stunde wurde der Dancefloor eifrig genutzt. Nun trauten sich auch solche, die nüchtern nie tanzen würden. Auf der Tanzfläche bewegte sich ein betrunkener Querschnitt aus Deutschlands Jugend, kaum jemand war über dreißig. Zwischen all den auf der Stelle tretenden oder öde vor und zurück schleichenden Tänzern, bewegte sich ein kleineres Mädchen, das aufgrund seiner Sportlichkeit auffiel. Die quirlige Person hüpfte locker wie ein Gummiball und drehte sich in einem fort. Trotz ihres Elans fasste sie nach einiger Zeit Alwin ins Auge. Sie entsprach überhaupt nicht seinem Typ, aber so wie sie zu ihm hinüber grinste, schien sie pfiffig zu sein. Mit ihrer Stubsnase, den großen Augen und dem breit lächelnden Mund, der von zwei Grübchen begrenzt wurde, hatte sie etwas Niedliches, Schnuckliges, das man gern im oder auf dem Arm halten würde. Ihre expressive Tanzweise zog den angeheiterten Alwin in ihren Bann. Obwohl sie, für seine Begriffe, zu kurze Arme und Beine hatte, konnte er seine Augen nicht von ihr lassen. Alwin war Nichttänzer und erst recht würde er sich nie neben so eine agile Person stellen, die ihn dann, im wahrsten Sinne des Wortes, alt aussehen lassen würde. Schnelligkeit in Karate war etwas ganz anderes als Schnelligkeit auf der Tanzfläche.
Während der DJ die Musik wechselte, rief Alwin „Du begrüßt das Neue Jahr aber sehr sportlich“, hinüber. Sie lächelte zwar, flippte aber weiter, vermutlich, weil ihr die Rockmusik gerade so gut gefiel. Dass ihm die Kleine Spaß machte, konnte er nicht verhehlen. Er schaute auf ihr Hemd, unter dem die nicht kleinen Brüste hüpften und auf den Po, der rund und kräftig, in der Bewegung ständig seine Form wechselte. Dann stellte sie sich doch zu ihm, sie ragte gerade bis an seine Schulter.
„Du siehst auch sportlich aus. Aber tanzen willst du wohl nicht?“, schrie sie. An der Theke stand man voll in der Akustik.
„Dazu fehlen mir noch einige Bier“, schrie er zurück. „Wie heißt du?“
„Ich bin Elli. Und du?“
„Können wir vielleicht nach hinten gehen? Ich verstehe dich kaum.“
Sie winkte mit dem Kopf, ihr zu folgen und stellte sich hinter eine Spiegelwand. „Wie war nochmal dein Name?“
„Ich bin Al.“
Sie sah ihn belustigt an. „Na, kürzer geht’s wohl nicht. Wie heißt du denn richtig?“
„Ich heiße Alwin und ich sage dir, dass Elli auch nicht dein richtiger Name ist.“
„Elisabeth, mit einem L. Das hört sich für mich nach Mittelalter an, so wie Kunigunde und Walburga. Deshalb müssen alle Elli zu mir sagen, weil sich das poppig anhört.“
Ihr Gesicht war ernst geworden, die Grübchen verschwunden. Wenn er sie nicht verärgern wollte, musste er sie Elli nennen, obwohl er Elisabeth sehr schön fand, der Name hatte etwas Königliches.
Ellis Haupt schmückte eine blonde Lockenpracht, er strich ihr die Frisur aus der Stirn. „Du siehst so jung aus, bist du schon achtzehn oder hast du dich herein geschmuggelt?“
Sie machte eine säuerliche Mine. „Das ist ein wunder Punkt, alle halten mich für ein kleines Mädchen. Aber ich bin einundzwanzig.“
Al tat erstaunt. „Dann könntest du ja meine große Schwester sein.“ Sie schlug mit der flachen Hand gespielt auf seine Brust, die Chemie stimmte. Beide alberten ein wenig herum, bald darauf küssten sie sich. Heinz kam vorbei, er wollte endlich heim. Elli schlug Alwin vor, ihn heim zu fahren. Heinz und der dritte Freund trotteten unlustig davon, Elli und Al knutschen weiter. Irgendwie kam die Sprache auf Wohnung und Zimmer, Elli wohnte noch bei den Eltern.
Er wollte sie neugierig machen. „Ich wohne bei meinem Opa, hab ein schönes, großes Zimmer und nebenan eine neue Dusche, die fast so groß ist wie ein Doppelbett.“
Читать дальше