1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 „Geklaut“, meinte er mit Kennerblick.
„Wo bekomme ich jetzt neue her?“
„Beim Motorradhändler“, grinste der Dicke.
„Und wie komme ich dort hin?“
„Mit dem Motorrad.“ Der Dicke grinste immer breiter.
„Ha, ha.“
Der Dicke bückte sich und steckte die zwei losen Zündkabel auf die Kerzen, die Maschine sprang an. Alwin schämte sich in Grund und Boden.
„Klarer Fall von gewusst wie“, meinte er und bedankte sich. Zuhause packte er die Lebensmittel in den Kühlschrank, fuhr gleich weiter zum Motorradgeschäft und besorgte sich vier Stecker, von denen er zwei unter der Sitzbank beim Werkzeug deponierte.
Opa belagerte den Küchentisch mit Plänen. Während seiner Zeit im Liegenschafts-und Tiefbauamt, hatte er sein Herz für Geschichte entdeckt, speziell für die Geschichte seiner Heimatstadt. Am liebsten spürte er verschollene Gebäude auf. In den Jahren als städtischer Angestellter sicherte er sich den Zugang zu den Archiven. Da Opa das Entziffern alter Schriften nicht gelernt hatte, brauchte er dementsprechend lange. Mit dem Lesen alter Akten und Briefe konnte er ganze Tage verbringen. Deshalb waren ihm Pläne viel lieber. Manchmal fuhr er auch mit dem Bus in die Großstadt, um im Landesarchiv nach fehlenden Puzzleteilen zu suchen. Zu jeder seiner Entdeckungen schrieb er einen Zeitungsbericht, Robert Reuter war in seiner Heimatstadt kein Unbekannter. Bei den Bewohnern der Altstadt war er berüchtigt, weil er in ihren Kellern gerne nach mittelalterlichen Fundamenten suchte.
Für seine Idee, den Verlauf der ehemaligen Stadtmauer zu rekonstruieren, hatte er den Tiefbauingenieur der Stadt gewonnen. Gemeinsam machten sie die alte Stadtmauer ausfindig, die sie in Kellern als Fundament, in Altstadthäusern als extra starke Mauern nachwiesen. Bislang hatten sie auch die Standorte zweier ehemaliger Stadttore, die Anfang des neunzehnten Jahrhunderts abgerissen wurden, gefunden. Aus alten städtischen Rechnungen wusste der Opa aber, dass es ursprünglich drei Stadttore gab, weil sie siebzehnhundertneunzig, während der Französischen Revolution, ausgebessert worden waren. Nun lagen zum wiederholten Male die alten Grundrisspläne auf dem Küchentisch und Opa zerbrach sich den Kopf, wo Platz für ein drittes Tor gewesen sein könnte. Vermutlich musste er wieder einigen Bürgern Zucker in den Hintern blasen, damit er in deren Keller historische Steine begutachten durfte.
Der Opa erklärte Alwin seine neueste Spur, die mit dem Stadttor aber nichts zu tun hatte. Die katholische Kirche der Altstadt wurde 1760 im barocken Stil erbaut. Nun war davon auszugehen, dass es in dieser christlichen Stadt auch schon zuvor eine Kirche gegeben hatte. Nur wusste kein Mensch, kein Plan, kein Archiv und kein Kirchenbuch, von dieser Vorgängerkirche zu berichten. Alle vermuteten die neue barocke auf den Fundamenten einer alten romanischen oder gotischen Kirche. Leider wurden keine Steine gefunden, die darauf hinwiesen. Das dazugehörige Pfarrhaus wurde erst zwei Jahrzehnte später errichtet.
Wenn in der Stadt irgendwo gegraben wurde, war Opa zur Stelle, um nach historischen Steinen und Balken zu spüren. Beim Verlegen neuer Abwasserrohre war er im Dauereinsatz, denn Gräben durch die Altstadt waren wie Wundertüten. So ein Graben wurde vor kurzem am Pfarrhaus entlang ausgehoben. Dabei stießen die Arbeiter auf ein altes Fundament, das vom Pfarrhaus überbaut war. Die alten Steine endeten in Mitte der Fassade und suggerierten eine Gebäudeecke. Wenn die Historiker den Verlauf der Fundamente weiter verfolgen wollten, mussten sie im Keller des Pfarrhauses nachsehen oder dort sogar graben. Es könnte der Standort der früheren Kirche zutage treten oder zumindest ein Hinweis auf diesen, erklärte Opa seinem Enkel. So wie Opa den Pfarrer einschätzte, waren nervige Verhandlungen zu erwarten, die er gerne dem Tiefbauchef überließ.
Nach Feierabend schlenderte Alwin zum Firmenparkplatz. Schon von weitem kam ihm sein Motorrad seltsam vor, irgendetwas war anders. Als er davor stand, durchkribbelte ihn ein unangenehmes Gefühl, beide Rückspiegel waren abgeknickt. Das war nun doch zu viel Zufall, irgendjemand wollte ihm schaden. Er ging zurück und erkundigte sich bei noch anwesenden Kollegen, ob sie etwas gesehen hätten, ob ihnen etwas aufgefallen sei. Die erfolglose Befragung sagte ihm, dass er nicht mehr im Freien parken konnte. Von seinem Chef erhielt er die Erlaubnis, seine Maschine während der Arbeitszeit in einer Halle abzustellen.
Alwin fuhr zum Händler und bestellte zwei neue Rückspiegel. Auf der Heimatfahrt musste er beim Abbiegen immer nach hinten sehen, dabei fiel ihm ein blauer VW Käfer auf, der ihm hartnäckig folgte. Diese blauen Käfer schienen sehr häufig zu sein, ständig sah er einen herumstehen. Wer hinter dem Steuer saß, konnte er nicht erkennen. Er beschleunigte, durchfuhr einige Gassen und der Käfer hielt erwartungsgemäß nicht mit. Vor Opas Haus stieg er ab, um das Tor zum Schopf zu öffnen. Gerade als er den einen Torflügel einhakte, fuhr am Ende der Straße ganz langsam ein blauer Käfer durch. Alwin brauchte zwei Sekunden, dann startete er durch und sprintete dem Käfer entgegen, um Fahrer und Nummernschild zu erkennen. Auch der Käfer startete mit der geballten Kraft seiner vierunddreißig PS durch und verschwand in einer Seitenstraße. Al vermutete richtig, er wurde verfolgt, und der Fahrer des Käfers wusste, wo er wohnte.
Nun begann ein Grübeln und Raten. Feinde hatte er keine, im Prinzip konnte er jeden verdächtigen. Die Einzigen, die böse auf ihn sein konnten, hießen Kalle, Findus und Troll und saßen im Knast. Vielleicht war es ein Freund oder Verwandter der Drei, der sie rächen wollte. Es konnte auch ein gestörter Unbekannter sein, dem Alwins Nase nicht gefiel. Aber in einem blauen Käfer? Er kannte nicht einmal jemand, der die Qual auf sich nahm, einen alten Käfer zu steuern. Al beriet sich mit seinem Opa. Der riet ihm, Beweise zu sammeln und, für seine Kawa müsste es kein Problem sein, den Käfer zu stellen. Das sagte sich Alwin auch. Falls er tatsächlich wieder verfolgt wird, würde er den Spieß umdrehen.
Freitagabend besuchte er mit Schratt und Tiger ein Dorffest, bei dem eine regionale Kultband spielte. Um elf Uhr abends war deren Programm beendet und sie fuhren noch in eine Disco, um die dortige Damenwelt abzuchecken. Außer dekorativem Herumstehen und mal wieder ein, zwei Bier zu viel, brachte das Eintrittsgeld nichts. Um zwei verließen die Drei die Bude, ein jeder für sich strebte den Heimweg an. Alwin wollte sein Bein über die Sitzbank schwingen. Als es sich in der Höhe befand, stieg ihm ein übler Geruch in die Nase. Er stellte das Krad auf den Seitenständer und schnüffelte. Wut stieg in seinen Kopf. Er öffnete eine Satteltasche und sah die Bescherung. Sein unbekannter Widersacher, so vermutete er, hatte darin eine für menschliche Verhältnisse große Portion Exkrement deponiert. Für so einen großen Scheißhaufen hätte er dreimal müssen. Der Geruch und der Anblick machten Alwin nüchtern, er drehte hoch. Doch ärgern half nicht, er musste heim, die Packtasche abhängen, mit Gummihandschuhen auskratzen und auswaschen. Vielleicht waren im Stuhlgang der fremden Person sogar Cholera- oder Typhuserreger, fantasierte er.
Wütend bestieg er seine Maschine und fuhr etwas schneller, als die Polizei erlaubt, damit ihn die Geruchsfahne nicht erreichte, nach Hause. An der Kreuzung vor der Altstadt, die mit Grünflächen aufgelockert war, die Ampeln waren abgestellt und blinkten, brauste plötzlich von links ein Käfer auf ihn zu. Der Schreck fuhr Alwin in alle Glieder. Er riss den Lenker nach rechts, knallte den Randstein hinauf und fuhr in die Grünfläche. Obwohl er dort schnell abbremste, verlor er beim Schlingern das Gleichgewicht und fiel mit der Maschine in die Rabatten. Passiert war ihm nichts, auch die Kawa war heil, nur der neue rechte Spiegel stand schief. Er sah sich sofort nach dem Käfer um, der aber schon in der ihm gegebenen Höchstgeschwindigkeit davonbrauste. Da wurde Alwin auch klar, weshalb er den VW zu spät gesehen hatte: er fuhr ohne Licht. Das könnte man jetzt als Mordanschlag werten, dachte er. Aber zum Verweilen und Nachdenken war das ein ungünstiger Platz. Wenn zufällig eine Streife vorbeikam, der er sein Leid klagen könnte, würde die seine Bierfahne riechen, dann war aus mit Motorrad fahren. Also nichts wie in Opas Schopf und Scheiße auswaschen.
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