Abends ging er kaum noch aus, nur noch ins Training, und dahin auch nicht immer. Zurückgezogen zu leben gefiel ihm ausgesprochen gut. Seine Freizeit verbrachte er nun lieber mit sinnieren, lesen und Radio hören, er begann Gedanken aufzuschreiben und suchte nach dem Sinn des Lebens. Nach wie vor wusste Alwin mit seinem Leben nicht viel anzufangen. Dass er im Beruf Anerkennung erntete, empfand er natürlich als wohltuend. Aber das konnte nicht alles sein. Was hatte Opa einmal erklärt? Jeder Mensch will beachtet werden, will Anerkennung und Zuwendung. Die meisten wollen sich irgendwie hervortun und über andere erheben.
Alwin wurde beachtet, weil er gut aussah, bekam Anerkennung, weil er gute Arbeit lieferte und bekam Zuwendung, wenn er es zuließ. Womit er sich hervortun konnte, wusste er nicht. Auf keinen Fall wollte er sich über andere erheben. Selbst der ungeschickteste Hilfsarbeiter konnte sicher sein, dass er von Alwin nicht zur Schnecke gemacht wurde. Was seinem Dasein fehlte, war eine feste Freundin. Eine zu finden wäre ein Leichtes. Doch traf er nur auf solche die ihm nicht zusagten, weil sie entweder übergewichtig, vulgär, oberflächlich oder ganz einfach zu geschwätzig waren. Die Frauen die ihm gefielen, waren schon in festen Händen, er hätte sie ihren Freunden ausspannen müssen, was er wiederum nicht wollte. Es gab einige Frauen, die er schnell in sein Bett bekommen würde. Doch sie wieder abzuwimmeln wäre ihm unangenehm und täte ihm auch leid. Beispiel Rita. Rita kannte sein Schlafzimmer. War es möglich, dass sie sein Verfolger war? Nach wie vor hielt er sie für harmlos und frei von krimineller Energie.
Für den Samstag war schönes Wetter angesagt und Alwin musste arbeiteten. Zur Belohnung verordnete er sich eine Disconacht. Nach Feierabend wusch er seine Kawa, an der eine schwere Erdkruste klebte, denn die Auffahrt zu Opas Hütte befand sich in einem jämmerlichen Zustand. Um nicht hängen zu bleiben, war er sie mit Anlauf angegangen, dabei spritzten Hinterrad durchdrehend Erde und Grassoden in den Rückraum. Sobald es trockener wird, nahm er sich vor, würde er mit dem Pritschenkombi seiner Gärtnerei eine Ladung Schotter abladen und auf der Auffahrt verteilen. Mit seiner ausnahmsweise blitzenden Maschine steuerte er Opas Haus an, um selber zu duschen. Der Alte war zuhause. Zur Feier von Alwins Anwesenheit kochte Opa Brokkoli mit Kartoffeln und Speck, gemeinsam aßen sie zu Abend. Sie redeten über die Ereignisse der Woche. Um elf ging Robert ins Bett und verließ Alwin das Haus, das Nachtleben wartete.
Er war mit Schratt und Tiger in einer Disco drei Dörfer weiter verabredet. Die Zwei amüsierten sich, weil Al seine Maschine in einer dunklen Gasse versteckte. „Da wird sie bestimmt geklaut“, meinte Tiger. „Die findest du nicht mehr, wenn du einen in der Krone hast“, ergänzte Schratt. Erste Handlung war, noch bevor sie ein Getränk orderten, Mädchen mustern. Die Einzige, die Alwin kannte, war Elli, die wie gewohnt auf der Tanzfläche den Wirbelwind gab. Beide grüßten sich lässig mit Handheben. Da die Kleine anderen Interessen nachging, ließ er sie links liegen und schob sich durchs Gewühl. Freundlich grinste er Mädchen an, die meisten grinsten freundlich zurück. Ihre Freunde grinsten nicht. Nach dem ersten Rundgang besorgte er sich ein Bier, Schratt und Tiger belagerten schon die Theke und schlugen dort Wurzeln. Wer zur Toilette musste, kam an der Theke vorbei und in der Regel mussten Mädchen immer. Alwins Begleiter beschränkten sich auf inaktives Beobachten und hofften, einmal von einer Weiblichkeit angesprochen zu werden. Al selber nahm sein Bier und suchte wieder das Gedränge. Eine Zeitlang lehnte er an einer Wand und wartete auf einen Bekannten, der sich gerade angeregt unterhielt. Durch Zufall sah er einen dunklen Schopf, der sich schnell hinter eine Säule zurückzog. Wollte diese Person von ihm nicht gesehen werden? Er schaute mit halb geschlossenen Augen einige Minuten zur Säule, der Schopf tauchte wieder auf, und verschwand sofort, wenn er seinen Kopf in Richtung Säule drehte. Alwin kam sich beobachtet vor. Wer versteckte sich vor ihm?
Er tat so, als ob er auf die Toilette ginge, schwenkte aber kurz zuvor ab und duckte sich hinter einen langen Kerl. Von diesem verdeckt, schlich er in größerem Abstand um die Säule herum. Ihm wurde ungemütlich, denn da stand Rita und beobachtete die Toiletten. Ihr borstiges Haar, das aus Draht zu bestehen schien, war nun zu einem kurzen Wischmopp geschnitten. Alwin verzog sich zu seinen Kumpels an die Theke, er wollte ungestört überlegen. Plötzlich konnte er sich vorstellen, dabei dachte er auch an die eine oder andere Bemerkung Opas, dass sich Rita, aus Wut über seine Zurückweisung, an ihm rächte. Was wird sie unternehmen? Sollte er sie, wegen der Schäden an seiner Kawa, zur Rede stellen? Sie war nie besonders gesprächig gewesen, außer im Bett. Wenn es ein Problem gab, konnte sie nicht darüber reden und war verstockt.
Vor ihm hopste Elli auf der Tanzfläche herum, er winkte ihr lächelnd zu, sie winkte sogar zurück. Dann hatte er es. Er tat etwas, was er nüchtern noch nie getan hatte, er ging auf den Dancefloor und tanzte. Schratt und Tiger waren irritiert und verloren ihre gelassene coole Haltung. Alwin tanzte sich zu Elli.
„Eh, was ist denn mit dir passiert?“, schrie sie ihm entgegen.
Er zog sie zu sich her und bückte sich zu einem Ohr. „Ich bin in Not, du allein kannst mich retten.“
„Und wie kann ich das machen?“ lachte sie.
„Knutsch mit mir herum, das kannst du doch gut“, lachte er zurück und hätte liebend gern zu Rita hinüber geschaut.
„Für was soll das gut sein?“
„Das hilft, mir eine furchtbare Frau vom Halse zu halten. Die ganze Story erzähle ich dir später, die ist unglaublich.“
Elli wollte zwar mit Alwin nichts anfangen, hatte aber Vertrauen zu ihm. Wie ein geschmeidiges Äffchen hängte sie sich an seinen Hals und fing eine innige Knutscherei an.
„Eigentlich macht es ja Spaß, sollte ich viel öfter machen.“
Er tat verliebt, streichelte ihre blonde Mähne und fuhr dann mit beiden Händen ihren Rücken hinunter. „Hat es mit dem Akademiker noch nicht geklappt?“
„Du glaubst nicht, wie die sich anstellen. Und dann gibt es noch eine Schallgrenze und die heißt vierzig.“
Alwin musste lachen, dachte aber, so ein alter Sack musste sich bei der kleinen Elli wie ein Kinderschänder vorkommen.
„Heute Nacht bedaure ich zum ersten Mal, dass ich in der Schule so faul war und dem Gymi aus dem Weg gegangen bin. Sonst hätte ich bei dir richtige Chancen.“
„Tja, das wäre es. Komm, erzählt mir die Story.“ Sie zog ihn von der Tanzfläche, schob ihn auf einen zufällig freien Sessel und setzte sich auf seinen Schoß. Alwin ließ nichts aus, knutschte aber mit ihr weiter. So erfuhr Elli von Alwin, wie Rita ihn fortwährend schädigte und er versteckt in einer Hütte im Feld lebte. Über Ellis Locken hinweg suchte er nach Rita und konnte zwei, drei Mal ihren Mopp erkennen, der hundert Pro in seine Richtung ausgerichtet war.
Elli schaute ihn mit aufgerissenen Augen an. „Was, echt in einer Hütte?“
„Mit Hühnern und einem Holzofen“, ergänzte er.
„Wie romantisch. Könntest du mir morgen früh Speckeier machen?“
Alwin lachte und freute sich auf den Fortgang der Nacht. „Wenn du die am Sonntagmorgen verträgst, gerne.“
Er entschuldigte sich bei Schratt und Tiger, er müsse das Mädchen heimfahren, er würde sich melden. Sie verließen die Disco in Gemütlichkeit, blieben manchmal stehen und küssten sich, schlenderten langsam zum Motorrad. Alwin war gespannt, ob ihm Rita folgen würde. Und, ob sie einen blauen Käfer fuhr. Elli bekam den Helm. Er sah sich um, kein Käfer weit und breit, er fuhr langsam los. Vielleicht wartete sie schon unterwegs, er rechnete damit, dass sie plötzlich aus einer Seitenstraße herausschoss. Und richtig, als er den Ort verließ und den Sportplatz passierte, löste sich vom Parkplatz ein unbeleuchteter Buckel und folgte in großem Abstand. Es war zwei Uhr vierzig morgens und kein Verkehr.
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