»Aber Miguel ...!«, versuchte Enrice schüchtern einen Einwand.
»Halt die Klappe! Und tu, was ich Dir sage!«, zornig funkelten die schwarzen Augen Miguels. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Er machte eine Bewegung mit dem Kopf und befahl damit dem Stallburschen zu tun, wie ihm geheißen.
»El Invencible?«, auch Claire fragte nach. »Pedro meinte, das sei eine unberechenbare Bestie!«
»Der gute alte Pedro! Für ihn ist jedes Pferd, das ein wenig Pfeffer im Hintern hat und nicht wie ein lahmer Klepper daherkommt, gleich eine wilde Bestie! Lassen sie sich davon nicht beeindrucken! Wenn Sie allerdings lieber ein einschläferndes Schaukelpferd vorziehen ...?«
»Nein, nein!«, hörte sich Claire sagen, obwohl sie im nächsten Moment ihre Worte fast schon wieder bereute. Wollte sie diesem widerlichen Schnösel da nur etwas beweisen oder warum ließ sie sich auf diesen zwielichtigen Vorschlag ein? Sicherlich musste sie sich mit ihren Reitkünsten nicht verstecken, aber es gab durchaus auch Pferde, von denen man besser die Finger ließ. Doch irgendwas in ihr zwang sie, ihre Absicht nicht zu ändern.
Enrice brachte den inzwischen gesattelten El Invencible. Nervös tänzelte der Hengst und der Stallbursche konnte ihn kaum bändigen.
Claire zögerte einen Moment. Doch dann ging sie entschlossen, aber dennoch ruhig und einfühlsam auf das Tier zu. Wieder streckte sie ihren Handrücken aus und senkte den Blick. Ihre innere Stimme sprach beruhigend auf das Pferd ein.
Ich will Dir nichts Böses! Ich möchte Dein Freund sein!
Die Muskeln des Hengstes entspannten sich merklich. Vorsichtig berührten seine Nüstern Claires Hand. Etwas Vertrautes ging davon aus. Ein Gefühl von Wärme und Zuneigung. Sanft begann Claire seinen Nasenrücken zu streicheln und machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, ungeachtet der beiden Männer, die mit offenen Mündern danebenstanden.
Miguel traute seinen Augen nicht. Er wusste um El Invencibles Unberechenbarkeit und dass er einen Fremden nicht auf drei Meter Entfernung an sich ran ließ, ohne sich auf die Hinterbeine zu stellen, um dann mit lautem Gepolter auf diesen loszugehen.
Claire nahm in diesem Moment Enrice die Zügel ab. Ganz nah stellte sie sich neben das Tier. Ihre Hand wanderte zu den Ohren und kraulte sie sanft bis sie schließlich über den muskulösen Hals strich. Vertraut drückte der Hengst nun seinen massigen Kopf an Claires Oberkörper. Einen Augenblick lang standen die beiden bewegungslos so aneinandergeschmiegt. Die Frau signalisierte dem Pferd auch ohne Worte, dass sie nun auf seinen Rücken steigen würde und dieses ließ es ruhig geschehen. Bewegungslos verharrte Claire einen Moment, damit sich der Hengst an die neue Situation gewöhnen konnte. Dann drückte sie ihm sanft die Schenkel in die Seite, um ihn langsam anzutreiben. Noch einmal beugte sie ihren Kopf tief hinunter und verschmolz mit ihm zu einer Einheit.
Komm, mein Freund, lass uns zusammen über die Erde fliegen! Ich werde Dich gewähren lassen und Dir keine Schmerzen zufügen! Das ist es doch, warum Du den meisten Menschen nicht traust! Du bist wild und stolz und Du willst Dich nur beugen, wenn Du es willst!
Langsam setzten sich Pferd und Reiterin in Bewegung. Zunächst in tänzelndem Schritt, doch von Meter zu Meter gewann El Invencible Sicherheit und mehr Vertrauen. Claire steuerte auf einen kleinen Reitplatz zu. Dort ließ sie den Hengst gewähren, der noch einmal kurz überlegte und dann durchstartete.
Miguel und Enrice verfolgte die ganze Szenerie mit geöffneten Mündern. Sie warteten jeden Augenblick darauf, dass Invencible sein wahres Gesicht zeigen würde und seine Reiterin abwarf. Doch nichts dergleichen geschah.
Mit lockeren Zügeln saß Claire geschmeidig auf seinem Rücken und ließ ihn auf der Bahn mehrere Runden nach seinem Willen galoppieren. Erst dann machte sie ihm klar, dass nun sie an der Reihe war. Willig gehorchte ihr das Pferd und reagierte nun auf den kleinsten Schenkeldruck.
Ohne große Anstrengung ritt Claire allerlei Figuren und Schrittfolgen, immer noch argwöhnisch von den beiden Stallarbeitern gemustert.
So bemerkte keiner der Anwesenden, wie der Jeep in den Hof einfuhr.
Diego Rodriguez da Silva sah Claire schon von weitem auf dem Hengst sitzen. Eine lautstarke Tirade von Flüchen ergoss sich auf den armen Pedro, der leichenblass auf dem Beifahrersitz in sich zusammensank, obwohl er vollkommen unschuldig war.
Mit quietschenden Reifen bog Diego um die letzte Kurve, würgte den Motor ab und sprang aus dem Wagen. Schnellen Schrittes rannte er zum Reitplatz, als wolle er ein mögliches Unglück verhindern, obwohl er sich nach wenigen Augenblicken eingestehen musste, dass kein wirklicher Grund zur Sorge bestand. Diese blonde Señora machte wirklich eine gute Figur auf dem Hengst.
Er sah Miguel und Enrice am Rande des Reitplatzes stehen und maßlose Wut keimte wieder in ihm auf. Zornesröte schoss ihm in sein sonnengebräuntes, makelloses Gesicht. Seine markanten Wangenknochen stachen hart hervor.
»Enrice, Miguel! Was ist hier los?«, schrie er sie böse an.
Die Beiden fuhren erschrocken herum. Enrice blickte nur nervös zu Boden, während Miguel schnell seine Fassung wiedererlangte. »Sie wollte unbedingt El Invencible reiten!«, zuckte er gespielt hilflos mit den Schultern. »Ließ sich einfach nicht davon abhalten!«
Und schleimig fügte er noch hinzu: »Und ..., Don Diego, Du hast uns doch eingeschärft, dass der Kunde König ist! Also haben wir sie gewähren lassen!«
Diego roch Miguels alkoholisierten Atem. Seine Wut steigerte sich. »Komm mir nicht mit faulen Ausreden! Du hast dich wieder meinen Anordnungen widersetzt! Ich habe es allen ausnahmslos verboten auf Invencible zu reiten! Niemand wird jemals wieder auf seinen Rücken steigen!«
Das war nur einer vorbehalten … und die wird nie wieder zurückkehren! Dachte er mit einem Anflug von Trauer und Verbitterung bei sich.
»Ich habe die Nase gestrichen voll von deinen Eskapaden, Miguel! – Pack deine Sachen zusammen und verschwinde von hier. Und lass dich nie wieder hier sehen. Du bist fristlos entlassen!«
Diego drehte sich in Claires Richtung und sah nicht, wie Miguel die Hände zu Fäusten ballte und schon auf ihn losgehen wollte. Enrice konnte ihn gerade noch zurückhalten und beschwichtigen. Kochend vor Wut und teuflische Rachepläne schmiedend, suchte der Stallarbeiter schließlich das Weite.
Langsam ritt Claire auf die Gruppe Männer zu. Die letzten Schritte kam ihr Diego forsch entgegen und packte Invencible unsanft am Zügel, so dass dieser empört aufsteigen wollte. Doch Diego hielt ihn mit eiserner Hand fest. Immer noch zornig funkelten seine Augen Claire an, obwohl er sich innerlich eingestehen musste, dass sie durchaus eine äußerst aparte Erscheinung war.
Leichtfüßig glitt Claire aus dem Sattel und bot Diego freundlich die Hand zum Gruß.
»Hola, ich bin Claire Bennett!« Ihre Stimme wurde von einem charmanten Lächeln begleitet. Sie war sich der angespannten Situation sehr wohl bewusst. »Man hat mir Ihr Gestüt empfohlen. Ich möchte ein Pferd kaufen!«
Diego übersah die Hand geflissentlich. Er wollte gezielt unhöflich erscheinen, obwohl er wusste, dass Claire nichts für Miguels Dummheit konnte.
»Diego! Diego Rodriguez!« Er nickte nur kurz mit dem Kopf zum Gruß. »El Invencible steht nicht zum Verkauf! Er darf noch nicht mal geritten werden! Er ist unberechenbar!«
Nach einem kurzen Augenblick besann er sich aber seiner guten Erziehung und fügte in etwas freundlicherem Tonfall hinzu: »Entschuldigen Sie, Señora, dass sich die Männer meinen Anordnungen widersetzt haben! Gott sei Dank ist nichts passiert! Aber Sie sind wirklich eine sehr gute Reiterin!«
»Danke für das Kompliment!«, entgegnete Claire mit einem betroffenen Gesichtsausdruck. »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten gemacht habe. Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, ich konnte bei Invencible nicht feststellen, dass er unberechenbar wäre. Er ist nur sehr feinfühlig!«
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