Meter um Meter verringerte sich der Abstand zwischen der schwarzen Limousine und dem Jeep. Isabel erbleichte. Aus dem Fond ertönte ein tiefes Grollen. Osito, der schokoladenbraune Labrador, erkannte die Gefahr ebenso und warnte eindringlich. Mit giftigen Blicken und der Stimme eines gefährlichen Raubtieres versuchte er, seine beiden geliebten Menschen zu schützen.
Doch dieser ungleiche Kampf war aussichtslos. Schon war die Limousine bis auf wenige Meter herangerückt. Der Fahrer war durch die dunkel getönten Scheiben nicht auszumachen, aber Isabel wusste auch so, wer hinter dem Steuer saß.
Plötzlich ging ein Ruck durch den Wagen. Isabel schrie auf, Osito bellte wie ein Berserker und der kleine Alejandro begann zu weinen. Die schwarze Limousine war aufgefahren. Schnell brachte die junge Frau ihren Wagen wieder unter Kontrolle. Im Rückspiegel sah sie, wie ihr Gegner versuchte, seitwärts zu kommen. Instinktiv fuhr sie Schlangenlinien, um ihn daran zu hindern. Doch nach einer weiteren Biegung ließ die Landschaft eine kleine Ausbuchtung zu. Blitzschnell zwängte sich der Verfolger neben den Jeep und rammte ihn abermals.
Der Jeep kam ins Schlingern und Isabelle versuchte verzweifelt den Wagen in der Spur zu halten. Mehrmals sah sie bereits die Tiefe des Canyons auf sich zu kommen.
In einer kantigen Kurve setzte der Fahrer der Limousine erneut zum Angriff an. Mit bösartiger Wut verpasste er seinem Opfer den gnadenlosen Todesstoß.
Isabel spürte, wie die Räder des Jeeps ins Leere griffen. In einem Bruchteil von Sekunden flogen Koffer, Spielsachen und selbst Osito durch den Wagen. Mit schreckgeweiteten Augen sah die junge Mutter den todbringenden Abgrund auf sich zu kommen. Den ersten Aufprall nahm sie noch wahr. Doch dann wurde es um sie herum dunkel. Es folgten mehrere Überschläge, bis der Wagen schließlich auf dem Dach liegen blieb. Eine letzte Staubwolke kroch langsam den Berghang hinauf, erreichte schließlich die schwarze Limousine, die angehalten hatte. Der Verfolger war ausgestiegen und stand nun mit einem eiskalten, überlegenen Lächeln am Abgrund. Triumphierend begutachtete er sein vollendetes Werk. Doch er sah nicht die böse funkelnden Augen, die auf ihn gerichtet waren. Diese Augen brannten sich die Erinnerung an diesen Menschen tief in das Gedächtnis, Vergeltung schwörend … und wenn es bis zum Ende der Zeit dauern sollte.
*
Claire lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Sie schwebte bereits hoch über den Wolken und flog ihrer neuen Zukunft entgegen. Noch einmal sah sie sich die Bilder der Finca an, die ihr eine Maklerin zugeschickt hatte. Genau dieses Anwesen sollte es sein. Der wunderschöne alte Sandsteinbau mit Holzläden an den Fenstern und einem kleinen Pool hatte es Claire angetan.
Ein weiterer Punkt, der dafürsprach, den Mietvertrag bereits in wenigen Stunden zu unterzeichnen, war die Tatsache, dass zu dem Haus noch ein kleines Stallgebäude mit Paddock und eingezäunten Weideflächen gehörte. Claire wollte nun endlich wieder ein eigenes Pferd. Sie konnte sich schon gar nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal im Sattel gesessen hatte. Sehnsüchtig ließ sie ihren Blick aus dem kleinen Flugzeugfenster schweifen. Eine Wolkenfront versperrte ihr die Sicht, doch im Geiste war sie für einen Moment dieser Welt entrückt. Sie sah sich auf dem Rücken eines prächtigen Andalusiers sitzen und mit ihm über verschlungene Pfade durch die herrliche Bergwelt Gran Canarias reiten.
»Pardon me, que por favor! - Entschuldigen Sie, Señora, würden Sie sich bitte anschnallen. Wir landen in Kürze!« Die Stimme der freundlichen Stewardess brachte Claire wieder in die Gegenwart zurück.
»Aber natürlich«, entgegnete sie ebenso freundlich zurück und folgte den Anweisungen der Flugbegleiterin, welche das mit einem höflichen Lächeln quittierte.
»Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt auf Gran Canaria, Señora. Ich hoffe, Sie hatten einen guten Flug und wir dürfen Sie bald einmal wieder bei unserer Gesellschaft begrüßen!«. Damit drehte sich die Stewardess bereits um und wandte sich einem anderen Fluggast zu.
Claire streckte sich erwartungsvoll und sah wieder zum Fenster hinaus. Man nahm nun bereits die Häuser und Straßen der Großstadt Las Palmas war.
Der Flughafen war nicht besonders groß, aber unzählige Menschen eilten in und aus allen Richtungen durch die große Halle. Es war Hauptsaison und dementsprechend groß war der Andrang der Touristen.
Claire stand da mit ihren beiden großen Koffern und der Reisetasche und blickte sich suchend um. Louisa Cortez, die Maklerin, wollte sie hier abholen.
»Señora Bennett?«
Claire drehte sich um. Vor ihr stand eine kleine, dralle Mittfünfzigerin und strahlte sie freundlich an. Louisa Cortez hielt ein Schild in der Hand mit Claires Namen darauf und war sichtlich erleichtert, ihre Kundin in all dem Trubel doch so schnell gefunden zu haben.
»Bienvenida! - Herzlich willkommen auf Gran Canaria!«
Die Maklerin hielt Claire zur Begrüßung die Hand hin. Claire erwiderte den Gruß. Doch bevor sie irgendetwas außer dem obligatorischen »Buenos Dias« von sich geben konnte, ergoss sich ein Redeschwall in stark akzenthaltigem Deutsch über sie.
Louisa plapperte munter darauf los.
»Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug! Fliegen Sie gerne? Ach ich bin froh, wenn ich nicht fliegen muss, aber der Beruf bringt das manchmal mit sich, verstehen Sie?«
Claire nickte. Eigentlich war sie müde und abgespannt und wollte jetzt nicht groß Konversation machen. So erwiderte sie nur ab und zu eine höfliche Floskel, während Louisa weiter auf sie einredete. Dabei schnappte diese sich einen Gepäckwagen, verstaute Claires Gepäck darauf und begab sich in Richtung Ausgang.
»Kommen Sie Señora Bennett. Lassen Sie uns von hier weggehen! Sie sind doch bestimmt gespannt auf ihr neues Zuhause! Na, hoffentlich gefällt es Ihnen auch!«
»Ich denke schon. Was ich auf den Bildern gesehen habe, war traumhaft! Wie weit ist es denn von hier entfernt?«
»So eine gute halbe Stunde werden wir fahren müssen! Mein Auto steht gleich da vorne!«
Louisa deutete auf eine nagelneue Limousine der gehobenen Klasse. Die Geschäfte schienen gut zu gehen hier auf der Insel.
Claire stieg in das klimatisierte Fahrzeug. Die Fahrt führte sie zunächst durch die Straßen von Las Palmas, der Hauptstadt von Gran Canaria. Ein geschäftiges Treiben herrschte auch hier, doch das verlor sich allmählich.
Sie ließen das gepflegte Wohnviertel der Vorstadt hinter sich und der Wagen schnurrte nun fast geräuschlos auf einer gut ausgebauten Landstraße in Richtung Berge. Unaufhörlich redete Louisa weiter. Erzählte von allem Möglichen, fragte Claire nach ihrem Leben in Deutschland. Wie mechanisch antworte diese, denn mit ihren Gedanken und Gefühlen sog sie die herrliche Landschaft in sich auf, die an ihr vorüberzog. Die Sonne brannte jetzt kurz vor Mittag unerbittlich auf die Erde herab. Der Asphalt spiegelte die Hitzeschwaden wieder, so dass man am Horizont Wasser vermutete.
Kein noch so kleines Detail entging Claires wachsamem Auge. Die bizarre Bergwelt der Kanareninsel faszinierte sie. Zwischen schroffen, rötlich braunen Felsvorsprüngen lugten üppige Palmen hervor, wie man sie in Deutschland nur in Miniaturform in Töpfen kannte. Aus kargen Sandflächen ragten riesige Kakteen.
Nur ab und zu begegneten sie einem anderen Fahrzeug, ansonsten war die Gegend menschenleer.
Doch plötzlich erregte etwas am Straßenrand Claires Aufmerksamkeit. Gelbschwarz gestreifte Absperrbänder, so wie man sie bei der Polizei verwendete, wehten an hölzernen Stöcken traurig im Wind. Louisa war Claires Interesse nicht entgangen. Noch bevor Claire danach fragen konnte, antwortete die Maklerin aus eigenen Stücken.
»Ach, was für eine Tragödie! Hier ist vor fast 2 Wochen eine junge Frau mit ihrem Sohn tödlich verunglückt. Sie sind mit ihrem Auto den Abhang hinuntergestürzt. Viel zu schnell gefahren! Und betrunken war sie auch noch! Wie verantwortungslos! Sie war sofort tot, erzählt man sich! Aber den Jungen, den kleinen sechsjährigen Jungen ... den hat man bis heute nicht gefunden!«
Читать дальше