Alexander Moszkowski - Die Inseln der Weisheit
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Alexander Moszkowski
DIE INSELN DER WEISHEIT
Frau Helene Wittkowsky zugeeignet
Vorbereitendes Kapitel
Wirkliche Abenteuer? Über den Begriff möchte ich mich mit dem Leser von vornherein verständigen. Wenn es darauf ankäme auffallende, unerhörte, an den Nerven reißende Begebenheiten zu häufen, so hieße es Wasser in den Ozean schöpfen, wenn man zu den wilden Schicksalen ehemaliger Weltfahrer noch neukonstruierte oder selbsterlebte hinzufügen wollte. Angefangen von den alten Phöniziern über Hanno, Himilko, Herodot hinweg bis zu den Zügen Alexanders und der Ptolemäer, dann wieder von den Fahrten der Marco Polo, Kolumbus, Vasco bis zu den Expeditionen Franklins, Livingstones, Sven Hedins, Nordenskjölds und deren Nachfahren bietet sich uns eine unübersehbare Kette erlebter Reiseabenteuer, die der ergänzenden Phantasie kaum noch wesentliche Ausbeute hinterlassen. Falls die Phantasie nicht besondere Wege einschlägt, um Dinge zu gestalten, die auf realen Entdeckungswegen niemals zu verwirklichen waren. Aber auch die Bücherei der phantastischen Fahrtabenteuer ist grenzenlos geworden, und es könnte sich fragen, ob nicht die Erfindung längst alle Möglichkeiten durchquert hat. Ich müßte mich auf diesen Einwand gefaßt machen und hätte mich insonderheit vor zwei großen Namen zu fürchten, vor Rabelais und Swift; wenn nämlich die Abenteuer, die ich erzählen will, nichts anderes wären, als Umfärbungen der berühmten Geschehnisse im Pantagruel und Gulliver. Ich hoffe indes, nicht in diese Gefahr zu verfallen, da das Abenteuer, wie es mir vorschwebt, von Haus aus ein eigenes Kolorit aufweist. Es bestimmt sich wesentlich dadurch, daß in die hier zu schildernden Abenteuer Gedankenwagnisse hineinspielen, die der neuzeitlichen Wirklichkeit angehören, somit vordem nicht angestellt werden konnten.
Nicht als ob nun hier die Wirklichkeit im Hintergrund bliebe und der Vordergrund einem nebelhaften Schattenspiel überlassen werden sollte. Ich darf vielmehr mit gutem Gewissen versichern, daß diese Entdeckungsfahrt in ihrer ganzen Anlage nach dem Leitziele der Wahrheit orientiert war. Es wird sich, so denke ich, zeigen, daß die Wahrheit nicht nur reichlichen Spielraum für das Abenteuer gewährt, sondern an sich sogar unter den hier verwirklichten Voraussetzungen die Form eines Abenteuers anzunehmen vermag. Im vorliegenden Fall kündigt sie sich dadurch an, daß schon im ersten Anlauf, ehe noch hinausgesegelt wird in unentdeckte Gebiete, allerhand Seltsamkeit aufsteigt.
Die Sache begann anscheinend beziehungslos als ein Zwiegespräch zwischen mir und einem meiner intimen Freunde, mit dem ich ganz allgemein das beliebte Thema der Wanderlust erörterte; rückschauend in glückliche Tage der Vergangenheit, da das Umherschweifen auf dem Erdplaneten noch zu den selbstverständlichen Gepflogenheiten des Kulturbürgers gehörte, als die Frau Valuta uns noch keinen Reiseplan versäuerte, als noch keine Paß-Schikane uns an den Grenzen festnagelte und zwischen Ausland und Freundesland kein sonderlicher Unterschied obwaltete. Ich hatte zwar von Anfang an einen besonderen Trumpf in Bereitschaft, der dem Gespräch eine unerwartete Wendung geben sollte, hielt mich aber vorerst aus guten Gründen im Fahrwasser allgemeiner Betrachtung. Sieh mal, lieber Donath, sagte ich, unsere elegischen Rückblicke sind im Grunde doch nur der Ausdruck dafür, daß wir ein neues Reisekapitel anzufangen wünschen. Mit den ewigen Heimatgefühlen ist auf die Dauer nicht auszukommen. Was mich betrifft, so verspüre ich ein deutliches Heimweh nach dem Ausland, und ich vermute, daß es im Gehege deiner eigenen Empfindungen nicht viel anders aussieht.
»Zugegeben,« versetzte mein Freund Donath Flohr, »aber von der verschwommenen Sehnsucht bis zur Realisierung solcher Wünsche ist ein weiter Schritt. Wir können den Faden nicht mehr da anspinnen, wo er mit dem Weltkriege abriß. Entsinne dich unserer letzten Fahrt auf dem Luxusdampfer Imperator. In welchem Tempo ging das von der ersten Absicht bis zur Verwirklichung! Heute geplant, morgen ausgeführt. Schon flogen die Küsten der Fremdländer an uns vorüber, die Welt schien die Bestimmung zu erhalten, für uns zum erquicklichen Wandelpanorama zu werden. Und mit welchem Stolz fühlten wir in den Planken des Zauberschiffs deutschen Boden unter den Füßen! Das war Genuß, das war Hochgefühl. Mache dagegen heute ein Programm! Wie du es auch anstellst, es wird ärmlich und gedrückt ausfallen; es ist ein Fliegenwollen mit zerbrochenen Flügeln und ausgerissenen Schwungfedern. Bestenfalls werden wir im Ausland die Geduldeten sein. Man wird uns schonend behandeln, in der Erwartung, daß wir uns vorsichtig und demütig benehmen. Der Kosmopolitismus ist für uns aus der Welt heraus. Und selbst in der herrlichsten Landschaft wird uns die Gegenwart immer an den Vers Dantes erinnern: Kein größeres Leid, als im Elend sich der Glückszeit erinnern!«
»Dagegen gäbe es vielleicht ein Mittel. Man müßte das Programm so neu und so bedeutend anlegen, daß jeder Vergleich zwischen Jetzt und Einst von selbst verschwände. Man müßte für die Reise Ziele in Horizonten wählen, denen gegenüber alle vormaligen Touristenfahrten zu gleichgültigen Landpartien herabsinken.«
»Ich verstehe dich nicht. Ich glaube, du phantasierst.«
»Schon möglich. Aber wenn ich in dieser Phantasie auch nur den Schimmer einer Möglichkeit hindurchspürte, so wäre sie immer noch besser als der blanke Verzicht.«
»Also was willst du eigentlich? Was hast du delirierender Weise vor? erkläre dich deutlicher.«
»Ich denke an eine Entdeckungsreise. An eine Expedition von ganz ungewöhnlichem Ausmaß.«
»Das klingt in der Tat nach Wolkenkuckucksheim. Ich setze ganz beiseite, daß wir beide – wenn du mich mitnehmen willst – mit unseren Portemonnaies nicht bis zu den nächsten Horizonten dringen könnten; und nun redest du gar von Expeditionen ins Unbekannte? Das ist doch ein Widerspruch in sich selbst! Selbst wenn du ein Kolumbus wärst, mit den Mitteln eines Königreichs in der Hand, würdest du auf dem Globus auf nichts Unbekanntes stoßen. Die Welt ist doch entdeckt, nach allen Richtungen durchquert, und die weißen Flecke auf den Atlanten mit der Aufschrift »Unerforscht« sind längst verschwunden.«
»Das leugne ich durchaus. Gewiß, auf den Festländern ist nicht mehr viel zu holen. Dagegen bin ich der Meinung, daß die Ozeane noch sehr viele unerschlossene Geheimnisse bergen. Man kann dies mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sogar beweisen. Schon vor einem Jahrhundert waren die Meere so gründlich abgesucht, daß man schwerlich noch große Landfunde erwarten durfte. Aber da segelte einer hinaus, keineswegs vom Format des Kolumbus, eher ein Sportfahrer, der nicht viel mehr besaß als ein kleines Schiff und große Geduld …«
»Von wem sprichst du eigentlich?«
»Von Otto von Kotzebue. Keine überragende Berühmtheit, und doch ein glücklicher Finder; der entdeckte in der Südsee Inseln, – rate mal wie viele?«
»Ach, die Zahl ist ja Nebensache.«
»Doch nicht, wenn man mit Wahrscheinlichkeitsschlüssen operiert, um von realen Vergangenheiten auf zukünftige Möglichkeiten zu stoßen. Also nicht weniger als 399 Inseln hat er entdeckt!«
»Imponiert mir gar nicht. Ein Punkt wie der Nordpol ist wichtiger als tausend winzige, gleichgültige Inseln.«
»Und eine einzige, kleine, noch unentdeckte Insel kann wichtiger werden, als Dutzende von entdeckerischen Funden, die geschichtliche Geltung erlangt haben. Falls nämlich das Neuland nicht bloß eine geographische oder wirtschaftliche Neuheit bietet, sondern eine intellektuelle; falls sie uns mit Erscheinungen und Gestaltungen bekannt macht, die uns ungeahnte geistige Fernblicke eröffnen.«
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