Verständnislos schüttelte sie den Kopf und als Claire sie fragend ansah, setzte sie freimütig ihre Rede fort.
»Die Polizei geht davon aus, dass der kleine Junge von wilden Hunden, die es hier in der Gegend in Massen gibt, gefressen wurde. Stellen Sie sich vor, wie schauerlich der Gedanke. So ein kleines unschuldiges Kind wird von blutrünstigen Bestien zerfleischt. Womöglich hat er noch gelebt! Mi madre! Welche Tragödie!”
Claire schluckte. Die drastische Darstellung ließ auch sie nicht unberührt, obwohl sie eher ein abgeklärter Mensch war.
»Aber der Vater der jungen Frau und Großvater des Jungen hat Rache geschworen! Er ist der mächtigste Mann hier auf der Insel, man nennt ihn den Tomatenbaron. Ihm gehört die größte Tomatenplantage hier auf der Insel und nun sind seine einzige Tochter und der einzige männliche Nachfahre seiner Familie tot. Seither macht er Jagd auf alle wilden Hunde hier in den Bergen.«
Ein leichtes Schaudern lief über Claires Rücken. Der Gedanke an den blutrünstigen Baron bereitete ihr Unbehagen.
Louisa entging dies nicht und sofort wechselte sie das Thema und begann wieder in ihrer geschwätzigen Art die Vorzüge dieses wundervollen Landstriches hervorzuheben. Claire bemühte sich mit betont freundlicher Miene, zuzuhören. Aber im Geiste drehten sich ihre Gedanken immer noch um den dramatischen Unfall.
Nach schier endlosen, langen Serpentinen in das Gebirge bog Señora Cortez schließlich in eine kleine Seitenstraße ein. Auf einem kleinen Schild las Claire den Namen:
Casa des los almas olvidados – Haus der vergessenen Seelen!
»Warum hat die Finca so einen traurigen Namen?«
»Ach das haben sich die Eigentümer so ausgedacht! Sie haben nach dem Grundsatz gelebt, niemandem die Tür zu weisen und jedem ein Dach über dem Kopf und eine Mahlzeit zu gewähren!«
Die Maklerin schüttelte unverständlich mit dem Kopf. Doch Claire fand diesen Gedanken eigentlich höchst löblich und überlegte, wie wohl die Eigentümer waren. Leider würde sie sie nicht so schnell kennenlernen. Das ältere Ehepaar Alvarez weilte für mindestens ein Jahr in den Vereinigten Staaten bei ihrer Tochter. Die Mietverhandlungen wurden allein über Señora Cortez abgewickelt.
In diesem Moment durchfuhr der Wagen die Toreinfahrt zur Finca. Rechts und links thronten auf einer 2 Meter hohen Bruchsteinmauer steinerne Delphine, die in ihrer majestätischen Eleganz das Grundstück zu bewachen schienen.
Der gepflegte Schotterweg war gesäumt von üppig blühenden Oleanderbüschen und mächtigen Palmen. Dahinter befand sich eine Wiese mit Oliven- und Zitronenbäumen, deren reife Früchte Claire sofort ins Auge fielen. Als das Haus, ein alter, restaurierter Sandsteinbau, nach einer kurzen Biegung in Sicht kam, stockte Claire der Atem. So prächtig hatten die Fotos das Anwesen gar nicht erscheinen lassen.
Louisa Cortez hielt den Wagen an. In diesem Moment schwieg sie. Trotz ihrer unbekümmerten Art war sie doch auch Geschäftsfrau genug, um diesen magischen Moment des ersten Anblicks ganz ihrer Kundin zu überlassen. Claire sollte diese Faszination in sich aufsaugen - nur so kamen gute Verträge zustande.
Überwältigt vom Charme des alten kanarischen Landhauses mit seinen braun gestrichenen Holzläden an den bis zum Boden reichenden Sprossenfenstern, schritt Claire die wenigen Stufen bis zur überdachten Veranda hinauf. Überall standen mit bunten Blumen gefüllte Terracottagefäße. Eine Sitzgruppe aus Rattan mit flauschigen Polstern lud zum Verweilen ein.
Die Veranda zog sich um das gesamte Haus herum. Auf der Rückseite erreichte man durch einen gemauerten Torbogen den nicht überdachten Teil. Hier erweiterte sich die gepflasterte Fläche zu einer großzügigen Terrasse. An einer Ecke schien der Boden wie aufgebrochen und ein alter knorriger Olivenbaum streckte seine verzweigten Äste in den Himmel. Um einen Hauptast schlang sich das fast armdicke Seil einer Hängematte. Ihr zweites Ende war mit einem monströsen Haken in der Hausmauer verbunden.
Von der Terrasse aus führten wiederum einige Stufen in den gepflegten Garten. Ein kleiner, gepflasterter Pfad führte zu einem gigantischen Swimmingpool, dessen azurblaues Wasser Claire geradezu anlachte. Die Kacheln im Pool waren nicht wie üblich türkis, sondern leuchteten wie ein unregelmäßiges Mosaik in erdigen und blauen Farbtönen, so dass sie an eine Unterwasserfelsenlandschaft erinnerten.
Claire lächelte spitzbübisch in sich hinein und wusste genau, welches ihre erste Tätigkeit sein würde, wenn die Maklerin erst verschwunden war.
Denn dass sie diese Finca mieten würde, war ihr sofort klar.
»Und, wie gefällt es Ihnen, Señora Bennett?«
»Es ist fantastisch! Einfach ideal für mich! Aber lassen Sie mich nun das Haus von innen sehen. Ich bin ja schon so gespannt!«
Lächelnd schloss Señora Cortez die Haustür auf und ließ Claire eintreten. Auch hier wurde sie nicht enttäuscht. Stilvolle Möbel im landestypischen Flair präsentierten sich in jedem Raum. Alles blitzte und blinkte vor Sauberkeit. Nichts ließ irgendwelche Wünsche offen.
Abrupt wendete sich die Deutsche zu der Maklerin um. Sie verspürte den Gedanken, sofort alles in Besitz zu nehmen und sich häuslich niederzulassen. Dazu musste sie aber Señora Cortez möglichst schnell loswerden.
»Also ich nehme die Finca auf jeden Fall! Sie haben mir ja den Mietvertrag bereits zugeschickt und ich bin mit allen Bedingungen einverstanden.«
Claire griff in ihre Handtasche und brachte den Vertrag sowie einen ausgefüllten Scheck über Kaution und Miete zum Vorschein.
Louisas Augen glänzten und sie lächelte überschwänglich. Solche Kunden mochte sie am liebsten. Nicht lange reden, nicht viel verhandeln, sondern gleich ordentlich bezahlen. Sie händigte Claire im Gegenzug die Schlüssel aus und eine Liste mit Adressen und Telefonnummern.
»Zweimal die Woche kommt Rosa Munioz zum Saubermachen. Es sei denn, Sie wünschen es anders. Das können Sie mit ihr selbst ausmachen. Für den Garten haben die Alvarez einen jungen Mann aus dem Ort eingestellt, José! Er ist sehr zuverlässig und tüchtig. Zwar ist er ein wenig ... na ja ... ein wenig beschränkt im Kopf, aber das braucht sie nicht zu stören. Er redet viel Unsinn, doch er ist ein harmloser Kerl. Er liebt die Natur und besonders die Pflanzen und so sehen seine Gärten auch aus. Immer aus dem Ei gepellt. Er kümmert sich um mehr Anwesen hier in der Gegend ... kommt und geht, wann er will...! Hauptsache, seine Arbeit ist gut! Und, glauben sie mir, es gibt keinen Besseren.«
Froh, sich um nichts selbst kümmern zu müssen, nickte Claire nur zustimmend mit dem Kopf.
Unbekümmert plapperte die Maklerin weiter drauf los. »Hier sind noch die Schlüssel für den Mietwagen. Der steht in der Garage. Ein Jeep, wie sie gewünscht haben! Die Papiere liegen auf dem Schreibtisch.«
»Ach ja prima, vielen Dank Señora! Was ich Sie noch fragen wollte! Gibt es hier in der Gegend jemanden, der Pferde zu verkaufen hat?«
»Sie möchten ein Pferd? Da wenden Sie sich am besten an Diego Rodriguez da Silva. Ihm gehört das größte Gestüt. Seine Pferde sollen klasse sein. Vielleicht auch nicht ganz billig, aber das kann ich nicht beurteilen. Mit Pferden habe ich nichts zu tun. Sie sind mir unheimlich!«
»Und wo finde ich diesen Diego?«
»Sein Gestüt ist gar nicht weit von hier. Sie fahren auf der Straße noch ein Stückchen weiter und biegen bei der nächsten Gelegenheit recht ab. Es steht ein großes Schild an der Straße, Sie können es gar nicht verfehlen.«
***
Kapitel 2
Endlich war die Maklerin gegangen und Claire war nun alleine. Sie verfrachtete ihre Koffer in eines der Schlafzimmer im ersten Stock, öffnete die Fenster weit und trat auf den kleinen angrenzenden Balkon. Von hier aus hatte sie einen gigantischen Blick in das nah gelegene Gebirge. In der Ferne konnte sie sogar eines der Wahrzeichen von Gran Canaria, den Roque Nueblo, ausmachen. Eine friedfertige Stille herrschte, abgesehen von dem Gezirpe unzähliger Zikaden und dem Gezwitscher mehrerer Vögel. Von Ferne hörte man auch noch ab und zu ein Schaf aus einer der umherziehenden Herden blöken.
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