Paul Keller - Die Insel der Einsamen

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Als Günther, Freier von Echtelfingen, dem faulen Fischer und Inselwärter Kajetan begegnet, entscheidet das nicht nur über Günthers weiteres Geschick. Denn er lässt sich von dem widerstrebenden Kajetan von der geheimnisvollen, wie verflucht wirkenden Insel der Einsamen erzählen, auf der nur «Pessimisten» leben, allen voran Graf Reinhold mit seiner Tochter Klotildis. Fremden ist das Betreten der Insel strengstens verboten. Doch als Günther durch sein Fernrohr einen Blick auf die schöne Klotildis, das «Dornröschen» der Insel, erhascht, ist es um ihn geschehen; er fesselt den Inselwächter und setzt selbst in dessen Boot über … Mit Spannung verfolgt der Leser diese seltsame und tragische, zugleich traurige und doch sehr heitere Geschichte einsamer, gebrochener und verbitterter Menschen sowie ihren langen Weg bis zur Erlösung aus ihrem traurigen Los. Paul Kellers «Insel der Einsamen» ist eine köstliche, zugleich ergreifende wie erhebende dichterische Verklärung all des Jammers und Elends, wie es auch uns das banal-hastige Alltagsleben tagtäglich beschert. Seine idyllischen Schilderungen voll zarter Anmut und Schönheit sind genauso künstlerisch vollendet wie die dramatischen Szenen voll glühender Lebendigkeit und prächtiger Farbigkeit packend sind, und über allem liegt der zauberhafte Hauch eines modernen Märchens.Paul Keller (1873–1932) wurde als Sohn eines Maurers und Schnittwarenhändlers geboren. Zwischen 1887 und 1890 besuchte er die Präparandenanstalt in Bad Landeck und anschließend von 1890 bis 1893 das Lehrerseminar in Breslau. Nachdem er acht Monate als Lehrer im niederschlesischen Jauer tätig war, wechselte er 1894 als Hilfslehrer an die Präparandenanstalt in Schweidnitz. Zwischen 1896 und 1908 war er Volksschullehrer in Breslau. Keller gründete die Zeitschrift «Die Bergstadt» (1912–1931) und schrieb schlesische Heimatromane sowie «Das letzte Märchen», eine Geschichte, in der ein Journalist in ein unterirdisches Märchenreich eingeladen wird, um dort eine Zeitung aufzubauen, und dabei in Intrigen innerhalb des Königshauses hineingerät. Die Namen wie «König Heredidasufoturu LXXV.», «Stimpekrex», «Doktor Nein» (der Oppositionsführer) haben wahrscheinlich Michael Ende zu seinem Roman «Die unendliche Geschichte» angeregt. Zusammen mit dem schlesischen Lyriker und Erzähler Paul Barsch unternahm Keller zwischen 1903 und 1927 zahlreiche Reisen durch Europa und Nordafrika. Zudem führten ihn etliche Lese- und Vortragstourneen durch Deutschland, Österreich, die Schweiz und die Tschechoslowakei. Er war 1910 Mitglied der Jury eines Preisausschreibens des Kölner Schokoladeproduzenten Ludwig Stollwerck für Sammelbilder des Stollwerck-Sammelalbums Nr. 12 «Humor in Bild und Wort». Keller starb am 20. August 1932 in Breslau und wurde auf dem dortigen Laurentiusfriedhof bestattet. – Paul Keller gehörte zu den meistgelesenen Autoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, was sich in einer 1931 bei fünf Millionen liegenden Gesamtauflage seiner Bücher widerspiegelt, und wurde in 17 Sprachen übersetzt. Schriftsteller wie der alte Wilhelm Raabe oder Peter Rosegger schätzten den Autor sehr. Gerade die früheren Werke wie «Waldwinter», «Ferien vom Ich» oder «Der Sohn der Hagar» zeichnen sich durch künstlerische Kraft und Meisterschaft aus. Seinen Roman «Die Heimat» (1903) nannte Felix Dahn «echte Heimatkunst». Seine bekanntesten Werke wurden zum Teil auch verfilmt.-

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Paul Keller

Die Insel der Einsamen

Eine romantische Geschichte

Saga

Die Insel der Einsamen

© 1923 Paul Keller

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711517376

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

Das erste Kapitel.

Die Vorgeschichte der Insel.

Das, was ich hier erzähle, steht in Raum und Zeit; denn da es in meiner Seele ist, muss es auch noch sonstwo gewesen sein. Wenn Ihr mich aber befragt nach Jahr und Land, Orts- und Zeitgrenze, so muss ich Euch sagen, dass ich kein Geograph und Historiker, sondern ein Fabulant bin, der das schöne Recht hat, auf solche Fragen zu antworten: Ich lass mir meine Singvögel in keinen Stall sperren, und Ihr dürfet dreist einem Fabulanten mehr glauben als einem Geschichtsschreiber. Wen es jedoch gar zu sehr nach der Zeitfolie verlangt, dem will ich sagen, dass über die Jahre, da neben dem Herrgott nur der Kaiser Napoleon auf der Erde regierte, vielerlei Kriegs-, Hof- und andere Geschichten entstanden sind, mir aber abseits vom grossen Welttheater jener Zeit eine romantische Mär erwuchs, mit der ich nun beginne.

Irgendwo in deutschen Landen rann ein Fluss, der seltsame Manieren hatte. Es kam vor, dass die Wasser in seinem Lauf uneins untereinander wurden, wie es zuweilen bei den Völkern eines Bienenstockes geschieht, und dass dann die Hälfte des Gewässers ausschwärmte, zur Seite wich und einen eigenen Weg ging. Während aber die ausgewanderten Immen nicht wieder in den alten Stock zurückkehren, besannen sich die abtrünnigen Gewässer des Flusses immer recht schnell wieder auf die alte Heimat, schlichen in gedrückter Stimmung zurück und wurden vom alten Mutterstrom mit etwas Gebrumme zwar, aber doch herzlich gern wieder aufgenommen.

Wenn sich in einem Flusse solche Dinge ereignen, dann bilden sich Inseln, nicht so grosse, wie sie draussen im offenen Meere liegen, aber doch Inseln, kleine, rings von Wasser bespülte Eilande. Und alle Inseln haben ein Eigenleben, auch wenn sie vom „festen Lande“ nur einen Steinwurf weit entfernt liegen. Es ist, als ob das Wasser eine Isolierschicht um sie legte, so dass viele Ströme des gemeinen Lebens nicht zu ihnen gelangen können.

Die grösste Insel, die der Fluss bildete, hiess seit alter Zeit die „Fraueninsel“, wie es deren viele in der Welt gibt, überall da, wo frommer Sinn der Gottesmutter, „Unserer lieben Frau“, auf einem Eiland ein Kirchlein errichtete. Das Kirchlein unserer Insel lag auf einem Hügel und war von den Mönchen gegründet, die auf der Ostseite des Flusses ihr reiches Klostergut hatten und denen die Insel so lange gehörte, bis die Herren von Höffingen, die auf der Westseite des Flusses sassen, meinten, den Mönchen erginge es schon allzugut, und es sei empfehlenswert, dass sie ihnen die Insel, die gutes Acker- und Wiesenland sowie schönen Waldbestand aufwies, ohne Kaufbrief und andere Formalitäten auf gut Räuberrecht abnähmen. Der Bischof tat auf die Klage der Mönche hin die von Höffingen in den Bann, aber die Kerle machten sich nichts daraus, sondern behielten die Insel und bauten sich auf der zweiten Anhöhe des Eilands ein Lustschlösslein, allwo es oftmals sehr wild zugegangen sein soll. Zwei Jahrhunderte vergingen, der Bann war ins Vergessen geraten, die Höffingen waren immer noch die Herren der Insel.

Aus jener Zeit stammt die Sage vom Liebesbrunnen. Ein fahrender Spielmann, der sich Volker nannte wie sein grosser Vorfahr aus der Nibelungenzeit, kam auf die Insel und wurde im Lustschloss als gerngesehener Gast aufgenommen. Und da ereignete sich das, was so oft im Laufe der Zeiten geschah: ein Edelkind fiel in Liebe zu einem gemeinen Manne, des Grafen von Höffingen blondes Töchterlein Irmtraud entbrannte in heisser Glut zu dem jungen Spielmann und er zu ihr. Des Nachts, wenn alles schlief, lockte eine zarte Liebesweise das schöne blonde Kind nach dem Walde, wo der liederkundigste Mund sie küsste und von den Wonnen der Jugend sprach. Ach, der Graf entdeckte das zarte Geheimnis, und er war ein roher, jähzorniger Mann, wilder Phantasie voll, wenn es galt, jemanden zu strafen, der seinen Groll erregt hatte. Die Schlosswächter — drei an der Zahl — liess er henken, seinem Kinde und dem Spielmann ersann er eine besondere Strafe.

„Liebtest du meine Tochter?“ fragte er mit böser Arglist den Spielmann, der vor seinem Richterstuhle stand.

„Ich liebe sie tausendmal mehr als mein Leben,“ sagte Volker.

„Und glaubst du, was jener spricht?“ wandte sich der Graf an seine Tochter.

„Ich glaube es,“ sagte sie, und ihre trüben Augen wurden hell.

„Nun wohl,“ versetzte der Graf, „so wollen wir die Probe machen, ob er dich wirklich mehr liebt als sich selbst.“

Auf der Insel stand ein Ziehbrunnen. Er streckte einen hölzernen Arm empor, der sich niederneigte, wenn es galt, Wasser zu schöpfen. Dann stand der Brunnenschwengel auf einen Augenblick wie eine Wage. Darauf gründete der Graf seinen barbarischen Racheplan. Er liess sein Töchterlein in den Schöpfeimer hineinbinden, so dass sie über dem Brunnenschacht schwebte, und liess als Gegengewicht an den anderen Arm des Brunnenschwengels den jungen Spielmann an einem dünnen Faden aufhängen. Dann gab er ihm ein haarscharfes Messer in die Hand und sprach mit teuflischem Hohn:

„Wenn du sie nun mehr liebst als dein Leben, so bleib’ hängen, und sie ist gerettet; willst du aber nicht sterben, so schneide dich los, und sie fährt zur Tiefe!“

Nie stand eine schrecklichere Wage auf dem Erdenstern. Der Spielmann schleuderte das Messer weit von sich. Als aber die schaurige Not um Luft und Lebensatem eintrat, reichte ihm der Graf das Messer zum zweiten Male.

„Schneide dich los, und du bist frei!“

Der Spielmann liess das Messer fallen.

Die Todesangst kam, der Mund öffnete sich, die Zunge trat heraus, der Körper zuckte. Da gab der Graf dem Sterbenden zum drittenmal das Messer. Der hob mit der letzten Kraft der Verzweiflung die Klinge über sein Haupt — der Graf trat dicht vor ihn, sah ihm in das verzerrte Gesicht — und es senkte sich die Hand blitzschnell, und das Messer sass dem Grafen im Herzen. Er starb mit dem Spielmann zur selben Sekunde, und ihre grollenden Seelen traten zusammen vor Gott.

Die schöne Irmtraud wurde vom Volke befreit und als Gräfin und Herrin ausgerufen. Sie liess den Leichnam ihres Vaters in den Fluss werfen, den Krebsen und Fischen zum Frass, und errichtete dem Geliebten ein kostbares Denkmal von Marmor aus dem Lande Italia. An seinem Grabe sass sie oft mit geschlossenen Augen, und wenn ein Vogel ganz weich und zärtlich im Geäste sang, lächelte ihr bleicher Mund.

Der Ziehbrunnen aber wurde berühmt im ganzen Reiche. Sein Wasser war von wundertätiger Wirkung. Wer von ihm trank, war gefeit gegen alle Untreue, weshalb junge Mädchen mit diesem Wasser heimlich ihren Liebsten den Wein mischten; es galt aber auch als Schutzmittel gegen allerhand Roheiten, so dass geplagte Ehefrauen sich von ihm eine Flasche voll holten, die sie in ihr Waschwasser ausgossen, auf dass es nicht so schmerze, wenn sie geschlagen wurden. Es war eine herbe Zeit.

Die schöne Irmtraud blieb unvermählt und starb als die letzte ihres Stammes, worauf die Klosterbrüder die Insel wieder besetzten, die ihnen aber schon nach fünf Jahren von dem neuen Edelgeschlecht am Westufer des Flusses, denen von Heyburg, abgenommen wurde. Die Heyburger kamen in den Bann, machten sich nichts daraus ... es ging alles wie damals.

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