Mirwais verstand den kleinen Scherz nur zu gut, lächelte ihn an, umfasste seine Schultern, drückte ihn freundschaftlich, sprach mit übertriebenem Akzent eines Ausländers..
"Panjshiris alle gut Freund… mit Dollares - ich bin nur dein "Nokar", ein treuer Diener seines Herrn !"
"Nein, nicht schon wieder Märchen aus "Tausend und einer Nacht"… vielleicht solltest du doch einfach ein "Muhadith" werden, dann kannst du überhaupt nur mehr Märchen erzählen, beruflich…"
"Ach was denkst du denn… ich bin deutscher Staatsbürger, mit Pass und allem Drum und Dran !"
"Ja-aa, das… das sieht man ja schon von Weitem… du bist ein "Feringhi", ein "Alleman", und alle fragen dich überall immer nur nach Bakshish !"
Mirwais lächelte, drückte ihn nochmals an sich, was zur Folge hatte, dass sie beim nächsten Schlagloch ein wenig mit ihren Köpfen zusammenstießen. Sie lachten, rieben sich ihre Kopfhälften. Die Abfolge der Schlaglöcher und sonstigen "Straßenhindernisse", ließ keine Pause, das Fahrzeug samt seinen Insassen schwankte wie ein Schiff in schwerem Sturm. Das Tal wurde zunehmend enger, man passierte den Zusammenfluss von zwei weiteren reißenden Bergflüssen bei Ao Khawak, wo eine steiler Weg über einen anderen, eben den berühmten Khawak-Pass nach Norden, ins Tal von Andarab führte, ein anderer Weg hinein nach Nuristan, ins "Land des Lichts", wo die Bevölkerung erst um 1930 islamisiert worden war, bis dahin hatte dieser Teil des Landes auch "Kafiristan", das "Land der Ungläubigen". Es war den Muslims bis dahin nicht gelungen, in dieses Gebiet vorzudringen, um ihren Glauben auch dahin zu exportieren. Die Kafiris hatten allen Eindringlingen blutige Schlachten geliefert, meist zu Ungunsten der Angreifer.
"Heute werden wir hier übernachten, das ist sicherer, bei anderen Freunden, auch Kämpfer… hier waren alle Kämpfer, sind alle Kämpfer… denn viele haben noch immer nicht begriffen, dass der Krieg nun auch wirklich vorbei sein muss !"
"Sie haben nichts anderes gelernt als zu kämpfen, erbeutete Panzer zu fahren, Mörser-Granaten abzufeuern, mit ihren Kalashnikoffs rumzuballern… man muss, glaube ich, ein wenig Nachsicht mit Ihnen haben… sie bräuchten alle eine Art 'Umerziehung'… 'Brainwashing' im guten Sinne, sie ihre Vergangenheit vergessen zu lernen, Schulungen für zivile Tätigkeiten !"
"Ja, hast schon recht, das wär's… aber… wer soll das bezahlen, wer sollen die Lehrer sein… bei uns gibt es nur Kämpfer… alle waren irgendwann mal bei den 'Mujaheddin'… und diejenigen Auswanderer, die tatsächlich zurückgekehrt sind, versuchen verzweifelt irgendein Geschäft aufzuziehen, sonst können sie ihre Familien nicht zu sich holen, nach Hause, sonst können auch sie nicht überleben !"
"Ein tödlicher Kreislauf… es wird lange Zeit brauchen… bis es wirklich besser wird in Afghanistan… und man kann nur hoffen, dass nicht wieder irgendein Land, ein Nachbar, versucht seine Finger hier ins Spiel zu bringen, sein Süppchen zu kochen !"
"Auf Kosten der Afghanen - so war es schon immer, schon seit Alexander dem Großen - was wirklich an ihm 'Groß' war, wir wissen es nicht, auch er hat Afghanistan überfallen, ausgeraubt, seine Menschen ermordet, Generationen von männlichen Nachkommen auslöschen lassen !"
"Ja, man sieht's noch immer, dass der mal da war…"
"Afghanistan war schon immer ein Schlachtopfer !"
"Es ist auf jeden Fall Zeit, dass sich etwas ändert, hier in dieser ganzen Region, in Pakistan geht's ja noch immer weiter… siehe Kashmir !"
"Die haben einen Großteil an Mit-Schuld in dieser letzten Misere... der Geheimdienst ISI und verschiedene islamistische Gruppen, Extremisten, die wollen die 'Weltherrschaft', das 'Welt-Kalifat' errichten !"
"Ich dachte, das wären die Russen gewesen, nicht die Pakistani… ist mir da was entgangen ?"
Mirwais sträubte sich etwas, sagte er wolle nicht alte Geschichten aufwärmen, man schwieg wieder für eine Weile, die Fahrbahn forderte ihren Tribut.
Als sie endlich bei einer Chaikhana ankamen, Mirwais erklärte, dass sie hier übernachten wollten, war Felsberg bereits alles egal, er spürte seine Knochen nicht mehr, zumindest nicht mehr einzeln, er bestand nur mehr aus überreizten Nervensträngen, hatte nur mehr Sehnsucht seinen geplagten Körper an einem ruhigen Platz, ohne Erschütterungen und Verrenkungen "ablegen" zu können. Der warme Reis mit Rosinen und Karotten, samt gekochtem Hammelfleisch tat dann auch den Rest. Felsberg sank in sich zusammen, der heiße Tee zum Abschluss, brachte auch bei ihm den Abschluss. Mirwais zeigte ihm eine Ecke, in der er seinen Schlafsack ausrollen konnte.
Felsberg sah gerade noch, halb trunken vor Schlaf, wie noch einige andere Gäste die Schenke betraten, ebenfalls aßen und sich für eine Übernachtung einrichteten. Zum Schluss kam noch ein Mann mit einem überdimensionalen Bart und einem großen schwarzen Turban auf dem Kopf zur Tür herein. Alle rückten sofort beflissen zur Seite, murmelten Begrüßungsformeln, auch der Fahrer und der Beifahrer ihres Geländewagens verneigten sich, hielten ihre Hände über ihre Herzen, murmelten die Formeln mit.
Felsberg dachte noch, dass ihn irgendetwas irritierte, er erkannte sogar noch was es war. Der Geruch. Es roch, wie jener Mann gerochen hatte, der ihn, wann, vor nur einigen wenigen Tagen, in der Nacht überfallen hatte wollen. Aber der war tot, mausetot, daran gab es gar keinen Zweifel, er hatte seine gebrochenen Augen gesehen. Er wunderte sich auch darüber, dass ihn dies überhaupt nicht berührte, obwohl ER doch dessen Tod verursacht hatte, er Michael Felsberg, deutscher Staatsbürger aus München, ohne irgendwelche afghanische Verwandtschaft. Und dann noch der Zwischenfall, als er schießen hatte müssen. Wie viele Menschen hatte er selbst nun schon auf dem Gewissen. Vor kurzer Zeit hatte er sich noch für einen überzeugten Pazifisten gehalten. Er grinste noch im Einschlafen, Pazifismus, ein überflüssige Maxime, in Afghanistan, vollkommen absurd.
Er merkte später noch, dass Mirwais sich mit seinem Schlafsack neben ihm zum Schlafen legte, dann umfing ihn endlich der gnädige Schlaf.
Aber es sollte keine ganze Nacht des Schlafes werden. Die Umstände, die sie bis hierher, an diesen Ort getrieben hatten, konnten nicht in Vergessenheit geraten. Schon deshalb, weil plötzlich, Felsberg erschien es, als hätte er gerade eben eingeschlafen, ein Reihe von Schüssen fiel. Sekunden darauf polterte es an der Tür. Mirwais sprang auf, hatte sofort sein Waffe in Anschlag, sprang zur Tür hin. Der Fahrt-Begleiter hatte seine Aufgabe als Wachtposten wohl ernst genommen, denn er trieb einen Gefangenen vor sich her, welcher vor allen, nun erwachten Gästen der Chaikhana, auf den Boden fiel und zu Wimmern begann. Eine schnell entzündete Petroleumlampe zeigte ihnen das verschreckte Gesicht eines Krüppels, der hilfesuchend seine Hände in die Luft erhob.
Krachend traf ihn ein Hieb mit dem Kolben einer Kalashnikoff, er fiel vornüber in den Schmutz, ein Fuß auf seinem Rücken hielt ihn am Boden fest. "Allah hu' akbar, la illa ha illa 'llah, mohammad rassul allahi…"
Der Mann leierte seinen Sermon herunter, hoffte wohl durch Anrufung seines Gottes Hilfe zu erhalten. Aber die Soldaten, die hier an der Chaikhana stationiert waren, kannten ihn und kannten daher auch keine Gnade.
Einer der Soldaten trat hervor, beschimpfte die wimmernde Figur, bespuckte den Mann, trat ihn mehrmals mit dem Fuß ins Hinterteil, er wimmerte.
Felsberg hielt es nicht länger aus, wollte sich einmischen, die Leute dazu bringen, von der bedauernswerten Kreatur abzulassen. Er trat auf den Soldaten zu, der noch immer seinen Fuß auf dem Rücken des Mannes hatte, bedeutete ihm, er solle den Mann freilassen.
Aber es kam gar nicht so weit. Eine der bärtigen dunklen Gestalten, ein Soldat der Bergstation, fasste dedn Gefangenen bei den dünnen Oberarmen, presste sie an seinen Körper an und hob ihn mit einer fast spielerischen Bewegung hoch. Der Mann trug ihn in eine Ecke des Raumes, setzte ihn dort etwas unsanft ab, befahl ihm mit einer bestimmenden Handbewegung, dort auch zu bleiben. Felsberg blieb verunsichert stehen, Mirwais bedeute ihm, ruhig zu bleiben.
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