Der Sonne war unbarmherzig, auch schon am Morgen und Felsberg hielt es in dem sofort kochend heißen Schlafsack nicht mehr länger aus. Er holte ein Handtuch, ging zum Fluss hinunter, fand eine Stelle, hinter einer Flussbiegung, an der man baden konnte. Das Wasser, Schmelzwasser direkt von den Schneeregionen, war im wahrsten Sinne des Wortes eiskalt, Felsberg tauchte mutig unter, kam heftig prustend wieder ans Ufer, rieb sich mit dem Handtuch ab. Sein ganzer Körper glühte, als er kurz darauf seine Kleider wieder anhatte und zum Haus zurücklief.
Mirwais saß mit Nahim bereits im großen Raum, frühstückte, war bereits mitten in der Besprechung des Themas von vergangener Nacht.
Felsberg setzte sich zu ihnen, trank erst einmal Tee, aß frisches Brot, es gab sogar Marmelade, aus Pakistan, sehr süß, dafür aber undefinierbar. Er aß begeistert, ließ die beiden Freunde erst einmal die grundsätzliche Idee erörtern, bevor er in das Gespräch einstieg.
Man war sich dann auch bald über die Beteiligungen einig, über Lieferbedingungen, Transportmöglichkeiten, künftige Kontingente und Zahlungsbedingungen, ein Konto in der Schweiz. Man schüttelte einander die, Hände umarmte einander, brachten den "Deal" zum Abschluss.
Alle lächelten zufrieden, Oberst Nahim schloss die Verhandlungen, erklärte, dass die Edelsteine in einer Woche, in seinem Haus, in Kabul, zur Abholung bereit seien.
Mirwais erklärte, dass sie vorher noch nach Norden wollten, nach Badakhshan, wegen des Lapis Lazuli, und dass man möglicherweise länger als eine Woche unterwegs wäre, man käme eben, wenn man alles unter Dach und Fach habe.
Nahim nickte einverständlich, sicher, man könne sie jederzeit abholen kommen.
Nur der Leinensack mit den Türkisen, der sich nach wie vor in Mirwais Besitz befand, fand in dem Gespräch keinerlei Erwähnung. Sollten ruhig ihre Verfolger, als die Besitzer der Beute gelten, das erhöhte ihre Chancen, denn natürlich waren die Männer von General Habibullah, der bei dem Überfall ums Leben gekommen war, nun ihrerseits auch hinter ihren Gegnern her.
Am Nachmittag kamen viele Menschen der Gegend, von den Höfen weiter im Tal, von Safid Cher, vom Dorf, zu Besuch, Oberst Nahim hatte im Freien, im Schatten der Bäume Teppiche auslegen lassen, ein großes Mahl wurde vorbereitet. Anscheinend wurde die Gelegenheit auch immer genutzt um Gäste vorzuzeigen, Felsberg empfand es jedenfalls so, als ob ihm jedes Mal ein ganzes Dorf die Hand schütteln wollte. Aber es machte auch Spaß, denn da waren sie wieder, diese Bilder. Vor allem die Gesichter der Menschen faszinierten ihn zunehmend. Das Licht der Petroleumlampen zauberte eine längst vergangene Epoche der Menschheit zurück, Bilder von historischer Größe, einen Blick zurück ermöglichend, zurück in vielleicht biblische Zeiten. Die Menschen hatten in dieser Gegend schon immer so gelebt, so ausgesehen. Am Morgen konnte dann bereits alles wieder anders sein, wenn der eine oder andere in seinen Geländewagen stieg und sein Mobiltelefon bediente, über Satellit vielleicht mit seinen vor dem Krieg geflohenen Verwandten in Amerika sprach.
Felsberg genoss es einfach nur zusehen zu dürfen, das war schon genug, eingedrungen in eine geheimnisvolle Welt, voller Mysterien, Legenden, Erzählungen, lebendiger Geschichte. Er war wie hypnotisiert, schwor sich, dass er das nächste Mal eine Videocamera mitnehmen werde.
Danach setzte sich die Frau des Hausherrn zu ihm und verlangte von ihm Geschichten aus seiner Heimat zu hören, sie war sehr begierig von Frauen aus Europa zu hören, wie diese dort lebten, wie sie dachten, ob sie studierten, welche Berufe sie hätten und wie das denn allgemein so wäre, mit den Frauen in Europa.
Felsberg durfte kaum eine Pause machen, frischen grünen Tee trinken, sprach fast ununterbrochen, ihr Wissensbedürfnis war unerschöpflich. Aber auch Felsberg genoss es sich mit einer afghanischen Frau zu unterhalten, solcherart Gelegenheit bot sich nicht oft in diesem Land.
Am nächsten Morgen fand Felsberg überhaupt nicht zu sich, es war viel zu früh, kaum das erste Grau am Himmel zu erkennen. Aber es musste sein, der Tag würde ihnen noch einiges abverlangen.
Oberst Nahim bestand darauf, dass sie in seinen Geländewagen fuhren, sein Fahrer brächte sie bis nach Badakhshan, in die Gegend von Sar-e-Sang, zu dem Ort, wo man Lapis Lazuli schürfte. Nach einer kurzen Verabschiedung machen sie sich auf den Weg, denn Straße konnte nun nicht mehr die Bezeichnung für diese "Fahrbahn" sein.
An manchen Stellen war der ganze Hang weggerutscht, man hatte einfach schnell einen Bulldozer eine Durchfahrt räumen lassen, schon rollte der Verkehr wieder weiter. Wenn es auch kurzerhand durchs Flussbett führte, da war man nicht so empfindlich. Diese "Straße" war die einzige Verbindung durch das Tal , sie musste befahrbar bleiben. Im Bürgerkrieg war dies auch der einzige Weg, über den Anjuman und den Khawak Pass, um die Bevölkerung und die Tausenden von Flüchtlingen versorgen zu können.
Selbst der Geländewagen ein neueres Modell, saß manchmal auf dem Boden auf, die Löcher in der Fahrbahn erreichten eine Tiefe, die einen vermuten ließ, es müsste sich um Bombentrichter handeln. Tatsächlich war das Tal während des gesamten Bürgerkrieges, also dreiundzwanzig Jahre lang, nie von irgendwelchen Feinden eingenommen worden, weder von den Russen, noch von den Taliban. Die Bewohner hatten es verstanden, unter der Führung des legendären Massoud, jeglichen Versuch des Eindringens im Keim zu ersticken. Obwohl die Gegner alle möglichen Waffen einsetzten, von Panzern und Raketen, zu Flugzeugen und Hubschraubern, es hatte alles nichts genutzt, der Panjshir, als auch das benachbarte Tal von Andarab blieben immer frei von den "Dushmanan", den Feinden. Man verehrte ihre Kämpfer, wie Heilige, ihre Führer wie Götter, näherten sich ihnen nur mit gesenktem Blick, manche küssten auch ihre Hände.
Mirwais trug ein permanentes Lächeln im Gesicht, er sah diese Gegend, seit siebzehn Jahren, das erste Mal wieder. Seine Augen leuchteten, er sah mit einem Mal aus, wie ein kleiner Junge, der auf Entdeckungsfahrt ist. Immer wieder griff er nach Felsbergs Hand, drückte sie, wies ihn auf besondere Eindrücke hin, erzählte von seinen Erlebnissen aus der Kindheit, wie man den Fluss mit nackten Beinen durchwaten musste, um überhaupt zur Schule zu kommen, von den schwankenden Seil-Brücken, auf denen man mehr balancieren musste, als zu gehen, von den tosenden Fluten im Frühling, in die so mancher seiner Schulkameraden gefallen war, einige, die auch nie wieder aufgetaucht waren.
"Das Leben ist sehr hart hier, sehr hart, man kann sich das gar nicht vorstellen, ohne richtige Nahrung, ohne richtige Schuhe, nur Plastik-Schlüpfer, aus Pakistan, ohne Socken, Pullover, Handschuhe… ohne Winterkleidung… die Temperatur fällt hier manchmal bis auf minus fünfunddreißig, vierzig Grad ab, eine erstarrte Welt… es, es ist Wahnsinn…!"
"Ja, und warum gehen die Leute dann nicht weg hier, wenn die Bedingungen so hart sind… es gibt doch sicher auch freundlichere Landstriche !"
"Nein, das sind Panjshiris… die wollen nirgendwo anders hin… und wenn sie auch woanders leben müssen, zum Beispiel in Kabul… wie viele unserer Leute nun Regierungsämter innehaben, sie haben alle ihre Häuser hier im Tal, und sie kommen immer wieder, übers Wochenende, im Urlaub, sie sind wie… süchtig !"
"Hmmm, ja, kann ich schon verstehen, aber…"
"Das muss erst in dir reifen, warte ab… das nächste Mal fühlst du dich schon wie zu Hause und unsere Leute sind sicherlich auch ein wenig anders, verschlossener, misstrauisch… aber wenn du einmal einen Panjshiri zum Freund hast, dann geht er für dich durchs Feuer !"
"Ähh, du bist doch auch Panjshiri, oder ? Wenigstens ideell gesehen - und du bist doch mein Freund, oder ? Wir gehen einfach gemeinsam durchs Feuer, zusammen ist das ist das ganz sicher besser, als mutterseelen-allein."
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